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11. Januar 2015

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, 20.12.2014

Störfallmanagement in der Wasserversorgung: Neuorientierung!

 

Prof. Dr. Martin Exner und sein Mitarbeiter, Prof. Dr. Thomas Kistemann, haben die erste Ergänzungslieferung zur Loseblattsammlung „Trinkwasser aktuell(s. RUNDBR. 1039/3 – dort auch die bibliographischen Angaben, Preise und Bestelladresse beim Erich-Schmidt-Verlag) genutzt, um einen programmatischen Grundsatzaufsatz zum „Störfall- und Ausbruchsmanagement“ in der Trinkwasserversorgung zu publizieren. Störfälle und Ausbrüche seien auch in der deutschen Wasserversorgung „eine stets aktuelle Herausforderung“. Den adäquaten Vorsorge-Überwachungsstrategien habe man gleichwohl „in Deutschland in der Vergangenheit (eine) eher nur untergeordnete Betrachtung“ geschenkt. Angebracht sei deshalb eine „Neuorientierung der deutschen Trinkwasserversorgung“ damit es tatsächlich zu einer „Erarbeitung von Maßnahmenplänen zur Beherrschung von Störfällen und wasserbedingten Ausbrüchen“ komme.

Im Vergleich zur Anfangszeit der Trinkwasserhygiene würden heutzutage „zusätzliche Risiken“ drohen: U.a. würde der Anteil älterer Menschen mit einer erhöhten Infektionsanfälligkeit mit dem demographischen Wandel zunehmen. Auch immunabwehrgeschwächte HIV-Erkrankte, Säuglinge und Kleinkinder sowie Patienten mit Immunsupression seien gegenüber trinkwassersassoziierten Krankheitskeimen besonderen Risiken ausgesetzt. Deshalb dürfe

„von dem überragenden Schutz- und Rechtsgut Trinkwasser keine, auch noch so geringe Besorgnis ausgehen, sein Genuss oder Gebrauch könnte über ein unvermeidbares Restrisiko hinaus die menschliche Gesundheit gefährden“.

Die beiden Autoren zitieren in dem Zusammenhang auch die EG-Trinkwasserrichtlinie 98/1983. Diese bestimmt in Art. 6(3),

„dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden“ müssen, „um das Risiko der Nichteinhaltung der Parameterwerte zu verringern oder auszuschalten“.

Die Kunden im
Kontaminationsfall informieren!

 

Exner & Kistemann zitieren aus der EG-Trink­wasserrichtlinie auch die Passagen, in denen gefordert wird, die Bevölkerung im Kontaminationsfall sachgerecht zu informieren. So sollen die von einer Grenzwertüberschreitung betroffenen Verbraucher über etwaige Abhilfemaßnahmen, die sie ergreifen sollten, unterrichtet und beraten werden. Nach Art. 8 (3) muss man den Verbrauchern bei einer Nichteinhaltung von Parameterwerten „unverzüglich entsprechende Informationen und Ratschläge“ zur Verfügung stellen. Zitiert wird auch Art. 9(6) zur Information der Bevölkerung über Abweichungen: Danach muss

„die von der Abweichung betroffene Bevölkerung unverzüglich und angemessen über die Abweichung und die damit verbundenen Bedingungen in Kenntnis“ gesetzt werden.

Zudem sollen Bevölkerungsgruppen, für die auf Grund des kontaminierten Trinkwassers „ein besonderes Risiko besteht, Verhaltensratschläge zur Risikominderung“ erteilt werden.

Ähnliches kann man auch in Art. 8 des UNECE/WHO-Protokolls über Wasser und Gesundheit (s. RUNDBR. 979/1-4) lesen: Bei wasserbedingten Ausbrüchen seien

„den zuständigen öffentlichen Instanzen und ggf. der Öffentlichkeit Empfehlungen über Verhütungs- und Abhilfemaßnahmen gegeben werden“.

