Der folgende Beitrag
schildert die Umstände und alarmierenden Ergebnisse
rund um eine dieser angeblich Beispiel gebenden Erfahrungen – die
Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, Europas und Deutschlands
größtem Wasserunternehmen.
Die Teilung der
Stadt Berlin in Folge des Zweiten Weltkriegs führte
1949 auch zur Trennung der Wasserwirtschaft in Ost- und Westbetriebe.
Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 wurden die getrennten Wasserbetriebe
zum 1.Januar 1992 wieder zusammengeführt. Heute versorgen neun moderne
Wasserwerke die Stadt mit Trinkwasser, welches aus über 800 Brunnen
dem Grundwasser entnommen wird. Durch 7.800 km Rohrleitungen gelangt
es schließlich zu den Verbrauchern. Ein Netz von 9.220 km Abwasserkanälen
- das entspricht der Entfernung von Berlin bis Peking - gewährleistet
die Entsorgung. Über die Kanalisation gelangt das Abwasser zu 146 über
das Stadtgebiet verteilten Abwasserpumpwerken, durch die es zu sechs
Klärwerken gelangt, die die reinigende Aufgabe der früheren
Rieselfelder übernommen haben. Mit dieser gewaltigen Infrastruktur
stellen die Berliner Wasserbetriebe (BWB) für rund 3,7 Millionen
Menschen eine existentielle Einrichtung dar. Zudem erwirtschaftete das
kommunale Wasserunternehmen vor der Teilprivatisierung Jahr für
Jahr Millionenbeträge, die als Einnahmen in die Haushaltskasse Berlins
gespült wurden.
Es
stellt sich also die Frage, warum ein solch gut funktionierender
und einträglicher Betrieb verkauft wird.
An mangelnder Wasserqualität oder Quantität kann es nicht
gelegen haben, die wurde von niemandem in Frage gestellt. Serviceleistungen
und Kundenbetreuung gaben ebenfalls kaum Anlass für Beschwerden.
Bleibt das immer wieder zu hörende Argument der leeren Haushaltskassen
in Berlin. Das scheint zunächst plausibel, ist aber nicht die eigentliche
Ursache.
Die entscheidenden
Impulse für den Verkauf der kommunalen Wasserunternehmen
sind vielmehr im Expansionsdrang der großen sogenannten Multi Utility-Unternehmen
zu finden, die nach immer neuen Anlagemöglichkeiten suchen, sowie
in der die globale Ökonomie prägenden Ideologie des sogenannten
Neoliberalismus. Demzufolge werden Privatisierung oder Teilprivatisierung
seit den 80er Jahren als Modell propagiert und der Staat zieht sich mehr
und mehr aus den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge zurück.
Die Vorreiterrolle in Europa nahm Großbritannien ein. Unter Margaret
Thatcher wurde die bis dahin kommunale Wasserwirtschaft in Regionalunternehmen
zusammengefasst und bereits 1989 komplett privatisiert.
Die Bilanz nach
zehn Jahren ist erschreckend: Die Verbraucherpreise haben sich von
1989 bis 1999 durchschnittlich von jährlich 120 auf
242 Pfund verdoppelt, im gleichen Zeitraum gingen rund 9.000 Arbeitsplätze
verloren, im Trockenjahr 1995 kam es zu Versorgungskrisen und notwendige
Investitionen bleiben aus, so dass auch die Wasserqualität tendenziell
abnimmt. Auf der anderen Seite konnten Konzerne wie Severn Trent Water
innerhalb von zehn Jahren ihre Gewinne mehr als verdoppeln.
Ein "Privatisierungs-Meisterstück"
In Berlin wurde
die Privatisierung kommunaler Betriebe zunächst
unter dem Leitbild des "schlanken Staates" propagiert, wie
es der damalige Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung vom 25. November 1995 auf den Punkt brachte: "Es
geht um Ordnungspolitik und einen schlanken Staat". In der SPD war
die ordnungspolitische Argumentation nicht mehrheitsfähig und der
damalige regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) bemerkte
sehr treffend: "Bei der SPD kommt man nur über die Spardiskussion
an die Privatisierung heran." Er sollte Recht behalten. Mit der
seit 1996 obersten Finanzverwalterin des Berliner Senats, Annette Fugmann-Heesing
(SPD), kippte die Stimmung in der SPD. Mit dem angeblichen Sachzwang
zum Sparen gewann die neue Finanzsenatorin in kurzer Zeit die Mehrheit
innerhalb ihrer Partei für den gewünschten Privatisierungskurs.
