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14. November 2018

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, 21. Oktober 2018

Zoff zwischen Gesundheitsamt und
kommunaler Wasserversorgung

 

Einmal mehr hat sich in Bayern ein Konflikt zwischen einer für die Wasserversorgung zuständigen Kommune und dem zuständigen Gesundheitsamt derart zugespitzt, dass man sich demnächst vor dem Verwaltungsgericht treffen wird. Der Konflikt hat sich daran entzündet, dass das Gesundheitsamt des Landkreises Augsburg die Gemeinde Dinkelscherben – westlich von Augsburg gelegen - zunächst zu einem Abkochgebot und anschließend zu einer langandauernden Sicherheitschlorung verdonnert hatte. Gemeinderat und Bürgermeister sehen durch diese Anordnungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Gegen die Anordnungen des Gesundheitsamtes hat die Gemeinde Klage eingereicht. Nachfolgend die Chronologie eines eskalierenden Streits um die Auslegung des Besorgnisgrundsatzes in der Trinkwasserverordnung. (Zur bundesweiten Bedeutung von Keimbefunden und Abkochgeboten in der Trinkwasserversorgung.

Marode Trinkwasserversorgung:
Über 100 Beanstandungen

 

Mitte Mai 2018 wurde zunächst ein Abkochgebot für die Kunden der Oberschöneberger Wassergruppe ausgesprochen. An der Wassergruppe ist die Gemeinde Dinkelscherben beteiligt, die für einige von ihren Ortsteilen auch Trinkwasser von dieser Gruppenwasserversorgung bezieht. Grund für das Abkochgebot war der Nachweis eines coliformen Keimes in einer Wasserprobe aus einem Hochbehälter der Oberschöneberger Wassergruppe – siehe:

http://www.dinkelscherben.info/
index.php/rathausservice/meldungen/
390-abkochanordnung

Verantwortlich für den Keimbefund sei der heftige Pollenflug der Nadelbäume im Mai 2018 gewesen, so die »Entschuldigung« der Gemeinde. Offenbar seien möglicherweise bakteriell belastete Pollen über die Belüftung des Hochbehälters in das Trinkwasser gelangt. In ihrem Facebook-Auftritt gab die Gemeinde bekannt, dass für das Abkochgebot aber nicht nur der eine Keimbefund verantwortlich sei. Das Gesundheitsamt hätte darüber hinaus noch mehr zu monieren gehabt. Hierzu zitierte die Gemeinde aus der Abkochanordnung des Gesundheitsamtes:

Bei der Überprüfung/Begehung der Wasserversorgung der Marktgemeinde Dinkelscherben durch das Gesundheitsamt am Landratsamt Augsburg und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) am 06.02. und 08.02.2018 wurden umfangreiche und teilweise gravierende Mängel festgestellt. Die Wasserversorgung der Marktgemeinde Dinkelscherben entspricht nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik (§ 17 Abs. 1 TrinkwV).“

Und weiter heißt es in dem Facebook-Auftritt, dass neben teilweiser technisch nicht mehr adäquater Anlagen und nicht erfüllter organisatorischer Voraussetzungen (z.B. nur Wasserwarte statt Wassermeister) „vor allem bislang kaum beachtete, periphere Einflüsse, große Probleme“ bereiten würde. Dazu gehöre u.a. eine derzeit unbekannte Anzahl von

• Totsträngen
• toten Leitungen
• Füllschläuche von Heizungsanlagen
• Viehtränkebecken ohne freien Einlauf
• Regenwasseranlagen/Zisternen am Trinkwassernetz

Insgesamt habe die Mängelliste des Gesundheitsamtes über 100 Punkte umfasst.

Besorgnisgrundsatz erfordert präventive Maßnahmen

 

Da es in den vergangenen Jahren in der Region immer wieder zu Keimbefunden in der Trinkwasserversorgung gekommen war, hatte sich nach Presseberichten das Gesundheitsamt in Augsburg „alarmiert“ gezeigt. Deshalb hatte das Gesundheitsamt begonnen, alle Wasserversorgungsanlagen im Landkreis auf die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln zu überprüfen. Basierend auf diesem Hygienecheck hatte das Gesundheitsamt am 6. Juni 2018 zusätzlich auch ein Abkochgebot für die Dinkelscherbener Wassergruppe ausgesprochen. Grund hierfür war nicht ein positiver Keimbefund, sondern das – oben genannte - desaströse Ergebnis der Überprüfung der Wasserversorgungsanlagen in Dinkelscherben.

Mit Schreiben vom 23.05.18 gab das Landratsamt der Marktgemeinde Dinkelscherben Gelegenheit sich innerhalb einer Woche zu dem schwerwiegenden Mängelbericht zu äußern. Ergänzend zu dem Mängelbericht hob das Gesundheitsamt die Bedeutung des Besorgnisgrundsatzes im Infektionsschutzgesetz (§ 37(1)) und in der Trinkwasserverordnung (§ 4(1)) hervor. Der Besorgnisgrundsatz sei in der Rechtsprechung abschließend geklärt. Danach sei das Gesundheitsamt verpflichtet, präventive Maßnahmen (also insbesondere Abkochgebot und Sicherheitschlorung) „schon in einem sehr frühen Verdachtsstadium“ in die Wege zu leiten.

