Die
Artikel gegen Anreizregulierung sagen leider nur die halbe Wahrheit.
Fakt ist, dass die Anreizregulierung, so wie sie momentan im Bundeswirtschaftsministerium
diskutiert wird, gerade nichts gegen die großen Energiekonzerne
ausrichtet, sondern vor allem gegen die vielen, meist in städtischer
Hand befindlichen Stadtwerke gerichtet ist. Es gibt sogar Bestrebungen
in der Bundesnetzagentur, dass gerade die vier großen Übertragungsnetzbetreiber
von der Anreizregulierung ausgenommen werden sollen.
Halbwahr ist auch die
Behauptung, dass sich viele Stadtwerke längst
im Besitz der großen Energieversorgungsunternehmen befänden
und daher deren Gewinninteressen vertreten würden. Zwar gab
es in den letzten Jahren bei mehr als 100 Stadtwerken einen Beteiligungswechsel
(meist Minderheitsbeteiligungen), der zu einem maßgeblich gestiegenen
Einfluss der großen Stromkonzerne auf die örtlichen Verteilunternehmen
führte, jedoch sind die große Mehrheit der ca. 800 Stadtwerke
nach wie vor in kommunaler Hand. Von den insgesamt 1371 im VKU [Verband
kommunaler Unternehmen] organisierten Unternehmen haben die meisten
(459) zudem eine öffentliche Organisationsform (meist sind sie
kommunale Eigenbetriebe), die eine Beteiligung eines privaten Unternehmens
gar nicht möglich macht.
Diese unabhängigen Stadtwerke bieten derzeit in Deutschland
den einzigen Gegenpol zur dominierenden Marktmacht der großen
Vier. Letztere stehen als Betreiber zentraler Großtechnik (Braunkohle-
und Kernkraftwerke) einer nachhaltigen Energieversorgung im Wege.
Dem gegenüber können Stadtwerke die örtlichen Potenziale
der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung und der regenerativen Energien
am besten nutzen. Durch ihre wirtschaftliche Betätigung leisten
Stadtwerke nennenswerte Beiträge zu Wertschöpfung, Beschäftigung
und Aufrechterhaltung des ÖPNV. Die Gemeinden erhalten diverse
Steuern, Konzessionsabgaben und Gewinnabführungen und können
damit Kindertagesstätten einrichten, Schulen sanieren, Bäder
betreiben, Kultureinrichtungen fördern usw. Kurzum: Es verhältn
sich mit Stadtwerken ganz anders als mit großen Aktienunternehmen
wie RWE und E.ON, die ledigleich Shareholder-Value-Interessen ihrer
Aktionäre bedienen.
Für das Ziel einer nachhaltigen Energieversorgung wäre
es hilfreich, eine Anreizregulierung zu schaffen, die nicht zu einer
Flurbereinigung kommunaler Netzbetreiber führt. Das Bundeswirtschaftsministerium
sollte sich stattdessen auf die energiepolitische Frage konzentrieren,
wie die erdrückende Marktmacht der vier großen Übertragungsnetzbetreiber
beseitigt werden kann.
Oliver Wagner, Wuppertal