aktualisiert:
16. November 2008
|
Nachrichten |
|
|
WasserInBürgerhand!
|
BBU-Wasserrundbrief,
1.11.2008
„Den
Heiligenschein von der
kommunalen Wasserversorgung reißen!“
|
|
Ein
Streitgespräch zwischen NORBERT RETHMANN, Aufsichtsratsvorsitzender
der Rethmann AG & Co. KG, und JENS LÖWE, Aktivist beim Wasserforum
Stuttgart und dem Netzwerk Wasser in Bürgerhand, war einer der
Höhepunkte einer dreitägigen Wasser-tagung an der Evangelischen
Akademie Tutzing am Starnberger See vom 20. bis 22. Okt. 2008.
Der
Streit hielt sich aber trotz aller Bemühungen der Moderatorin
vom Bayerischen Rundfunk in Grenzen. Denn in vielen Punkten waren
RETHMANN und LÖWE nur graduell unterschiedlicher Meinung. RETHMANN
am Schluss der Debatte: „Der LÖWE ist mir gar nicht so
unsympathisch – ich
hätte Schlimmeres erwartet!“ Der Chef des weitverzweigten
Abfall- und Abwasserunternehmens verstand es glänzend, sich
als „Mittelständler“ positiv
von den großen Wassermultis abzusetzen. Wobei „Mittelständler“ ein
relativer Begriff ist, beschäftigt das stark expandierende
Familienunternehmen Rethmann doch 35.000 Mitarbeiter in 22 Ländern
und zeichnet beispielsweise in der Türkei für die Wasserver-
und Abwasserentsorgung von vier Millionen Menschen verantwortlich.
Innerhalb der Rethmann-Gruppe
wird der Wasser- und Abwassersektor von REMONDIS besetzt.
Aufgrund
der Expertise von REMONDIS im Wassersektor forderte RETHMANN,
dass es Zeit wäre, „den Heiligenschein der öffentlich-rechtlichen
Wasserversorgung auf die Seite zu schieben“, denn private
Wasserversorger könnten den Job genauso gut, wenn nicht besser
erledigen. Und wenn die Produktion von Mineral- und Tafelwasser
vollständig
in privater Regie erfolge - und das ohne jegliche Beanstandung – dann
müsse man fragen, warum man privaten Unternehmen den Zugang
zur Wasserversorgung verweigern wolle. (Dass man allerdings Mineralwasser überhaupt
trinke, bezeichnete RETHMANN angesichts der Güte des Trinkwassers
als ziemlichen Unsinn.). RETHMANN
konstatierte, dass die Netze und Anlagen in öffentlichem Besitz
bleiben sollten. Aber das Management der Dienstleistungen im Wasser-
und Abwassersektor
solle auf Zeit
an private Unternehmen vergeben werden.
Dass
LÖWE die Verfügungsgewalt über
die Wasserver- und Abwasserentsorgung komplett in kommunaler
Hand behalten wollte, war einer der wenigen Dissenspunkte in
der Debatte.
Einig waren LÖWE und RETHMANN wieder in ihrer Kritik an
der Vollprivatisierung der Wasserversorgung in Stuttgart (s.
RUNDBR.
762/1 759/1-2, 626/1-2) und an
der Teilprivatisierung in Berlin. „Solche Verträge
wie in Berlin hätten wir auch gerne“, kommentierte
RETHMANN sarkastisch die garantierte Rendite und die Geheimhaltung
des Konsortialvertrages
in Berlin. RETHMANN fügte allerdings hinzu, dass derartige
missliche Verträge immer auch der Unterschrift der kommunalen
Seite bedürfen.
Berlin und Stuttgart seien für alle Seiten ein Beispiel,
wie man es nicht machen sollte.
|
Kann
man Gemeinderäten die Verantwortung für Wasser überlassen?
|
|
JENS LÖWE problematisierte in dem „Streitgespräch“ nicht
nur die Leichtfertigkeit von Gemeinderäten und Bürgermeistern
beim Unterschreiben von Verträgen zu Cross-Border-Leasings sowie von
Teilprivatisierungen. LÖWE benannte es „als strukturelles Problem“,
wenn Kommunalpolitiker immer öfters Verträge unterschreiben,
die sie nicht gelesen, geschweige denn in voller Tragweite verstanden
hätten.
Während
LÖWE beklagte,
dass Kommunalpolitiker und Gemeinderäte nur noch die Beschlussvorlagen
lesen würden, meinte RETHMANN auf Grund seiner eigenen kommunalpolitischen
Praxis, dass man immerhin schon froh sein müsste, wenn die Gemeinderäte
wenigstens diese Beschlussvorlagen studiert hätten.
Die
Geheimhaltung von Vertragsinhalten wurde von beiden Diskutanten moniert.
