aktualisiert:
31. Januar 2013

 

 

 

 

 

 

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  Untersuchungen  


WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, 15.12.2012

Das Hygienekonzept für die
Trinkwasserversorgung im Wandel

 

Das bisherige mikrobiologische Untersuchungskonzept in der Trinkwasserversorgung erweist sich mehr und mehr als unzureichend. Die reine „Endproduktkontrolle“ reicht nicht mehr aus. Ferner bildet die mikrobiologische Analytik von nur 100 ml Wasser nicht das Ganze zu erwartende Spektrum von Mikroorganismen im Wasser ab. Das seit einem Jahrhundert bewährte Konzept der Untersuchung von E. coli und coliformen Keimen erweist sich im Hinblick auf neue mikrobiologische Erkenntnisse und Vorsorgestrategien zusehend als unzureichend. Durch die Anwendung neuer WHO-Empfehlungen rückt mehr und mehr die Untersuchung der Rohwasserqualität in den Fokus.

Weil die Trinkwasserkommission voraussichtlich künftig verschärfte Anforderungen an die Hygiene stellen wird, müssen sich die Wasserversorger darauf einstellen, dass der mikrobiologische Untersuchungsumfang ansteigen wird. Der wachsende Kostendruck – u. a. bedingt durch das rigide Vorgehen der Kartellämter – könnte sich als kontraproduktiv für die Umsetzung anspruchsvollerer Hygieneanforderungen in der Trinkwasserversorgung erweisen.

Dies sind die Kernaussagen eines Workshops zu neuen mikrobiologischen Bewertungskonzepten in der Trinkwasserversorgung. Der Workshop fand im Mai 2012 im Rahmen des RiSKWa-Projektes (siehe RUNDBR. 999/1) statt.

Details können in den nachfolgenden Notizen nachgelesen werden. Weitere Informationen gibt es bei der RiSKWa-Koordination:

Frau Dipl.-Ing. Susanne Huckele
DECHEMA e. V.
Forschungsförderung und Tagungen
Theodor-Heuss-Allee 25
60486 Frankfurt am Main
Tel: (069) 7564-413; Fax: (069) 7564-117
E-Mail: huckele@dechema.de

 


Emerging pathogens“ führen
zu neuen Vorsorgestrategien

 

Im Rahmen des groß angelegten Forschungsverbundes „Risikomanagement von neuen Schadstoffen und Krankheitserregern im Wasserkreislauf“ (RiSKWa, siehe http://www.riskwa.de, siehe 999/1) beschäftigen sich mehrere Forschergruppen auch mit einer Weiterentwicklung der hygienischen Standards in der Trinkwasserversorgung. Um das vorhandene Hygiene-Know-How des aus 12 Forschungsverbünden bestehenden RiSKWa-Projektes zusammenzuführen, hat am 14. Mai 2012 in Frankfurt ein erstes Fachgespräch zum Querschnittsthema „Bewertungskonzepte der Mikrobiologie“ stattgefunden.

Die Leitung der Gesprächsrunde im Frankfurter DECHEMA-Haus hatte Prof. MARTIN EXNER übernommen. Der Direktor des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit in Bonn stellte sich als das dienstältestes Mitglied der Trinkwasserkommission und deren Vorsitzender vor. Exner kündigte an, dass in der Kommission in den nächsten Monaten und Jahren die Mikrobiologie ein Schwerpunktthema sein wird. Die Überarbeitung und Konkretisierung der Leitlinien „Was tun bei Ausbrüchen?“ sei auch deshalb erforderlich, weil man es zunehmend mit „emerging pathogens“ zu tun be-komme. So hätten neu auftretende Keime wie E-HEC das Gesundheitswesen in Norddeutschland zum „Ächzen“ gebracht. Bemerkenswert sei gewesen, dass der betreffende EHEC-Stamm eine niedrigere Infektionsdosis als „normale“ E. coli gehabt hätte. Bedenklich erscheine auch das Auftreten von nosokominalen Erregern, die als antibiotikaresistente Keime beispielsweise in Indien auch via Trinkwasser übertragen werden. Die Gefahr bestehe, dass derartige „Krankenhauskeime“ bei uns eingeschleppt werden könnten. Bemerkenswert sei ferner, dass Parasiten wie Cryptosporidien und Giardien bei uns routinemäßig gar nicht untersucht würden.

Nach diesem Überblick über die sich wandelnde Bedrohungssituation erläuterte Exner die Zielsetzungen in der Trinkwasserhygiene: Erforderlich seien umfassendere Bewertungskonzepte.