Nach den §§ 9 und 10 der Trinkwasserverordnung komme bei einer Kontamination dem Gesundheitsamt die Aufgabe zu, die betroffenen Verbraucher über mögliche Verwendungsbeschränkungen und Maßnahmen „angemessen“ (zu) informieren, sie zu beraten und nötigenfalls besonders empfindliche Personengruppen auf besondere Schutzmaßnahmen hinzuweisen. Umgekehrt solle man aber auch auf Informationen aus dem Kreis der Kunden achten: Denn „bisweilen“ würden Beschwerden von Verbrauchern über sensorische Qualitätsveränderungen des Trinkwassers frühzeitig auf die Möglichkeit eines Störfalls in der Wasserversorgung hinweisen.

„Gesundheitsamt und Betreiber sollten deshalb solche Klagen auch als mögliches Auslöse-Ereignis ernst nehmen.

Umweg: Vom Labor über den Wasser­
versorger zum Gesundheitsamt

 

Dass positive Befunde von den Labors („Untersuchungsstelle“) zunächst an den Wasserversorger gehen und erst dann dem Gesundheitsamt weitergemeldet werden müssen, erscheint Exner & Kistemann bedenklich. Dieser „indirekte Meldeweg“ sei „kritisch zu hinterfragen, denn er beansprucht u.U. mehr Zeit, als sonst nötig wäre“.

Die beiden Autoren fügen hinzu, dass derzeit für die Untersuchungsstelle lediglich dann die Möglich besteht, ein Untersuchungsergebnis (auch) direkt dem Gesundheitsamt mitzuteilen, wenn dies zuvor zwischen dem Labor, dem Wasserversorger und dem Gesundheitsamt so vereinbart worden ist. Bedenklich erscheint Exner & Kistemann ferner, dass zwar das UNECE/WHO-Protokoll über Wasser und Gesundheit die Kontaminationsgefahr infolge eines extremen Wettergeschehens erwähnt, das Infektionsschutzgesetz und die Trinkwasserverordnung den Wetteraspekt aber überhaupt nicht berücksichtigen.

Proaktive Benennung eines
Störfallmanagement-Teams

 

Exner & Kistemann empfehlen, dass man nicht erst im Kontaminationsfall, sondern bereits in »Normalzeiten« die Mitglieder für ein Störfallmanaement-Team benennen sollte. Eher am Rande gehen die beiden Hygieniker auf die heikle Frage ein, wie man die Zuständigkeit mehrerer Gesundheitsämter koordinieren kann. Es sei „einvernehmlich“ zu klären, wem in diesem Fall die Aufgabe zukomme, das Störfallmanagement-Team zu leiten. In einer Fußnote wird hierzu noch angefügt:

Die Frage, welche Behörde das kreisübergreifende Störfallmanagement-Team im Stör- oder Ausbruchsfall zunächst zusammenruft, sollten die beteiligten Kreise praxisnah von Fall zu Fall beantworten.“

Der Wasserversorger und das Gesundheitsamt sollten sich,

um im konkreten Störfall möglichst rasch und situationsgerecht reagieren zu können, proaktiv und kooperativ auf ihre spezifischen Aufgaben im Störfallmanagement vorbereiten“.

Exner & Kistemann empfehlen, dass man sichergehen müsse, dass die Alarmierung der Mitglieder des Störfallmanagement-Teams „auch außerhalb der Dienstzeiten und am Wochenende“ funktioniert. Denn „75 % der Wochenzeit liegen außerhalb üblicher Dienstzeiten“.

Was ist ein Störfall
in der Trinkwasserversorgung?

 

Als „Störfall“ bezeichnen es die beiden Autoren von „Trinkwasser aktuell“ wenn es zu einer „(unerwarteten) Nichteinhaltung des Grenzwertes von mindestens einem Parameter der Trinkwasserverordnung“ kommt. Ein Störfall sei es aber auch, wenn sonstige Anforderungen der Trinkwasserverordnung nicht erfüllt werden und dadurch „Anlass zur Besorgnis für eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch das fragliche (beanstandende) Trinkwasser“ besteht.