Nichts war mehr sicher: Gas- oder Stromversorgung, Messe, Wohnungsbaugesellschaften
oder Krankenhäuser - es wurde alles verkauft, was der privaten Wirtschaft
Gewinne versprach.
"Sie kam, sah und verkaufte", titelte die Berliner Morgenpost
am 16. August 1997: "Annette Fugmann-Heesing wird als Privatisierungssenatorin
in die Geschichte Berlins eingehen. Seit die SPD-Politikerin im Januar
1996 das Finanzressort übernommen hat, ist das Tafelsilber nicht
mehr sicher. Alte Tabus und Grundsätze der Sozialdemokraten werden
mit dem Rechenschieber über den Haufen geworfen."
In Vorbereitung
auf die Privatisierung waren die Wasserbetriebe bereits zum Januar
1994 von einem Eigenbetrieb, bei dem eine private
Kapitalbeteiligung
nicht möglich ist, in eine Anstalt des öffentlichen Rechts
umgewandelt worden. Dadurch erhielt der kommunale Betrieb die rechtliche
Möglichkeit eigenständigen unternehmerischen Handelns, womit
die Voraussetzung für die Teilprivatisierung geschaffen war.
Nachdem der SPD/CDU-Senat
am 7. Juli 1998 die Teilprivatisierung beschlossen hatte, machte das
Berliner Abgeordnetenhaus am 29. April
1999 den Weg
endgültig frei. Gegen die Stimmen der Opposition von PDS und Grünen
sowie einiger Abgeordneter aus SPD und CDU wurde der Antrag über
die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe "mit großer
Mehrheit angenommen", wie es im Wortprotokoll zu dieser entscheidenden
zweiten Lesung heißt. Während SPD und CDU zuvor die Vorteile
der Teilprivatisierung be- schworen, stellten im Verlauf der Lesung vor
allem PDS- und Grünen-Abgeordnete die negativen Folgen der Teilprivatisierung
sowie mögliche Alternativen ausführlich dar: "Es gäbe
finanzpolitisch und ordnungspolitisch auch die Alternative einer Konzessionsabgabe",
wie Frau Dr. Schreyer von den Grünen darlegte und ihre Rede mit
den Sätzen enden ließ:
"Die Privatisierung ist ordnungspolitisch der falsche Weg, weil
sie ein privates Monopol schafft, und finanzpolitisch ist es der falsche
Weg, und er wird dazu führen, dass die Wasserpreise rapide ansteigen.
Und dieser Weg gefährdet Tausende von Arbeitsplätzen in Berlin."
Die Abgeordnete
Schreyer sollte genauso Recht behalten wie Gerlinde Schermer von der
SPD-Minderheit, die bezüglich der absehbaren Preiserhöhungen
resümierte: "es kommt nicht so sehr darauf an, die Preise zu
kontrollieren, sondern die Profite, die hier herausgezogen werden."
All diese Mahnungen
drangen kaum an die Ohren der Öffentlichkeit.
Die Bevölkerung wurde durch die Zeitungsmeldungen beruhigt, dass
es bis 31. Dezember 2003 keine Preiserhöhungen und betriebsbedingte
Kündigungen geben würde und dass zudem der Berliner Haushalt
durch den Verkaufserlös erheblich entlastet würde.
Lediglich die damalige
Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport
und Verkehr ÖTV (jetzt Verdi) hatte im Vorfeld des Verkaufs ihren
Protest auf die Straße getragen. Sie organisierte einen Demonstrationszug
mit über 7.000 ArbeiterInnen und Angestellten, an dem sich auch
Beschäftigte anderer von Privatisierung bedrohter Betriebe beteiligten.
