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15. Februar 2006



 

 

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Publik Forum, Februar 2006

RWE/Thames Water und das schale Wasser von London

Von Werner Rügemer

 

Seit der Privatisierung ist die Londoner Wasserversorgung maroder denn je. Doch der Investor RWE will sich verdrücken Die Privatisierung der Bahnen in England war ebenso ein Desaster: Die privaten Investoren ließen Gleise und Signalanlagen verfallen, Unfälle kosteten viele Tote, der Staat muss Geld zuschießen.

Jetzt deutet sich im Musterland der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen ein zweites Desaster an: Die Leitungen des privatisierten Wasser- und Abwassersystems von London verfallen. Seit Jahren protestieren Bürger gegen hohe Preise und niedrigen Wasserdruck. Jetzt will sich der Investor, der deutsche Energiekonzern RWE, aus der Verantwortung stehlen - und das Wasserunternehmen Thames Water so schnell wie möglich verkaufen.

1999 kaufte RWE mit Thames Water das umsatzstärkste Wasser- und Abwasserunternehmen der Welt. Es hat im Großraum London acht Millionen Kunden für Trinkwasser und 15 Millionen für Abwasser. Mit diesem Kauf wollte RWE den Grundstein legen, um im globalen Wassergeschäft die Nummer eins zu werden. Denn Wasser erschien den Investmentbanken und Versorgungskonzernen in den neunziger Jahren als das »blaue Gold«. Die französischen Weltmarktkonkurrenten Vivendi/ Veolia und Suez/Ondeo hatten sich bereits in die Wasser- und Abwasserwerke von Metropolen zwischen Rio de Janeiro, Paris und Djakarta eingekauft.

1989 wurden unter der Regie der wirtschaftsliberalen Regierungschefin Margaret Thatcher die Thames Water Utilities Limited als Aktiengesellschaft gegründet. Die Begründung: Privates Kapital sei nötig, um das verfallende Leitungssystem zu sanieren. US- amerikanische Pensionsfonds und Investoren aus dem Londoner Bankenviertel kauften die Aktien. Als Geburtstagsgeschenk befreite die Regierung Thames Water von allen Gewinnsteuern - wie die anderen privatisierten Staatsunternehmen auch.

Am Ende wurden viele Wünsche erfüllt: Die Gehälter der Manager stiegen, die Wasserpreise stiegen, und die Gewinne stiegen.

RWE hatte ein großes Ziel: Man wollte die zweistellige Traumrendite der 1990er Jahre auch im neuen Jahrtausend erreichen. Thames Water eignete sich als Unternehmen aus der Metropole London mit historischer Stellung im britischen Commonwealth gut für die Eroberung globaler Märkte. RWE investierte möglichst wenig und »erwirtschaftete« hohe Gewinne.

Damit finanzierte der Konzern die Expansion in Asien, Australien, Afrika, in den USA, in Kanada und in Südamerika. Der teuerste Brocken war mit acht Milliarden Euro das größte US- Wasserunternehmen, American Water Works. Mit Beteiligungen etwa an den Wasserwerken von Mülheim an Ruhr, Djakarta, Concepción in Chile und Budapest brachten es RWE/Thames Water auf etwa 70 Millionen Kunden.

Das riesige Londoner Leitungssystem mit 32.000 Kilometern Trinkwasserleitungen und 64.000 Kilometern Abwasserkanälen wurde auf dem technisch niedrigst möglichen Niveau gefahren. London war im 19.Jahrhundert die erste Großstadt, unter der ein modernes, flächen- deckendes Netz von Wasserleitungen, Abwasserkanälen und Pumpstationen gebaut wurde. Heute gehören diese Leitungen zu den ältesten der Welt. Zwischen Wasserwerk und Wasserhahn versickern etwa 30 Prozent des Trinkwassers im Untergrund, mehr als in jeder anderen Stadt in den Industrieländern. Der Wasserdruck schwankt ständig. Privathaushalte und Unternehmen beschweren sich regelmäßig, dass kein Wasser aus dem Hahn kommt oder dass es nur tröpfelt. Außerdem wird das Wasser schal, wenn die Leitungen nicht voll sind.

Statt das Leitungsnetz zu sanieren, beschlossen RWE/Thames Water, eine Beschwerdestelle einzurichten.

Haushalten wird eine Entschädigungszahlung von 25 englischen Pfund versprochen, wenn sie nachweisen, dass der Druck weniger als 70 Prozent des Standarddrucks beträgt. Einen solchen Nachweis in gerichtsfester Form zu erbringen ist für Privatleute freilich schwierig, weil der Wasserdruck sich von einer Minute auf die nächste ändern kann. So besteht die Haupttätigkeit der Beschwerdestelle darin, die Beschwerden als unbegründet abzuweisen.

