Seit
              einigen Jahren wird die Privatisierung von Unternehmen der öffentlichen
              Hand, auch solchen, die Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnehmen,
              verstärkt umgesetzt. Die Privatisierung öffentlicher
              Unternehmen wie vermehrt auch öffentlicher Aufgabenbereiche
              der Hoheitsverwaltung bis hin zu solchen der Gefahrenabwehr soll,
              so wird argumentiert, den Menschen größere Freiräume
              nicht nur in wirtschaftlicher, sondern überhaupt in persönlicher
              Hinsicht eröffnen. Zugleich sollen die Kosten für die
              bisher in öffentlicher Verantwortung erbrachten Leistungen
              sinken und damit der Staatshaushalt entlastet sowie die Effizienz
              der Unternehmen erhöht werden.
          Soweit
                ersichtlich, ist bis heute noch kein Versuch unternommen worden,
                den Wahrheitsgehalt
              solcher Auffassungen zu überprüfen.
            Allerdings fällt anhand der Erfahrungen des Alltags auf, dass
            kaum etwas billiger geworden ist. Man denke nur an die Müllabfuhr,
            die Versorgung mit Beförderungsleistungen oder die Lieferung
            elektrischer Energie. Lediglich das Telefonieren ist mit weniger
            Kosten als zuvor verbunden. Des Weiteren muss man fragen, ob die
            Versorgung mit bisher in öffentlicher Verantwortung erbrachten
            Leistungen nach der Privatisierung verlässlicher geworden ist
            oder ob nicht im Gegenteil das Leistungsvermögen und damit für
            viele Bereiche die Sicherheit für die Benutzer oder Verbraucher
            gesunken sind (Zusammenbruch von Stromleitungsmasten; großflächige
            Blackouts in den USA; marodes Schienennetz in Großbritannien).
          Der Staat muss
              vor weiteren Schritten in Richtung einer Privatisierung von Bereichen,
              sei es
              der Daseinsvorsorge, sei es vor allem der Gefahrenabwehr,
            an seine Verantwortung erinnert werden, die ihm aus dem Sozialstaatsprinzip
            des Grundgesetzes erwächst. Diese Verantwortung verbietet es,
            dass sich der Staat zu der Wahrnehmung solcher Aufgaben privater
            Dritter bedient, auf die er keinen bestimmenden Einfluss hat und
            die er deshalb nicht so einsetzen kann, als ob er die Aufgabe noch
            in eigener Verantwortung erfüllen würde. Es geht nicht
            um Staatsdirigismus, sondern darum, vor einem gesamtverfassungsrechtlichen
            Hintergrund Kriterien für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
            staatlichem und privatem Sektor zu entwickeln, damit die Souveränität
            eines Staatswesens zum Schutz der ihm anvertrauten Menschen erhalten
            bleibt.
          Gewinnmaximierung,
              die für jedes Unternehmen selbstverständlich
            legitim ist, und Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben schließen
            einander denknotwendig aus. Öffentliche Aufgaben sind im Gegensatz
            zu privatwirtschaftlicher Betätigung auf den Staat und die seiner
            umfassenden Fürsorge anvertrauten Menschen ausgerichtet. Diese
            unumstößliche Tatsache scheint weithin aus dem Blick geraten
            zu sein. Die gegenwärtige Entwicklung, die nachhaltig von der
            gemeinschaftsrechtlichen (EU) und der internationalen Ebene (IWF,
            WTO, Weltbank) geprägt wird, lässt eine Vielzahl von Problemen
            entstehen, ohne angemessene Lösungen anzubieten, und vermag
            dies letztlich auch wegen struktureller Defizite nicht zu leisten: Über
            die Frage der staatlichen Souveränität hinaus tut man sich
            schwer, noch tragfähige Ansatzpunkte für eine Selbst-,
            nicht für eine Fremddefinition eines Staatswesens zu finden.
            Insofern erfahren die Grundrechte in ihrer institutionellen Ausprägung
            insgesamt eine Gefährdung, nicht nur in ihrem subjektiven Gehalt.
          Anders formuliert:
              wenn sich der Staat der Erfüllung öffentlicher
            Aufgaben dadurch entzieht, dass er substanzielle Teile des Gemeinwesens
            privatisiert und letztlich ungebunden durch private Dritte erfüllen
            lässt, dann entsteht die Gefahr, dass der Staat seine
            Macht zur Selbstdefinition verliert und sich letztlich selbst in
            Frage
            stellt. Wofür steht er noch, wenn er sich selbst eines großen
            Teils seiner Substanz begibt?
          Es kann
                auch nicht ausgeschlossen werden, dass mit der Privatisierung öffentlicher
            Aufgaben Korruption und Schattenwirtschaft wachsen. Sie führen
            schon jetzt weltweit zur Schwächung zahlreicher Staaten, weil
            notwendige Finanzmittel für eine stabile Infrastruktur und ausgewogene
            Gesellschaft verloren gehen.