Quer durch Berlin führte die Demonstration zur Deutschlandhalle,
wo eine Gesamtpersonalversammlung abgehalten wurde. Insbesondere gegen
die SPD und ihre Finanzsenatorin Fugmann-Heesing richtete sich die offenkundige
Wut der Beschäftigten. Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Klaus Böger,
der sich noch ein halbes Jahr zuvor für den Erhalt der Wasserbetriebe
als Anstalt öffentlichen Rechts ausgesprochen hatte, wurde wegen
seines Umschwenkens bei seinem Auftritt vor der Versammlung minutenlang
ausgepfiffen.
Gegen die große Koalition der Privatisierungsbefürworter
aus SPD und CDU hatte der gewerkschaftliche Protest indes zu wenig Druck
entwickelt, um alternative Konzepte überhaupt in Position zu bringen.
Gesellschaftlich durchgesetzt hatte sich bereits das Bild, dass es keinerlei
Alternative zu Privatisierungen gebe und kommunale Daseinsvorsorge ein
Relikt vergangener Zeiten sei, wie die Tageszeitung Berliner Morgenpost
am 21. Mai 2002 vermeldete: Der Senat solle sich doch endlich von seinem
Unternehmensbesitz trennen, denn das Land halte seine Anteile schließlich "unter
anderem wegen der Idee, die Kontrolle darüber zu behalten, wer die
Bevölkerung versorgt - eine Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert".
Schließlich gingen 1999 nach einem internationalen Investorenauswahlverfahren
durch die Investmentbank Merill Lynch 49,9 % der Betriebs-Anteile der
Berliner Wasserwerke für 1,687 Mrd. Euro an ein Konsortium des deutschen
RWE- Konzerns und der französischen Vivendi - heute Veolia, die
zweit- und drittgrößten Wasserkonzerne der Welt. Zunächst
war auch noch der Allianz Versicherungskonzern beteiligt, der sich aber
2002 aus dem Geschäft zurückzog und seine Anteile zu gleichen
Teilen an RWE und Vivendi verkaufte. Es entstand die Berlinwasser Holding
AG, unter deren Dach die Berliner Wasserbetriebe als Anstalt des öffentlichen
Rechts mit anderen -zuvor aus den BWB ausgegliederten - Gesellschaften
zusammengefasst wurden.
Sowohl
an der Holding als auch an den Wasserbetrieben hält das Land Berlin bis heute 50,1 Prozent. Finanzsenatorin Fugmann-Heesing
stilisierte diese Holding zu einem Modell mit "bundesweitem Pilotcharakter",
während Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) eine "hervorragende
Ausgangsposition" erkannte, um die "enormen Wachstumspotenziale" im
Ausland zu nutzen. Der damalige Bürgermeister Eberhard Diepgen gratulierte
den beiden Senatoren noch während der Senatssitzung zu diesem "Privatisierungs-Meisterstück".
Die Mehrzahl der
Berliner Abgeordneten haben die näheren Vertragsbestimmungen
offen- sichtlich bis heute nicht zur Kenntnis genommen oder sie ignorierten
bewusst die offensichtlich drohenden bzw. bereits eingetretenen negativen
Folgen für das Land Berlin und die Verbraucher. Ansonsten hätten
sie der Novellierung des Teilprivatisierungsgesetzes,
welches die Gewinngarantie für die Konzerne weiter festschreibt,
im Dezember 2003 niemals zustimmen dürfen.
Eine verheerende Bilanz
Verbunden mit der
Teilprivatiserung war eine Reihe ehrgeiziger Pläne
unter dem Dach der neu geschaffenen Berlinwasser Holding. Diese endeten
nicht nur fast vollständig in einer Serie von Pleiten, sondern kamen
die Steuerzahlenden des Landes Berlin zusätzlich teuer zu stehen.
Schon im Jahre Fünf nach der Teilprivatisierung stützt sich
die Gesellschaft, die zunächst als Holding vier strategische Geschäftsfelder
(Betriebe, International, Multi Utility und Dienstleistungen) umfasste,
nur noch auf ihr Kerngeschäft, die Wasserver- und Abwasser- entsorgung
in Berlin und alle wassernahen Dienstleistungen, die damit verbunden
sind:
-
Die 2001 gegründete Tochtergesellschaft Avida GmbH, mit der die
Holding ins Multi-Utility-Geschäft einsteigen wollte, war ein "Schlag
ins Wasser", wie die Berliner Morgenpost im Dezember
2001 titelte. Bereits nach wenigen Wochen musste die Gesellschaft
wegen mangelnder
Nachfrage an Komplett- angeboten von Strom und Telefon abgewickelt
werden.