Gemeinde: Hygienemängel bestehen nur „angeblich“

 

In einem sechsseitigen Antwortschreiben setzte sich die Marktgemeinde Dinkelscherben gegen die Anordnungen und Vorwürfe des Gesundheitsamtes zu Wehr. Dass die Besorgnisse des Gesundheitsamtes maßlos übertrieben seien, würde sich schon daraus ergeben, dass in der Dinkelscherbener Gruppe bei den Routineanalysen in den letzten Jahren nie eine Grenzwertüberschreitung aufgetreten sei:

Der Markt versorgt seit Jahrzehnten mehr als 5.000 Menschen, ohne dass es jemals zu gravierenden Problemen gekommen wäre.“

Um einen erneuten Polleneintrag in den Hochbehälter zu verhindern, habe man an den Be- und Entlüftungsanlagen „Sofortmaßnahmen“ ergriffen – um im schmissigen Ton sodann zu schreiben:

Problem erkannt, Problem beseitigt, Ursache erkannt, Ursache beseitigt. Aus unserer Sicht besteht daher kein Anlass, das Abkochgebot weiterhin aufrechtzuerhalten oder eine Sicherheitschlorung anzuordnen.“

Und was die übrigen „angeblichen“ Mängel betreffen würde, habe der Marktrat ein Sechs-Millionen-Euro-Programm zur Sanierung der Anlagen auf die Schiene gesetzt. Im Hinblick auf den vereinzelten Befund eines coliformen Keimes in der Oberschöneberger Gruppe sei aus Sicht der Gemeinde anzumerken, dass auch das DVGW-Technologie-zentrum Karlsruhe vor einem übertriebenen Aktionismus gewarnt habe:

Sporadische Befunde“ an coliformen Keimen sollten für das Gesundheitsamt „nicht Anlass zu weitergehenden Maßnahmen wie z.B. einer Abkochempfehlung sein. Auch die Inbetriebnahme einer Desinfektion sollte erst bei wiederholten Befunden in Erwägung gezogen werden.“

Auch insofern fehle es der Gemeinde an „jedem Verständnis“ für die angekündigte Sicherheitschlorung für beide Versorgungsgruppen – zumal sich viele Forscher einige wären, dass Chlor „sehr gefährlich“ für die menschliche Gesundheit sein könne. „Giftiges Chlor“ dem „nachweislich sauberen Trinkwasser“ mit der Gefahr „chronischer Langzeitvergiftungen“ zuzusetzen, sei „extrem medienrelevant und schadet dem Ansehen und dem Ruf der Kommune“. Durch die Sicherheitschlorung würden „Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung (…) geweckt, auch das kann krankmachen“. In einem TV-Beitrag kommentierte der 2. Bürgermeister von Dinkelscherben die drohende Chlorungsgefahr: „Lieber Durchfall als Krebs!“

Gesundheitsamt:
Gemeinde kapiert nicht den Ernst der Lage

 

Das Gesundheitsamt konterte am 6.6.18 mit einem 12seitigen Bescheid auf die Positionierung der Marktgemeinde Dinkelscherben. Neben der sofortigen Anordnung zur Sicherheitschlorung schreibt das Gesundheitsamt sinngemäß, dass man in Dinkelscherben offenbar noch nicht den Ernst der Situation verstanden habe, der sich aus dem desolaten Zustand der Gewinnungs- und Versorgungsanlagen ergeben würde. Sauer reagierte man im Gesundheitsamt darüber, dass die Gemeinde einige Keimbefunde erst gar nicht dem Gesundheitsamt gemeldet habe. U.a. deshalb ordnete das Gesundheitsamt eine deutlich höhere Frequenz bei der Beprobung sowie die Erstellung einer Gefährdungs- und Risikoanalyse an.

Die Notwendigkeit einer Sicherheitschlorung ergebe sich daraus, dass es dem Staatlichen Gesundheitsamt aufgrund der eklatanten Defizite als „hinreichend wahrscheinlich“ erscheine, „dass ein erneuter Störfall in der Trinkwasserversorgung der Marktgemeinde Dinkelscherben“ eintreten wird. Insgesamt müsse man feststellen, „dass die Wasserversorgung des Marktes Dinkelscherben (…) seit Jahren außerhalb der gesetzlichen Vorgaben der Trinkwasserverordnung betrieben“ würde. Der mangelhafte Zustand der Anlagen sei der Gemeinde „bereits seit dem Jahr 2012 bekannt“. Das Gesundheitsamt sei „in gutem Glauben“ davon ausgegangen, dass sich die Gemeinde „um die zeitnahe Abstellung der Mängel“ bemühen würde. Aber „trotz mehrfacher Belehrungen“ seien nicht einmal die Mängel „mit hoher hygienische Relevanz“ beseitigt worden. Um das weitere Eindringen von Pollen in den Hochbehälter zu verhindern habe man seitens der Gemeinde als Provisorium nur einen Fleece um die Belüftungsöffnungen des Behälters gewickelt. Dies entspreche mit Nichten den Anforderungen an Filtermaterial in der einschlägigen Norm DIN EN ISO 16890, so die Bewertung des Provisoriums durch das Gesundheitsamt.