          Schon vor den
              Arbeitsmarktreformen war in Deutschland ein Ansteigen der Zahl
              der Arbeitslosen von
              185 072 im Jahre 1971 bis zu 4 342
            400 im Mai 2003 bei einem gleich bleibenden Rückgang der offenen
            Stellen in diesem Zeitraum von 648 084 auf 393 500 zu beobachten.
            Auch wenn man den Sondereinfluss der deutschen Wiedervereinigung
            außer Betracht lässt, verläuft die Entwicklung kontinuierlich,
            und eine Wende ist nicht zu erkennen. Das müsste genügend
            Anlass sein, verstärkt über die Auswirkung von Privatisierungsmaßnahmen
            auf das Beschäftigungsniveau nachzudenken und der Frage nachzugehen,
            ob es hier nicht Abhängigkeiten gibt.
          Es ist unverkennbar,
              dass es diese gibt. Mit der Privatisierung und der Entlassung einer
              Aufgabe aus der öffentlichen Verantwortung
            geht häufig die Umwandlung regulärer Arbeitsverhältnisse
            in irreguläre einher. Mit der Privatisierung öffentlicher
            Aufgaben begibt sich der Staat zudem weithin jeder Lenkungsmöglichkeit.
          Wettbewerb muss
              naturgemäß darauf ausgerichtet sein,
            einen Mitbewerber zu übertreffen und ihn letztlich bei eigenem
            Wachstum aus dem Wettbewerb zu verdrängen. Das heißt,
            dass in vielen Branchen eine Konzentration unausweichlich ist, damit
            aber die Abhängigkeit von einigen wenigen Anbietern begründet
            wird. Als Beispiel mag die Bahn dienen. Wenn es nur noch einen Anbieter
            für Lokomotiven oder Bahngleise gibt, ist der Spielraum der
            Deutschen Bahn AG als Nachfrager sehr überschaubar.
          Ein weiterer
              Gesichtspunkt stützt diese Sicht: Nicht nur die
            Nationalstaaten, sondern auch die EU kommen nicht umhin, den Wettbewerb
            je nachdem mehr oder weniger intensiv zu kontrollieren. Eine solche
            Kontrolle setzt auf einer niedrigen Stufe bei Wettbewerbshandlungen
            wie Werbung an und mündet in die Kontrolle von mehr oder weniger
            vorteilhaften Unternehmenszusammenschlüssen ein. Widerspruchsfrei
            ist formal auch von daher die Privatisierungseuphorie jedenfalls
            nicht. Besonders deutlich wird dies, wenn infolge der Privatisierung
            staatliche Monopole durch private Monopole ersetzt werden.
          Wenn sich der
              Staat immer mehr der Wahrnehmung öffentlicher
            Aufgaben durch Privatisierung entledigt, verliert er damit Handlungs-
            und Gestaltungsspielräume. Das bedeutet letztlich, dass er großenteils
            seine Politikfähigkeit einbüßt. Nicht der
            Staat bestimmt mehr die Richtlinien der Politik und die Entwicklung
            des Staatswesens
            und seiner Gesellschaft, sondern dies tun demokratisch nicht legitimierte
            Private. Diese kann er aber infolge der Privatisierung nicht mehr
            steuern, wenn er seine Nachfragemacht nicht in die Waagschale werfen
            kann. Mit der Privatisierung entzieht der Staat hunderttausenden,
            wenn nicht ein oder zwei Millionen regulären Arbeitsverhältnissen
            die rechts- und sozialstaatlich gesicherte Grundlage, wenn diese
            zu einer Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer
            oder - im Inland - zu einem Arbeitsplatzsplitting in Minijobs oder
            gar zu illegalen Beschäftigungsverhältnissen führt.
            Er begibt sich damit nicht nur seiner Vorbildfunktion im Beschäftigungsbereich,
            sondern auch der stabilisierenden Wirkung für die gesamtwirtschaftliche
            Situation über die Nachfragemacht seiner Beschäftigten
            als Konsumenten. Dieser Doppeleffekt im Primär- und Sekundärbereich
            entfällt.
          Letztlich
                wird der Staat erpressbar. Wenn etwa die Eisenbahn privatisiert und
              dann möglicherweise über die Börse undurchsichtigen
            Eigentümerstrukturen geöffnet wird, könnte der Staat
            mit seiner Volkswirtschaft schwer geschädigt werden, wenn etwa
            der Gesamtbetrieb für ein oder zwei Wochen ausfällt, und
            das gezielt. Das Gleiche gilt im Bereich der Energiewirtschaft. Des
            Weiteren verabschiedet sich der Staat mit der Privatisierung zahlreicher,
            zunehmend zahlloser öffentlicher Aufgaben auch aus dem Ausbildungs-
            und Nachwuchssektor.