-
Auch die Berlikomm konnte nicht annähernd die prognostizierten
Erfolgsergebnisse erzielen. In den Zusatzvereinbarungen zur Teilprivatisierung
hatte es geheißen: "Außerdem haben sich die Investoren
verpflichtet, in der BerliKomm Telekommunikationsgesellschaft mbH bis
zum 31. Dezember 2009 unter bestimmten Bedingungen 700 neue Arbeitsplätze
zu schaffen." Laut Jochen Esser, dem finanzpolitischen Sprecher
der Grünen, hatte der Telekommunikationsanbieter bis 2002 über
100 Millionen Euro Verluste angehäuft. Erst langsam befindet sich
die Gesellschaft auf dem Weg in die schwarzen Zahlen. An neue Arbeitsplätze
war nicht zu denken, die Berlikomm wurde im Juli 2004 an den niederländischen
Telekommunikationskonzern Versatel für knapp 35 Millionen Euro verkauft.
Von den 160 Arbeitsplätzen sollen 150 bis zum Jahre 2005 gesichert
bleiben. Um diesen Verkauf zu ermöglichen, hatten die Gesellschafter,
sprich RWE/Veolia und das Land Berlin, 150 Millionen Euro der aufgelaufenen
Schulden übernehmen müssen.
-
Das
größte Sorgenkind der Holding stellte von Beginn an
die Müllverwertungsgesellschaft SVZ "Schwarze Pumpe" dar.
Im Juli 2000 meldete die Berlinwasser-Gruppe den Verkauf der SVZ an den
US-amerikanischen Konzern Global Energy. Mit dem Erlös sollten laut
Vorstand "erhebliche finanzielle Ressourcen für strategische
Investitionen in die Kerngeschäftsfelder des Konzerns" freigesetzt
werden. Dummerweise blieb der US-Konzern den ausgehandelten Preis von
107 Mio. Euro schuldig. Der Deal platzte. Trotzdem wurde der Verkaufserlös
im Geschäftsbericht der Holding für das Jahr 2000 als außerordentlicher
Ertrag verbucht und anteilig an die Aktionäre ausgeschüttet,
sowie die SVZ-Kredite ausgebucht. Dadurch war klar, dass die Bilanz der
Holding für 2001 entsprechend schlecht ausfallen würde - allein
das SVZ schlug mit 385 Mio. Euro negativ zu Buche. Um die drohende Insolvenz
der Holding zu verhindern, haben sich RWE/Vivendi (Veolia) und der Berliner
Senat darauf verständigt, mit einer Bürgschaft in Höhe
von 316 Mio. Euro frisches Geld in das Unternehmen zu pumpen. Eine Hälfte
davon - 158 Mio. Euro - hatte der Berliner Senat aufzubringen. Ein "verlorener
Zuschuss", wie Jochen Esser seinerzeit bemerkte. Im Juli 2002 wurde
die SVZ schließlich für einen Euro verkauft.
Fragwürdige
Subventionen
Zu den Zusicherungen
der privaten Investoren gehörte laut Vertrag, "dass
die RWE-Gruppe und die VIVENDI-Gruppe Unternehmenszentralen, Firmensitze
und Niederlassungen zum Teil namhafter Unternehmen nach Berlin verlegen.
Durch die Verlegung dieser Firmensitze und Niederlassungen entstehen
bis zum 31. Dezember 2000 mindestens 330 Arbeitsplätze, bis zum
31. Dezember 2002 - 530 Arbeitsplätze und bis zum 31. Dezember 2004
730 Arbeitsplätze." Tatsächlich verlagerte Vivendi den
Sitz des Tochterunternehmens Universal Music 2001 von Hamburg nach Berlin.
