aktualisiert:
2. April 2024

  Nachrichten  

WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief Nr. 1219, 28. März 2024

 

Die Schwammstadt – eine Chimäre?

 

Das Konzept der Schwammstadt gilt als probates Mittel, um die Städte besser gegen Überflutungen und Hitzewellen zu wappnen. Aber die Schwammstadt kommt aus der Nische nicht heraus. In Neubauvierteln und auf Konversionsgeländen, wo aus alten Kasernen neu Wohnblocks und Gewerbeareale werden, werden die Schwammstadtprinzipien inzwischen breit angewandt – also beispielsweise genug Versickerungsflächen, Baumanpflanzungen und Gründächer.

Aber die eigentliche Herausforderung ist der Bestand. Dort greift das Schwammstadtkonzept nur, wenn eine Baulücke geschlossen oder ein Gebäude von grundauf umgestaltet wird. Damit die Schwammstadt aber im Hinblick auf Hitzemilderung, weniger Hitzetote und die Verringerung abflusswirksamer Oberflächen einschließlich einer geringeren Beaufschlagung der Kanalisation überhaupt großflächig zum Tragen kommt, müssen mindestens ein Viertel bis ein Drittel der versiegelten Stadtfläche entsiegelt und begrünt werden. Da winken die meisten Stadträte – und die Verwaltung sowieso – ab: Völlig utopisch! Man begnügt sich ganz realpolitisch mit dem Backen kleiner Brötchen: Wenn eh eine Umgestaltung ansteht, schaut man, was an Schwammstadtprinzipien realisiert werden kann. Und oft genug lässt man selbst diese „Gelegenheitsfenster“ nutzlos verstreichen.

Fazit: Über ganz Deutschland betrachtet, passiert im Bestand - gemessen an den Notwendigkeiten - so gut wie nichts. Die Begrifflichkeit „Schwammstadt“ führt bei Google zu einer unübersehbaren Zahl von Treffern – tatsächlich bleibt die Schwammstadt aber eine Chimäre.

Mit der 0,5 %-Initiative zu mehr Tempo
auf dem Weg zur Schwammstadt

 

Wie schon im RUNDBR. 1213/2 erläutert, wollen wir in Freiburg erstmals in Deutschland die aus der Schweiz kommende 0,5 Prozent-Idee zur Anwendung bringen: Die Städte sollen sich verpflichten, jährlich 0,5 Prozent des öffentlichen Straßen- und Parkplatzraums zu entsiegeln und mit Bäumen zu bepflanzen. In zehn Kommunen der Schweiz – von St. Gallen bis Genf – stand dieses Ansinnen der dortigen Stadtklimainitativen zur Volksabstimmung oder wird noch zur Abstimmung gestellt. Die Verwaltungen haben mit Gegeninitiativen reagiert – soll heißen, dass die Vorschläge in „abgemilderter“ Form übernommen worden sind. Statt 0,5 Prozent werden zunächst mal nur 0,3 oder 0,2 Prozent realisiert. Aber auf jeden Fall kommt somit endlich eine Taktung, Verbindlichkeit und Nachprüfbarkeit in die kommunale Klimaanpassungspolitik.

In Freiburg haben wir mit dem hinhaltenden Widerstand der Stadtverwaltung und der Gemeinderatsfraktionen (selbst der GRÜNEN) zu kämpfen, die genau dieser zeitlichen Taktung, Verbindlichkeit und Messbarkeit aus dem Weg gehen wollen. Aber wir bleiben am Ball – und freuen uns, wenn die Idee auch anderenorts in Deutschland aufgegriffen wird! Mehr zu unserer Initiative auf unserer neuen Homepage
www.schwammstadt-freiburg.de

Den Fernwärmeausbau für den
Umbau zur Schwammstadt nutzen!

 

Wie diametral sich die Denke zwischen den kommunalen Verwaltungsspitzen und uns darstellt, zeigt sich am Fernwärmeausbau. Für die kommunale Wärmewende müssen in den nächsten Jahren viele Kilometer neue Fernwärmetrassen in den Straßen zahlreicher Kommunen in Deutschland und in der Schweiz verlegt werden. Für die Verwaltung ist klar, dass wegen des Fernwärmeausbaus die Flächenkonkurrenzen weiter zunehmen und noch weniger Platz für Retentionsflächen, Entsiegelungen und Baumanpflanzungen übrig bleiben wird. „Viele Leitungen sind der Bäume Tod“, so beispielsweise der Freiburger Baubürgermeister.

Demgegenüber ergibt sich für uns aus dem Fernwärmeausbau aber DIE Chance, das Schwammstadtkonzept in der Breite zu realisieren. Wenn eh kilometerlang die Straßen aufgerissen werden, kann man doch gleich rechts und links vom Verlegegraben schauen, wo noch Platz für Entsiegelungen und Baumanpflanzungen bleibt. Während die Verwaltungen von einer Unverträglichkeit der unterirdischen Infrastruktur mit Baumanpflanzungen ausgehen, sind wir von den Möglichkeiten einer „friedlichen Koexistenz“ von Straßenbäumen und Leitungen überzeugt. Dabei orientieren wir uns u.a. am Beispiel der Stadt Bern, wo das dortige Tiefbauamt den Fernwärmeausbau gezielt zur ökologischen und sozialen Aufwertung des öffentlichen Straßenraums nutzt – und das mit breiter Unterstützung der Berner WählerInnen. Das Konzept war in einer Volksabstimmung abgesegnet worden – siehe:

https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/stadt-will-parallel-zu-fernwaermeausbau-strassenraum-aufwerten

Die Hürden auf dem Weg zur „Schwammstadt“

 

Berlin muss zur Schwammstadt werden“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vom 26.04.23. Aber so richtig voran geht es auch in Berlin nicht.