„Die Gesellschaft erwartet von uns Strategien, die dann im angewandten Gesundheitsschutz umgesetzt werden können.“

Der Vorsitzende der Trinkwasserkommission unterstrich in diesem Zusammenhang, dass seit 100 Jahren die Konzepte zur Vorsorge und Ri-sikominimierung nicht mehr weiterentwickelt worden seien. Die mikrobiologischen Trinkwasseranalysen würden sich in der Regel ausschließlich auf bakterielle Indikatoren beschränken. Diese selektive Vorgehensweise habe sich für die klassischen trinkwasserbedingten Seuchen bis heute durchaus bewährt. Aufgrund neuer Erkenntnisse in der Mikrobiologie und der Epidemologie müsse man dieses beschränkte Konzept aber überdenken.

 


100 ml Probenahmevolumen
reichen nicht mehr aus

 

Anschließend verdeutlichte der Bonner Hygiene-Fachmann den entscheidenden Unterschied zwischen chemischen und mikrobiologischen Belastungen des Trinkwassers: Während chemische Kontaminanten chronische Schäden zur Folge hätten, erfordere eine mikrobiologische Belastung ein sofortiges Handeln – also ein sofortiges Abkochgebot, bis die Stoßchlorung beim Verbraucher ankommt. Dabei sei zu beachten, dass bakterielle Krankheitserreger in der Infektionsdosis große Unterschiede aufweisen könnten. Die Infektionsdosis könne so niedrig liegen, dass die bislang übliche Routineanalytik mit 100 ml Probenahmevolumen in Frage zu stellen sei. So sei es beispielsweise im Hinblick auf EHEC nicht statthaft, anzunehmen, dass ein Nichtnachweis in 100 ml eine Risikofreiheit bedeute. Die niedrige Infektionsdosis von EHEC habe auch Bedeutung für die Badwasserqualität. Insofern solle man bei den Fluss- und Badegewässeruntersuchungen im RiSKWa-Projekt auch EHEC ins mikrobiologische Untersuchungsspektrum aufnehmen. Aufgrund der Beprobung in Einzelwasserversorgungen in Bayern sei bekannt, dass auch dort positive Befunde öfters vorkommen würden.

 


Auf die Rohwasserbeschaffenheit
kommt es an!

 

Das Umweltbundesamt und die Trinkwasserkommission seien sich einig, dass das traditionelle Überwachungskonzept ergänzt werden müsse: Bei primär aus dem Rohwasser stammenden Erregern müssten die Erreger quantitativ erfasst werden. Nur dann könne in der Risikobewertung beurteilt werden, ob Maßnahmen im Einzugsgebiet und/oder in der Aufbereitung erforderlich seien. EXNER verwies in diesem Zusammenhang auf die Begründung zu § 14 (4) der Trinkwasserverordnung. Würden tatsächlich trinkwasserbürtige Erkrankungen auftreten, könnten sich Wasserversorger und Gesundheitsämter nicht mehr auf die Einhaltung des veralteten Konzepts zurückziehen. Künftig werde jedes Wasserwerk über die Rohwasserbeschaffenheit Rechenschaft ablegen müssen. Die Forderung von Prof. EXNER:

„Jeder Wasserversorger muss wissen, wie es mit dem Rohwasser unter bestimmten Witterungseinflüssen aussieht. Jeder Wasserversorger muss die Effizienz der Aufbereitung belegen können.“

Dazu diskutiere man in der Kommission standardisierte Verfahren, die für Rohwasser in speziellen Fällen über 100 ml Volumina hinausgehen könnten.


Die Wetterabhängigkeit
der Rohwasserbelastung

 

Für EXNER kommt es darauf an, wetterbedingte Hochrisikoperioden – beispielsweise Starkniederschlagsereignisse nach längeren Trockenwetterphasen – mit in die Bewertung einzubeziehen. Zu beachten sei hierbei, dass die Abklingzeit für das Auftreten von Erregern nach Starkniederschlagsereignissen einzugsgebietsspezifisch sei. Basierend auf den Untersuchungen im Einzugsgebiet müsse man eruieren, welche Schritte im Einzugsgebiet vonnöten sind – beispielsweise die Verlegung von besonders gesicherten Abwasserleitungen, die Ertüchtigung von Kläranlagen oder eine Reduzierung der Beweidungsintensität im Einzugsgebiet. Erst wenn man an der Schraube im Einzugsgebiet nicht mehr drehen könne, müsse man an die Aufbereitung ran. Der Auswahl der geeigneten Aufbereitungstechnik müsse der schlechteste Befund im Rohwasser zu Grunde gelegt werden. Nur dann könnten eventuell auftauchende Peaks sicher abgefangen werden. Eine kurzzeitige Spitzenbelastung reiche aus, um einen Ausbruch zu provozieren, so die Warnung von EXNER. Im Hinblick auf Viren erläuterte der Vorsitzende der Trinkwasserkommission die analytischen Schwierigkeiten: Bei hochvirulenten Viren wäre die Untersuchung von bis zu mehreren 10.000 Litern Trinkwasser von Nöten. Im stärker belasteten Rohwasser brauche man weniger Volumina für den analytischen Nachweis. Die Konzentration im Rohwasser sei aber u. a. vom Wetter abhängig – vor allem in Hinblick auf die Einschwemmung von Erregern auf Grund von Starkniederschlägen. Die Probenahmen müssten in die kritischen Phasen gelegt werden.