500 Beschäftigte mussten nach Berlin umziehen und die Konzerne hatten
fürs erste ihre Schuldigkeit getan. Der Clou an der Geschichte ist
jedoch, dass der Umzug der Vivendi-Tochter von der Wirtschaftsförderung
Berlin GmbH mit rund 17,9 Millionen Euro gefördert wurde. Eine hohe öffentliche
Subvention für die Einhaltung privater vertraglicher Verpflichtungen
gegenüber dem Staat, die von Wirtschaftssenator Branoner als großer
Erfolg gefeiert wurde.
Gute Geschäfte macht die Holding auch mit ihrer Tochtergesellschaft "Berlinwasser
Personalservice GmbH". Mit der im Mai 2000 gegründeten Gesellschaft,
die heute Perdie.net heißt, ist der Einstieg in die Leiharbeitsbranche
gelungen. Perdie.net übernimmt unter anderem Jugendliche, die zuvor
bei den Berliner Wasserbetrieben ihre Ausbildung absolviert haben, und
verleiht diese entweder zurück an die Wasserbetriebe oder an Fremdfirmen.
Die Arbeitskraft wird so billiger und wurde zudem vom Arbeitsamt Berlin-Mitte
mit 130.000 Euro im Jahr 2002 subventioniert.
"R+2" -
die Zauberformel der Gewinngarantie
Der "Knüller" für
die privatwirtschaftlichen Konzerne ist jedoch die mit dem Senat vereinbarte
Gewinngarantie.
Mit einem Umsatz
von über einer Milliarde Euro
und einem Gewinnvon rund 83 Millionen Euro waren die Berliner Wasserbetriebe
1997 das Juwel
der kommunalen Betriebe, an dem auch das Land Berlin gut verdiente. 1997
beliefen sich die Einnahmen durch die Wasserbetriebe auf 168 Mio. Euro.
Heute kommen, trotz
einer Beteiligung von 50,1% an der Berlinwasser Holding, die Einnahmen
aus dem Berliner Wasser nicht mehr
dem Land Berlin
zugute. Von 2000 bis 2003 verdienten RWE und Veolia 287 Millionen an
der Berlinwasser Holding, während das Land auf einem bilanzierten
Verlust von 10 Millionen Euro sitzen blieb. Z.B. ging das Land Berlin
im Jahr 2000 durch die beschriebene Pleite der Tochtergesellschaft Schwarze
Pumpe (SVZ) nahezu leer aus. Dank der vertraglich garantierten Kapitalverzinsung
konnten die privaten Gesellschafter gleichzeitig rund 132 Millionen Euro
einstreichen. Die Zauberformel für den Gewinn der Konzerne für
die vertraglich festgelegten 28 Jahre lautet R+2, oder in Worten: Garantierter
Gewinn = Rendite plus zwei Prozent.
Dieser
Passus findet sich im §3 Abs. 4 des Teilprivatisierungsgesetzes
(TPrG), welches im Dezember 2003 durch das Abgeordnetenhaus
novelliert worden ist. Danach bemisst sich die Rendite "R" nach
der durchschnittlichen Rendite zehnjähriger deutscher
Bundesanleihen bezogen auf die jeweils letzten 20 Jahre.
Für 2004 entspricht das 6 Prozent. Auf die werden
dann gemäß des TPrG noch bis zu zwei Prozent aufgeschlagen,
was in der Summe rund 8 % entspricht. Obwohl der Zuschlag
von 2 % vom Berliner Verfassungsgericht 1999 als nichtig
erklärt worden war,
ist das Land Berlin nach § 23 Abs. 7 des Konsortialvertrages
mit den Konzernen verpflichtet, die aus diesem Urteil entstandenen
Nachteile
auszugleichen. Diese Rendite für die privaten Investoren
bezieht sich zudem nicht auf den Kaufpreis von 1,687 Mrd.
Euro, sondern auf das
betriebsnotwendige Kapital, welches heute 3,3 Mrd. € beträgt.
"Dieses
ist aber keine feststehende Größe. Es wächst
durch eine Neubewertung der Grundstücke und Immobilien",
wie Gerlinde Schermer vom Donnerstagskreis der SPD feststellt.