Den Störfall
regelmäßig“ durchspielen!

 

Exner & Kistemann warnen davor, dass eine unzureichende Vorbereitung des Störfallmanagement-Teams „zu Fehlentscheidungen und Handlungsblockaden“ führen könne. Notwendig sei ein „konsequent durchdachtes Handlungskonzept“. Mitglieder und ihre Vertreter im Störfallmanagement-Team sollten den Ablauf des Handlungskonzeptes „regelmäßig“ durchspielen.

Die beiden Autoren raten, die Verantwortung für alle Entscheidungen im Störfallmanagement-Team „immer auf mehrere Schultern“ zu verteilen. Damit könne man “mögliche Verdächtigungen, dass Interessen-geleitet entschieden wird“, „proaktiv“ ausschließen. Die beiden Hygiene-Experten empfehlen des Weiteren, dass das Störfallmanagement-Team „vorab“ prüfen sollte, ob ähnlich wie in den USA für „bestimmte Entscheidungen“ auch Vertreter der versorgten Bevölkerung, von besonders gefährdeten Risikogruppen und von medizinischen Diensten in das Störfallmanagement-Team eingebunden werden können.

In Vorbereitung eines möglichen Störfalls sollte das Störfallmanagement-Team für kommunikative Aufgaben auch einen Sprecher aus seinen Reihen bestimmen. Der Sprecher bzw. die Sprecherin solle „frühzeitig den Kontakt zu allen Pressemedien und wichtigen Verbrauchergruppen und etwa besonders zu berücksichtigen Risikogruppen“ anbahnen. Und weiter:

Auf Grundlage klarer struktureller Regelungen ist diese Person die nach außen verantwortliche und autorisierte Stimme des Störfallmanagement-Teams und verhindert so, dass sich einzelne seiner Mitglieder später (in der reaktiven Phase) unabgestimmt und widersprüchlich zu einem Störfall und seiner Beherrschung öffentlich äußern.“

Der Sprecher sollte sich auch frühzeitig auf „Skandalisierungsszenarien“ vorbereiten. Man könne nämlich nicht ausschließen, dass ein Störfall mittels Skandalisierung für ein „erfolgreiches ‚agenda setting‘ in der politischen Öffentlichkeit“ ausgenutzt werden könnte.

Netzwerk von Referenzinstituten:
Von der Konkurrenz zur Kooperation

 

In ihrem Fazit plädieren Exner & Kistemann dafür, unabhängige hygienisch-medizinische Referenzinstitute in das Störfallmanagement einzubinden. Etwas kryptisch heißt es dann, dass das Störfallmanagement „jederzeit auf ein Netzwerk“ von Referenzinstituten zurückgreifen sollte, wobei die Referenzinstitute nicht nur untereinander konkurrieren, sondern auch miteinander kooperieren sollten:

Dem Schutz der Verbraucher und der Wasserversorgung sowie der fachlichen Stärkung der Gesundheitsämter käme es sehr entgegen, ein derartiges Netzwerk in Deutschland zu etablieren.“

Störfallmanagement auf 37 Seiten

 

Im RUNDBR. können nur einige wenige Aspekte des umfassenden Aufsatzes von Exner&Kistemann wiedergegeben werden. Der Aufsatz der beiden Autoren umfasst in „Trinkwasser aktuell“ immerhin 37 Seiten, wobei auf das Literaturverzeichnis zwei Seiten entfallen. Die erste Ergänzungslieferung widmet sich in weiteren ausführlichen Kapiteln auch folgenden Themen:

  • „Überwachungsbehördliche Melde- und Berichtspflichten sowie Anzeige- und Informationspflichten des Wasserversorgungsunternehmens“;

  • „Grundbegriffe und Struktur der Datenbeurteilung sowie der toxikologischen Bewertung von Stoffen im Trinkwasser“ (22 S.);

  • „Calcium und Magnesium im Trinkwasser“;

  • „Geruch, Geschmack und Färbung – Herkunft, Bedeutung und Quantifizierung“


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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