RAUEN.
Der Wohnzimmertisch ist bedeckt mit Papieren: Gerichtsbeschlüsse,
Beschwerden, Klagen, Anzeigen. Barbara Plenzke hat schon selbst keinen Überblick
mehr, wie vieleVerfahren sie und ihr Mann seit dem Jahr 2000 geführt
haben. "Dreißig vielleicht", sagt sie. Doch mit dem
letzten amtlichen Schreiben, das sie aus dem Briefkasten ihres Einfamilienhauses
in Rauen (Oder-Spree) holte, ist der Höhepunkt des neun Jahre
währenden Rechtsstreits um den Zwangsanschluss ihres Grundstücks
an das zentrale Abwassernetz erreicht. Das Amtsgericht in Frankfurt
(Oder) ordnete die Zwangsversteigerung von Haus und Grundstück
an. Wenn die Plenzkes nicht bis morgen die inzwischen auf 3000 Euro
gestiegenen Kosten für den Abwasseranschluss bezahlen, kommt ihr
Zuhause unter den Hammer.
Die Geschichte um Brandenburgs "Abwasserrebellen" beginnt
eigentlich schon Mitte der 80er -Jahre. Damals zogen Plenzkes mit den
beiden Töchtern nach Rauen ins selbst gebaute Eigenheim. Vom Rat
der Gemeinde erhielten sie für das nichtangeschlossene Grundstück
eine "wasserrechtliche Nutzungsgenehmigung" und errichteten
eine hochökologische Kleinkläranlage, bei der keinerlei Abwasser
mehr übrig bleibt. "Mein Mann war ja vom Fach, hatte er doch
beim Abwasserzweckverband gelernt", sagt Barbara Plenzke. Doch nach
der Wende wurde auch der Teil von Rauen, in dem die Plenzkes wohnen,
an die Kanalisation angeschlossen. Den Einwohnern entstanden dabei erhebliche
Kosten.
Auch Plenzkes sollten angeschlossen
werden. "Obwohl die von unserer
Kleinkläranlage wussten", sagt Barbara Plenzke, die beruflich
Behinderte betreut. 11500 Mark sollte der Anschluss kosten. Zuviel für
die Familie, die den Anschluss ablehnte. Das juristische Hick-Hack begann.
Der Zweckverband wollte anschließen, weil es die damalige Satzung
so vorsah. Dass die Anlage ökologisch arbeitet, wie ein Ingenieurbüro
den Plenzkes im September 2005 bescheinigte, spielte keine Rolle. "Es
wurden keine die Umwelt negativ beeinflussenden Faktoren festgestellt.
Einleitungen jeder Art ins Erdreich unter dem Grundstück wurden
nicht festgestellt: es gab auch keinen Grund oder Anlass, eine solche
Einleitung zu vermuten", hieß es im Gutachten.
Selbst die Polizei war mehrfach
auf Betreiben des Zweckverbandes vor Ort, um den Zwangsanschluss durchzusetzen
- sie weigerte sich aber, wegen
der Unverhältnismäßigkeit der Mittel einzugreifen. Im
vorigen September erfolgte der zwangsweise Anschluss ans öffentliche
Netz, die Kosten dafür wurden gerichtlich auf rund 2 300 Euroh herabgesetzt. "Ein
Erfolg", sagt Barbara Plenzke. Doch zahlen konnten sie trotzdem
nicht - Pfändungen blieben erfolglos, es gab nichts mehr zu holen.
"Der Antrag auf Zwangsversteigerung war nicht der erste Schritt
in dieser Auseinandersetzung. Plenzkes haben bisher noch überhaupt
nichts bezahlt und auf keine Zahlungsaufforderung reagiert", sagt
Manfred Reim, der FDP-Bürgermeister von Fürstenwalde und zugleich
Verbandsvorsteher beim Zweckverband. Man wolle den Plenzkes aber wahrlich
nicht das Haus unter dent Hintern wegziehen.
Und
Marlies Görsdorf, die technische Geschäftsführerin
des Zweckverbands, sagt: "Plenzkes müssen sich an den Kosten
für die Gesamtanlage beteiligen, wie alle. Das beruht auf dem Solidarprinzip.
Egal, ob sie die Anlage nutzen oder nicht. "Weder Pfändung
noch Ratenvereinbarungen seien erfolgreich gewesen. Nur unregelmäßig
gingen Zahlungen der Plenzkes ein. Daher der Antrag auf Zwangsversteigerung. "Wir
haben schließlich eine Abgabeerhebungspflicht."
Das Vorgehen des Gläubigers sei nicht normal und "total unverhältnismäßig",
sagt Rechtsfachwirtin Henriette Kersten, die die Plenzkes vertritt. Die
Höhe der Schuld stehe nicht im Verhältnis zu der jetzt angedrohten
Maßnahrne. Zumal bei einer Zwangsversteigerung noch ein Gutachter
bestellt werden müsse, der den Verkehrswert des Grunclstücks
ermitteln soll. "Das sind dann noch einmal 1500 Euro, die die Familie
bezahlen müsste", sagt Henriette Kersten. Sie habe den Plenzkes
aber geraten, die 3000 Euro irgendwie aufzutreiben und zunächst
zu bezahlen.
Die Landtagsabgeordnete Renate
Adolph (Linke) wirft dem Zweckverband vor, im Fall Plenzke seine Monopolstellung
sichern zu wollen. "Die
Familie soll ruiniert werden", sagt die Verbraucherschutzexpertin.
Zudem sollen Aktivisten, die auf ökologische Kleinkläranlagen
setzen, abgeschreckt werden. "Dabei hat der Landtag vor sechs Jahren
diese Anlagen im ländlichen Raum explizit erlaubt", sagt sie.
Nur drei Prozent der Haushalte wollten eine Kleinkläranlage.
Barbara Plenzke wird versuchen, das Geld bis morgen irgendwie aufzutreiben.
Sie hat beim Landesverfassungsgericht Klage gegen den Zwangsanschluss
eingereicht. Eine Entscheidung steht noch aus.
3000 Euro
Kläranlage:
Mitte der 80er-Jahre zogen Barbara und Thomas Plenzke mit ihren Kindern
nach Rauen. Da es dort keine Kanalisation gab, erhielten sie eine "wasserrechtliche
Nutzungsgenehmigung" und bauten 1986 eine eigene kleine ökologische
Kläranlage.
Klärwerke:
Nach der Wende entstanden in Ostdeutschland riesige Kläranlagen
die mit Steuergeld gefördert wurden. Auch in Fürstenwalde.
Das Klärwerk dort war einst für 48000 Haushalte ausgelegt,
klärt aber bereits die Abwässer von fast 60 000 Haushalten.
Streitbeginn:
Der Streit begann im Jahr 2000. Damals erhielt Familie Plenzke vom Zweckverband
einen Bescheid über die Festsetzung eines Abwasseranschlussbeitrages über
11500 DM. Dagegen gingen sie gerichtlich vor und gewannen. Daraufhin
wurde der Herstellungsbeitrag auf 2283,40 Euro festgelegt.
Streithöhepunkt:
Weil Plenzkes nicht zahlten, ordnete das Amtsgericht Frankfurt (Oder)
Anfang Februar dieses Jahres die Zwangsversteigerung des Grundstücks
in Rauen an. Bis Mittwoch müssen Plenzkes insgesamt rund 3000
Euro aufbringen; zu den Anschlusskosten kommen erhebliche Säumnisgebühren.