Der Rechtsanwalt Groth
warnte am 20. November 2003 als Sachverständiger die
Berliner Abgeordneten: "Das
Klärwerk Ruhleben - jetzt eine willkürliche Zahl
-, das heute vielleicht einen Anschaffungsrestwert von 100
Millionen? hat, hat aber
einen Wieder- beschaffungszeitrestwert von, sagen wir 150
Millionen ?, weil es heute teurer ist als vor 20Jahren, so
etwas zu bauen. (..) Das
führt dazu, dass der Kunde, der bisher 100 Millionen
Euro betriebsnotwendiges Kapital für Ruhleben verzinst
hat, plötzlich Zinsen für
150 Millionen zahlen muss. (...) Dieser Fehler im Gesetzentwurf
führt
meiner Meinung nach, wenn man die Grundsätze des Verfassungsgerichtsurteils
anwendet, wiederum zur Verfassungswidrigkeit...".
Im Kern ging es also um zwei Schachzüge: Zum einen sollte abgesichert
werden, dass auchohne Neuinvestitionen jedes Jahr die Berechnungsgrundlage
für die garantierten Gewinne automatisch wachsen sollte;
zum anderen wurde eine Vereinbarung getroffen, die explizit
den Auftrag des Berliner
Verfassungsgerichtes umgeht.
Trotz
aller Bedenken und Unwägbarkeiten wurde im Dezember
2003 das Teilprivatisierungs- gesetz (TPrG) durch eine
Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus
mit diesen Klauseln verabschiedet.
Durch
diese Verfahrensweise sind enorme Gebührenerhöhungen
vorprogrammiert. Die Preissteigerung von 15 Prozent ab 1. Januar 2004,
die für einen kleinen privaten Haushalt etwa 100 Euro Mehrbelastung
im Jahr ausmachen, hätte eigentlich das Doppelte betragen sollen.
Dies hätte jedoch einen politischen Imageschaden bedeutet, so dass
es der Senat vorzog in die Trickkiste zu greifen, indem er auf eine geplante
Konzessionszahlung der Wasserbetriebe verzichtete. In der Konsequenz
entgehen dem Berliner Stadthaushalt, nicht zuletzt durch die Gewinngarantie
für RWE und Veolia, jährlich knapp 54 Millionen Euro Einnahmen.
Preissenkungen durch
Privatisierung? Im Gegenteil, auch wenn die Finanzsenatorin Fugmann-Heesing
1999 noch beteuerte: "Wir haben hier in dem Prozess
alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen, dass wir über die Privatisierung
zum einen das Unternehmen wirtschaftlicher machen, und dass wir langfristig
auch Gebührensenkungen erreichen können."
Derlei
Versprechungen gab es viele, unter anderem sollten Arbeitsplätze
gesichert und neue geschaffen werden. Aber auch beschäftigungspolitisch
sind die Folgen negativ. Waren vor zehn Jahren noch über 7.000 Beschäftigte
bei den Berliner Wasserbetrieben zu zählen, sind es heute nur noch
etwas über 5.000. Norbert Oettl, der im Januar 2004 verstorbene
frühere Gesamtpersonalrats-Vorsitzende der BWB, ging vor zwei Jahren
davon aus, dass bis Ende 2007 nur noch 3.500 Mitarbeiter beschäftigt
sein würden. Aufgrund geringerer Ausgaben für die Instandhaltung
des Leitungsnetzes gingen nach Angaben des SPD-Abgeordneten Hans-Georg
Lorenz zusätzlich noch 8.000 Arbeitsplätze bei lokalen und
regionalen Zulieferbetrieben verloren.
Bemerkenswert ist
an der aktuellen Situation (Mitte 2004), dass sich seit den letzten
Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus
die Mehrheitsverhältnisse
verändert haben und die PDS seit 2002 mit der SPD den Senat und
mit Harald Wolf den Wirtschaftsminister stellt. Die einstige PDS-Opposition
bemüht sich heute nur noch um spitzfindige Formulierungen zur Legitimation
verfassungsrechtlich fragwürdiger Verträge und einer Politik,
die die Rendite der Konzerne auch weiterhin sichert: "Der Mechanismus,
wie man mit diesem Vertrag umgeht", so der PDS-Abgeordnete Klaus
Lederer, "wird durch reale Kräfteverhältnisse bestimmt.