 


Konzentration x Virulenz x Antibiotikaresistenz

 

Der Bonner Hygiene-Professor rief anschließend noch einmal das WHO-Bewertungskonzept in Erinnerung: Die Gefährdung ergäbe sich aus der Konzentration der Mikroorganismen und deren Virulenz – wobei man diesbezüglich eine sehr breite Varianz schon innerhalb der E. coli konstatieren müsse. In die Gefährdungsbeurteilung müsse außerdem die Antibiotikaresistenz der Mikroorganismen sowie der spezifische Immunstatus der sensibelsten Trinkwasserkonsumenten einbezogen werden. EXNER wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass beispielsweise bei Noroviren keine langandauernde Immunität vorhanden sei und AIDS-Kranke ohnehin einen schlechten Immunstatus aufweisen würden. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass eine älter werdende Bevölkerung generell anfälliger werden könnte.

 


Durchkreuzen die Kartellämter
die Vorsorgestrategie?

 

EXNER zog das Fazit, dass sich die Verfahren zur Risikobewertung derzeit „in einem großen Wandel befinden“ würden. Im Hinblick auf die wachsenden Anforderungen an die Trinkwasserhygiene erwähnte EXNER den zunehmenden Druck der Kartellbehörden. Die Preissenkungsverfügungen und der dadurch verursachte Kostendruck könnten die Abwälzung der Kosten im Gefolge steigender Hygieneanforderung auf Preise erschweren.

„Wenn das zum Zuge kommt, werden die Wasserwerke vor den eigentlich notwendigen Investitionen zurückschrecken“,

so die Befürchtung des Hygiene-Professors.

 


Gibt es einen Goldstandard
für die Analyse von Viren?

 

Auch Frau Dr. BEATE HAMBSCH kam in ihrem Vortrag über „Vorkommen und Nachweisverfahren für Mikroorganismen und Viren im Wasser“ zum Ergebnis, dass die bisherige „Endproduktkontrolle“ allein nicht mehr ausreiche. Die Untersuchung auf Indikatoren für fäkale Erreger (E. coli) erfasse nicht die viralen Gefährdungen. Die Mitarbeiterin des DVGW-Technologiezentrums Wasser (TZW) in Karlsruhe erläuterte, dass bei dem niedrigen Größenbereich der Viren von max. 100 nm eine Eliminierung anspruchsvoll sei. Hinzu komme die niedrige Infektionsdosis der Viren. Außerdem bedinge der Nachweis von Viren einen hohen analytischen Aufwand. Auch wenn eine Anreicherung von bis 1.000 Litern erfolge, müsse man teilweise eine sehr geringe Wiederfindungsrate in Kauf nehmen. Weil Bakteriophagen in einer größeren Anzahl als Viren auftreten, seien sie als virale Indikatoren geeignet. Aufwendige Anreicherungsverfahren könne man sich ersparen. Zudem seien Bakteriophagen in Bezug auf Umweltstabilität und Rückhaltung gut mit enteropathogenen Viren vergleichbar.

HAMBSCH erläuterte, dass die Erfassung der mikrobiellen Belastungen entlang des Rheins seit dem Jahr 2011 mit der Analytik von Coliphagen ergänzt worden sei. Deren Konzentrationen hätten um zwei Zehnerpotenzen geschwankt. Eine feste Korrelation zur Wasserführung habe man nicht feststellen können. Allerdings sei zu beobachten, dass sowohl Coliphagen als auch E. coli und andere Mikroorganismen auf der Fließstrecke zunehmen würden. Im Hinblick auf Phagen habe man auch Talsperren unter Hochwassereinfluss untersucht. Wenn man allerdings im Rohwasser in stark belasteten Talsperren nur 20 Phagen findet, könne man in der Aufbreitung keine 5 Log-Stufen nachweisen. Generell sei zu beachten, dass der Eliminationsgrad in der großtechnischen Aufbereitung in Bezug auf Viren nicht gemessen werden könne – dies sei allenfalls halbtechnisch mit Aufstockungsversuchen mit Referenzpathogenen möglich.

In der anschließenden Diskussion wurde die Indikatorfunktion von Bakteriophagen allerdings in Zweifel gezogen. „Es gibt keinen Goldstandard für Viren“, so die Überzeugung eines Workshop-Teilnehmers. Hamsch führte hierzu aus, dass es eine direkte Korrelation zwischen dem Auftreten von Bakteriophagen und humanpathogenen Keimen nicht geben würde. Für die Einfachheit der Analytik sei aber wichtig, dass Bakteriophagen sehr viel häufiger als Adenoviren, geschweige denn Noroviren, seien. Humanpathogene Viren werde es nur geben, wenn beim beprobten Vorfluter Abwassereinleitungen erfolgen würden.

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge.
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