Zudem bauten RWE/Thames Water neue Wasserreservoire. Sie leiten mehr Wasser in das Leitungssystem, um die schlimmsten Verluste auszugleichen. Dadurch verschlechtert sich aber die Wasserqualität noch weiter. Denn die Wasserreservoire stehen am Unterlauf der Themse, zwischen London und dem Meer. Die Themse besteht an dieser Stelle zu etwa einem Viertel aus dem Londoner Abwasser und dem Abwasser der vor London liegenden Städte. Nicht alle modernen Schadstoffe wie Röntgenkontrastmittel und andere Abfälle aus Krankenhäusern, chemischen Laboren und Industriebetrieben oder Phosphate aus Waschmitteln können vollständig ausgefiltert werden. Zudem ist die Kanalisation bei starkem Regen überlastet. Dann werden die Abwässer an den Kläranlagen vorbei direkt in die Themse abgelassen. Dafür stehen riesige und teure Pumpen bereit.

Solche Direkteinleitungen ungereinigter Abwässer finden in London etwa 50 Mal im Jahr statt. Gerade am Unterlauf der Themse stellen Wissenschaftler in wiederkehrenden Untersuchungen fest, dass männliche Fische ihr Geschlecht verändern. Und aus dieser Brühe wird mit hohem Aufwand das zusätzliche Trinkwasser gewonnen, in das Leitungssystem eingespeist, um dann teilweise im Untergrund zu versickern.

Und nicht nur Trinkwasserleitungen sind undicht, sondern auch Abwasserkanäle. Vor allem die großen Sammelkanäle wurden im 19. Jahrhundert mit Ziegeln gemauert. Sie werden durch den intensiven Straßen- und Metro-Verkehr der Millionenmetropole ständig erschüttert. Immer wieder staut sich Abwasser in geborstenen Kanälen und bricht an die Oberfläche durch. So wurde Thames Water zu dem englischen Unternehmen, das am häufigsten wegen Umweltdelikten belangt wurde. Von 1999 bis 2002 wurde der Konzern in über 20 Fällen wegen Wasserverunreinigung zu insgesamt 450 000 englischen Pfund an Bußgeldern verurteilt. Doch das waren Peanuts im Vergleich zu den Kosten der notwendigen Investitionen.

Allerdings hatte RWE damit gerechnet, dass die Regierung unter Tony Blair ebenso nachsichtig gegenüber den Privatisierern sein würde wie seine Vorgängerin Thatcher. Das erwies sich als Fehlkalkulation. Die anhaltenden Proteste in der Bevölkerung fanden auch beim Londoner Bürgermeister Ken Livingstone Gehör. Er riet seinen Mitbürgern in einer Mischung aus Ernst und Scherz:

»Benutzen Sie nach dem Pinkeln die Klospülung nicht mehr! Sparen Sie das Wasser für Ihren Tee auf.«

Da konnte selbst Tony Blair seine investorendienliche Linie nicht durchhalten. Er gründete die Regulierungsbehörde Office of Water Services (Ofwat). Das hatte Folgen: Ofwat verlangte von RWE 714 Millionen Euro an Investitionen für die Trinkwasserleitungen und 470 Millionen Euro für die Abwasserkanäle - dies zwischen 2005 und 2010. Damit sollte der tägliche Wasserverlust von 915 Millionen Liter auf 725 Millionen Liter gesenkt werden. Gleichzeitig verlangte die Behörde, dass die Investitionen nicht auf die Wasserpreise umgelegt werden dürften. Ofwat gestand nur eine Jahresrendite von sechs Prozent zu.

Das ist den RWE-Eigentümern - Allianz Capital Partners, Münchner Rückversicherung und US- Investoren - zu wenig. Mit der Ankündigung des Verkaufs von Thames Water gab der RWE- Vorstand bekannt, dass die Aktionäre in den Jahren 2006 und 2007 eine höhere Dividende erhalten sollen. Die notwendige Rendite sei gegenwärtig nur im Gas- und Stromgeschäft möglich - und eben nicht im Wassergeschäft, wenn dort staatlich reguliert werde. Wer letztlich die Londoner Wasserversorgung saniert - das steht in den Sternen. Es ist gut möglich, dass dies - wie im Falle der britischen Eisenbahn - wieder Aufgabe der Politik wird, die einst so große Hoffnungen in die Privatisierung gesetzt hatte. Werner Rügemer


Ergänzung, 2007:

RWE hatte im Jahr 2000 Thames Water für 7,1 Mrd Euro übernommen und verkaufte es im Dezember 2006 mit der Genehmigung der EU-Kartellbehörde für 11,9 Mrd Euro incl. Schuldenübernahme an das australische Konsortium Kemble Water Limited (dirigiert letztlich von der austral. Macquarie-Bank). Siehe u.a. dazu: Jens Loewe „Das Wassersyndikat“, 2007

(Claus Kittsteiner, www.Berliner-Wassertisch.net)

 

 
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