          Weithin aus
              dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist auch,
            welchen unvertretbaren Einfluss internationale Ratingagenturen auf
            die Güte eines Staatswesens nehmen. Wenn eine solche,
            weder demokratisch noch sonst unter übergeordneten Gesichtspunkten
            legitimierte oder gar kontrollierte Ratingagentur Deutschland abstuft,
            kostet dieses Vorgehen nicht den Finanzminister, sondern den Steuerzahler
            Milliarden von Euro. Man muss sich allen Ernstes fragen, ob es nicht
            hoch an der Zeit ist, hier energisch gegenzusteuern und durch ein Überdenken
            der undifferenzierten Privatisierung öffentlicher Aufgaben jedenfalls
            die Schranken aufzurichten, die national aber auch gemeinschaftsrechtlich
            noch möglich sind. Welche Maßlosigkeit auf der einen Seite,
            aber auch welche Hilflosigkeit und Ohnmacht eines Staates werden
            deutlich, wenn eine Ratingagentur - wie jüngst geschehen - Deutschland
            Auflagen macht. Wer bestimmt die Richtlinien der Politik in diesem
            Land?
          Des Weiteren
              muss in dem fortschreitenden europäischen Integrationsprozess
            nachgefragt werden, ob durch die Schwächung der Mitglieder über
            Privatisierung und Wettbewerb nicht diesen und der Gemeinschaft ein
            Bärendienst erwiesen und der Integrationsprozess insoweit problematisch
            wird, weil die Gemeinschaft den Substanzverlust bei den Mitgliedstaaten
            durch den Zwang zur Privatisierung und die Eröffnung von Wettbewerb
            auf der Gemeinschaftsebene nicht ausgleichen kann. Der Umstand, dass
            die für eine Privatisierung vorgesehenen Bereiche in der Regel
            europaweit ausgeschrieben werden müssen, ist nicht das zentrale
            Problem. Die Privatisierung als solche ist das Problem.
          Die Fragestellung
              lautet unmissverständlich: Welche Bereiche
            der staatlichen Aufgabenwahrnehmung dürfen vor dem Hintergrund
            der verfassungsrechtlichen Bindungen privater Wahrnehmung überantwortet
            werden und welche nicht? Aus einer verfassungsrechtlichen Gesamtschau:
            nichts was den Staat in Frage stellt und seine Souveränität
            beeinträchtigt oder beschränkt. Diese Prüfsteine gelten
            wegen des staatlichen Gewaltmonopols für die gesamte Gefahrenabwehr
            und wegen des Sozialstaatsprinzips für die elementaren Bereiche
            der Daseinsvorsorge.
          Es fehlt nicht
              an alternativen, angemessenen und effektiven Lösungen: Öffentliche
            Aufgaben dürfen nicht privatisiert werden, wie es in der bisher üblichen
            Form geschieht. Vielmehr müssen alle diese Aufgaben, angefangen
            vom Bau von Straßen, den Tätigkeitsfeldern der Deutschen
            Post und der Deutschen Bahn, aber auch die Versorgung mit Energie
            in instaatlicher Obhut befindliche Fonds eingebracht werden. Das
            hätte mancherlei Vorteile, vor allem für den Staat selbst
            und seinen Haushalt - wie das Haushaltsdefizit und das ständige
            Verfehlen der Ziele des EU Stabilitätspakts belegen - wie auch
            für die ihm anvertrauten Menschen.
          Mit dem Einbringen öffentlicher Aufgaben in solche Fonds behält
            der Staat seine Handlungsfähigkeit und seine Souveränität.
            Er liefert sich nicht anonymen, nicht zu kontrollierenden
            Kräften
            aus. Zugleich schafft der Staat damit die werthaltigen, auch in der
            Zukunft noch bestehenden Anlageobjekte (Gegenbeispiele: kränkelnde
            Immobilienfonds), die für die Entwicklung einer tragfähigen
            privaten Altersvorsorge dringend benötigt werden. Offenbar reichen
            Börsencrash und der durch mangelnde Nachfrage und Leerstand
            bedingte Verfall der Industrie- und Gewerbemieten noch nicht aus,
            damit hier ein Umdenken eintritt. Es ist vor dem gegebenen Verfassungshintergrund
            zwar nicht unzulässig, gleichwohl aber sehr bedenklich, private
            Altersvorsorge zu fordern und zu fördern, wenn der Staat selbst
            nicht in der Lage ist, geeignete Anlageobjekte zur Verfügung
            zu stellen. Die Lebensversicherer haben die Rendite senken müssen
            und viele, die verantwortungsvoll schon selbst Vorsorge, etwa über
            Mietobjekte oder Aktien getroffen hatten, stehen vor dem Nichts.