Diese bestehen erstens aus den Finanzen, die das Land hat,zweitens aus
der rechtlichen Verhandlungsposition und drittens aus der gesellschaftlichen
Stimmung, die in der Stadt existiert. Bisher kenne ich den erklärten
politischen Willen zur Rückabwicklung nicht."
Es geht auch anders - das Beispiel Potsdam
Leider wird das
Thema Rückabwicklung auch weder von der PDS noch
von der Mehrheit der SPD aktiv promoviert, lediglich in der linken SPD-Minderheit
ist ein politischer Wille zur Rückabwicklung zu erkennen. In einem
Interview erklärte Gerlinde Schermer (linke SPD-Minderheit), warum
der Rückkauf der Wasserbetriebe nicht nur gesellschaftlich, sondern
auch haushaltspolitisch sinnvoll wäre: "Die volkswirtschaftliche
Bilanz wird von den Befürwortern der Privatisierung absichtlich
nicht vorgenommen, weil die negativ ausfällt. Aber auch die betriebswirtschaftliche
Bilanz fällt in weiten Teilen schlecht aus. Positiv ist nur die
Bilanz der Gewinne bei den Konzernen. (...) Der Rückkauf würde
rund zwei Milliarden kosten. Bei einem Darlehen mit vier Prozent kommen
wir immer noch billiger weg als mit den acht Prozent, die das Land an
vertraglich festgelegter Rendite an die Konzerne zahlen muss."
Bislang
stehen Schermer und der Donnerstagskreis der SPD mit ihrer
Forderung nach Rückkauf recht allein auf dem politischen Parkett Berlins.
Dass dieser Zustand nicht so bleiben muss, beweist ein Besuch in der
nahe gelegenen Landeshauptstadt Brandenburgs, Potsdam, wo vorexerziert
wurde, wie einfach das funktionieren kann: In Potsdam waren von den privaten
Betreibern der Wasserbetriebe noch weit höhere Preisaufschläge
angekündigt worden als in Berlin.
Die
Stadt ließ sich daraufhin nicht lange bitten und
machte die Privatisierung kurzerhand rückgängig. Nach nur zweijähriger Zusammenarbeit wurde
Ende 1999 die Kooperation mit Eurawasser, einer Tochtergesellschaft des
RWE-Konzerns gekündigt. "Innerhalb von 17 Jahren wollte Eurawasser
die Gebühren um 100 Prozent erhöhen - trotz sinkendem Wasserbedarf",
begründete Karsten Zühlke von der Geschäftsführung
des Wasserbetriebs Potsdam diesen Schritt. Da könne man die Arbeit
alleine günstiger machen. Die Stadt Potsdam erklärte zu der
Vertragsauflösung, dass ein Privatunternehmen wie Eurawasser grundsätzlich
Gewinne erzielen wolle und deshalb sei es zu unterschiedlichen Auffassungen
bei der Gebührenkalkulation gekommen. Wie hoch die Abfindung für
den Konzern ausfiel, ist allerdings nicht verraten worden.
(Autor:
Hermann Werle, 2004)
Ergänzung
zu diesem Artikel (Nov.2007):
Seit
2004 arbeitet in Berlin die Attac-Arbeitsgruppe 'Argumente
der Globalisierungskritiker’ und der 2006 von ihr initiierte „Berliner
Wassertisch“ im Zusammenhang von Globalisierung, Privatisierung,
internationale Wasserprivatisierung am Thema Teilprivatisierung der Berliner
Wasserbetriebe.
Über
ein Volksbegehren sollen die geheimen Verträge zwischen dem
SPD/CDU-Senat und RWE/Veolia von 1999 ohne Ausnahmen offengelegt werden
und die Geheimhaltung von Verträgen mit privaten Unternehmen durch
ein zu schaffendes Gesetz zukünftig verhindert werden. Langfristig
angestrebt ist eine noch zu klärende Form der Rekommunalisierung
der Berliner Wasserbetriebe unter dem Motto „Wasser in Bürgerhand“.
Genaueres
unter www.berliner-wassertisch.net
Kontakt: Claus.Kittsteiner@gmx.de