So haben Politik und Stadtplaner das Ziel, unterm Strich Jahr für Jahr ein Prozent der Innenstadtfläche von der Kanalisation zu nehmen, vorerst aufgegeben“,

konnte man im dem Artikel „Die saugfähige Stadt“ in der Süddt. Ztg. vom 2.9.23 lesen – und weiter:

Am Ende müssen es jedoch 25 bis 30 Prozent der Stadtfläche werden, die autark mit Regenwasser arbeiten. Dann erst funktioniert das Schwammstadtprinzip (…) Um ganz Berlin zum Schwamm werden zu lassen, schätzt der Chef der Wasserwerke, wären zwischen fünf und zehn Milliarden Euro nötig.“

Empfohlen wird in dem SZ-Aufsatz das „Huckepack-Prinzip“. Jede Baustelle im Berliner Straßennetz soll zur Chance werden, um auf dem Weg zur Schwammstadt voranzukommen:

Ist eine Straße einmal aufgerissen, könnten zusätzliche Rinnen zur Versickerung eingebaut oder Mulden bei Bäumen eingeplant werden.“

Doch was pragmatisch klingt, sei lt. SZ „in der Praxis hochkompliziert“. Es müssten dabei nämlich die unterschiedlichsten Behörden zusammenarbeiten: „Straßenbau, Stadtplanung, Grünflächenamt, Wasserwerke.“ Und jede Behörde habe ihr eigenes Regelwerk und ihre eigenen Vorstellungen. Empfohlen wird ein Blick nach Kopenhagen, wo man bei der Transformation zur Schwammstadt deutlich weiter sei.

Der Umbau zur Schwammstadt
funktioniert nur mit Bürgerbeteiligung

 

Der „Wolkenbruchplan“ in Kopenhagen wurde in der Süddt. Ztg. am 18.11.23 vorgestellt. Unter der Überschrift „Der große Umbau“ wurde dort postuliert:

Städte müssen grüner und auch freundlicher werden, um der Klimakatastrophe zu trotzen. Doch in Deutschland passiert zu wenig – andere Länder machen vor, wie es geht.“

Zitiert wird in dem SZ-Artikel Friedrich Hetzel, Abteilungsleiter bei der Deutschen Vereinigung für Wasser, Abwasser und Abfall (DWA):

Wir hätten in Deutschland beim Weg zur Schwammstadt „kein Wissens-, sondern ein eklatantes Umsetzungsdefizit. Unterschiedliche Ämter haben unterschiedliche Anforderungen und Bedenken. Es fehlt oft an einer Top-down-Instanz, die Maßstäbe setzt.“

Soll wohl heißen, dass die Transformation zur Schwammstadt Chefsache sein müsste. Die Oberbürgermeisterin bzw. der Oberstadtdirektor müssen sich selbst darum kümmern. Denn die KlimaanpassungsmanagerInnen in den Umweltschutzämtern seien gegenüber den anderen Ämtern nicht weisungsbefugt. Und zudem würden die anderen Ämter „vor allem an die eigenen Aufgaben und nicht an Querschnittsaufgaben wie die Klimaanpassung“ denken. Die Folge für das Schwammstadt-Ranking: „Einen richtigen Vorreiter haben wir unter den deutschen Städten nicht.“

Außer am Beispiel von Kopenhagen könne man sich hierzulande u.a. an der Stadt Rotterdam orientieren. Dort werde die Umbau zur Schwammstadt nämlich genutzt, um in den Problemvierteln den Straßenraum auch sozial aufzuwerten. Ärmere Wohnviertel seien „freundlicher und sicherer geworden“. Mit etwas Fantasie könnten sich Wohnungs- und Schwammstadtprogramme ergänzen. „Beim Klima geht es eben immer auch um das gesellschaftliche Klima.“ Angesagt sei das Schmieden von pragmatischen Plänen, wobei die Missstände - wie die soziale Spaltung in den Städten immer mitgedacht werden müsse. Notwendig sei zudem die Beteiligung der BürgerInnen bei der Transformation zur Schwammstadt, um die soziale Akzeptanz gewährleisten zu können.

Fazit der Mängelliste: Noch würden in den Städten nur einzelne Ideen umgesetzt. Zumeist sei „kein Gesamtplan“ erkennbar, in den sich auch die BürgerInnen aktiv einbringen könnten. Im Hinblick auf die BürgerInnenbeteiligung sei Kopenhagen ebenfalls ein Vorbild. Der dortige „Wolkenbruchplan“ finanziere sich vor allem über eine Erhöhung der Wassergebühren für die Haushalte. „Trotzdem findet er breite Akzeptanz.“ Eben wegen der Beteiligungsmöglichkeiten für die Einwohnerinnen und Einwohner.


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
Zurück zur Startseite


  2005 by wd team stuttgart      xxl sicherheit