Aufgrund der Vielzahl von Mängeln und Defizite bleibe dem Gesundheitsamt schon rein rechtlich im Hinblick auf den Besorgnisgrundsatz gar keine andere Wahl als die sofortige Anordnung der Sicherheitschlorung – und zwar so lange, bis zumindest die schwerwiegendsten Mängel in den Gewinnungsanlagen und im Leitungsnetz abgestellt seien. Sobald eine hinreichende Wirkung der Chlorung im gesamten Netz nachgewiesen sei, könne das Abkochgebot in beiden Wasserversorgungsgruppen aufgehoben werden.

(Wer sich für die Details aus dem bemerkenswerten Schlagabtausch zwischen der Marktgemeinde Dinkelscherben und dem Gesundheitsamt des Landkreises Augsburg interessiert, kann den gesamten Schriftwechsel auf
http://www.dinkelscherben.info/index.php/
leben-wohnen/ver-und-entsorgung/
wasserversorgung
unter „2018 Abkochen und Chloren“ nachlesen.)


Die Sicherheitschlorung als „ökologischer Irrsinn“

 

Die Abkochgebote für die beiden Wasserversorgungsgruppen sind am 7.7. bzw. am 9.7.18 zu Gunsten der Sicherheitschlorung aufgehoben worden. Der Nachweis der hinreichenden Wirkung der Chlorung in Dinkelscherben bereitete zunächst große Schwierigkeiten, weil in vielen Endsträngen des Leitungssystems auf Grund zu geringen Durchflusses die vorgeschriebene Konzentration von freiem Chlor von 0,1 bis 0,3 mg/l nicht erreicht wurde. Der Bürgermeister von Dinkelscherben, Edgar Kalb, sprach in dem Zusammenhang von „ökologischem Irrsinn“: Um die angeordnete Chlorkonzentration im gesamten Wassernetz zu erreichen, sei es technisch notwendig, die Endstränge im Wassernetz dauerhaft zu spülen. Spülen bedeute aber Wasser laufen zu lassen. Dafür habe man in diesen Bereichen mit wenig Wasserentnahme spezielle Einrichtungen anbringen müssen. Tag und Nacht laufe dort Trinkwasser mitsamt dem zugesetzten Chlor in den nächsten Gulli, ließ Kalb auf Facebook veröffentlichen. Laut dem Dinkelscherbener Wasserwart summiere sich das täglich durch Spülen verbrauchte Trinkwasser auf etwa 400 000 Liter. Die Menge reiche aus, um innerhalb von drei Tagen das Dinkelscherbener Freibad zu füllen.

Der Bürgermeister und der Marktgemeinderat ärgern sich auch über den kostenträchtigen Analyseaufwand, der mit dem Nachweis der vorgeschriebenen Chlorkonzentration verbunden sei. So veröffentlichte Bürgermeister Kalb die Kosten, die allein für die bakteriologischen Untersuchungen des Trinkwassers von Mitte Mai bis Juni 2018 entstanden waren: Der Gemeinde sollen 13.500 Euro (netto) für mehr als 500 Proben in Rechnung gestellt werden. Dazu kämen etwa 200 Arbeitsstunden der Wasserwarte für Probennahmen und Lieferungen ins Labor. „Gebracht hat der ganze Aufwand am Ende leider gar nichts“, so Kalb, „trotz keimfreier Proben wurden die Abkoch- und Chlorungsanordnungen (…) erteilt“, zitierte die Stadtzeitung Augsburg das erboste Gemeindeoberhaupt. Gegen die als völlig überzogen empfundenen Anordnungen des Gesundheitsamtes hatte der Bürgermeister schon Mitte Juni 2018 Klage gegen das Gesundheitsamt beim Verwaltungsgericht Augsburg erhoben.

Nach unserer Einschätzung dürften die Chancen der Marktgemeinde Dinkelscherben vor dem Verwaltungsgericht minimal sein. In einem ähnlich gelagerten Fall, in dem es noch deutlich heftiger zwischen den betroffenen Gemeinden und dem zuständigen Gesundheitsamt zugegangen war, hatte das Gesundheitsamt bis hoch zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof auf der ganzen Linie Recht bekommen – siehe RUNDBR. 1063/3.

Einen Dreiminuten-TV-Beitrag über eine Bürgerinformationsveranstaltung in Dinkelscherben mit fast 500 Teilnehmenden und über die dort vorgetragenen gegensätzlichen Positionen der maßgeblichen Akteure von Gemeinde und Gesundheitsamt können die LeserInnen des WASSER-RUNDBRIEFS unter

https://www.augsburg.tv/mediathek/video/
chlorung-in-dinkelscherben-
gesundheitsamt-vs-marktgemeinde/

abrufen.

Dass wohl nicht nur in Bayern einige kommunale Wasserwerke noch nicht auf der Höhe der Zeit sind, kann im RUNDBR. 1077/3-4 nachgelesen werden.

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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