Während
LÖWE
die Geheimniskrämerei als den „Tod jeglicher Demokratie“ bezeichnete,
nahm RETHMANN für seine Unternehmensgruppen eine glasklare Transparenz
in Anspruch. Wer wolle, könne bei ihm sämtliche ppp-Verträge
der Rethmann-Gruppe nachlesen. Im übrigen bleibe bei einem Unternehmen
mit 35.000 Mitarbeitern – selbst wenn man es wolle - eh nichts
geheim.
Hinsichtlich
von kommunaler Transparenz forderte LÖWE
in allen Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge einen öffentlichen
Diskurs in der Gemeinde, damit alle Interessierten die Argumente
hören
könnten: „Demokratie
ist mehr als Parteienparlamentarismus!“
Der
Firmenchef als Bürgermeister
und engagierter Christ
NORBERT
RETHMANN, der vor 15 Jahren nach Mecklenburg-Vorpommern übergesiedelt
ist, fungiert in seiner neuen Heimat als ehrenamtlicher Dorfbürgermeister.
Gegenüber
den Plänen
des dortigen Wasser- und Abwasserverbandes konnte RETHMANN lt.
eigener Darstellung zeigen, dass der Aufbau der
Wasser- und Abwasserentsorgung in seinem Dorf zu 50 Prozent preisgünstiger
zu bewerkstelligen ist. Trotz hoher rechtlicher Hürden sei es gelungen,
aus dem kostentreibenden Wasser- und Abwasserverband auszutreten. Daraufhin
sei die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern
dahinge-hend geändert worden, dass jetzt Austritte aus den kommunalen
Zweckverbänden
praktisch gar nicht mehr möglich seien, kolportierte RETHMANN.
Der
Firmenpatron sieht sich als Verfechter einer weitestgehenden Bürgerbeteiligung
und Transparenz. Dies praktiziere er auch in seiner Gemeinde. Ein Beispiel
hierfür
sei, dass er den Anschluss- und Benutzungszwang abgeschafft habe.
Sein
philantrophisches
Ansinnen komme auch dadurch zum Ausdruck, dass er in Mecklenburg Vorpommern
eine Stiftung für Nachhaltigkeit initiiert habe. „Ich bin
geprägt
von einem christlichem Elternhaus und bin davon überzeugt, dass
man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss!“. Inspiriert
durch seine christliche Weltanschauung unternehme er auch große
Anstrengungen, um in Mecklenburg-Vorpommern
das ehrenamtliche Engagement der BürgerInnen zu fördern.
RETHMANN bekannte zudem, dass von seiner ethischen Einstellung her
Wasser auch
bei uns einfach zu billig sei. Ein höherer Preis für Wasser
würde
bei vielen Menschen das Nachdenken über den Wert dieser Ressource
fördern.
|
|
Haben
private Wasserunternehmen die spritzigeren Ideen?
|
|
Gegenüber öffentlich-rechtlichen Unternehmen nahm RETHMANN für
sein Unternehmen in Anspruch, dass RETHMANN einfach innovativer sei.
„Wenn
wir allein 70 Wissenschaftler beschäftigen, die sich nur Gedanken über
die Fortentwicklung der Abfall- und Abwasserwiederverwertung machen, dann sind
wir einfach innovativer!“
Beispielsweise
sei REMONDIS führend bei
der Entwicklung von Verfahren des Abwasserrecyclings und der Phosphorrückgewinnung
aus Abwasser. Und gegenüber den großen Energiemultis setze
sein Unternehmen voll auf die Dezentralisierung der Strom- und Wärmeproduktion.
„Die
dezentrale Energiebereitstellung wird schneller den Markt erobern,
als wir uns das vorstellen können“, so
die Prognose von RETHMANN.
Der „Mittelständler“ postulierte
bei seinem Innovationsvergleich ferner, dass kommunale Regiebetriebe
durch ein Netz von DIN-Normen geknebelt würden. Demgegenüber
müsse „doch
entscheidend sein, was hinten raus kommt“. Wie man zum qualitativ
guten Endergebnis komme, solle der kreativen Freiheit des Unternehmens überlassen
bleiben.
Angesprochen
wurde RETHMANN auf die führende Funktion
von REMONDIS im Bundesverband der deutschen Entsorgungswirtschaft
(BDE), der aggressiv auf
eine Privatisierung der kommunalen Daseinsvorsorge hinarbeitet
(s. RUNDBR. 897/1-2). RETHMANN
bezeichnete dieses Engagement so lange
als legitim, so
lange sich Lobbyverbände nicht – wie geschehen – in
den Ministerien einnisten würden. In der gemeinsamen Kritik
an den großen Energiemultis
erinnerte RETHMANN an die kommunalen Wurzeln von RWE und EON
und beklagte, dass die Posten in den Vorstands- und Aufsichtsräten
regelmäßig
mit abgehalftetern Kommunalpolitikern ohne unternehmerische
Kompetenz besetzt worden seien.
|
Deutsches
Wasser-Know-How in die Welt tragen?
|
|
NORBERT RETHMANN sprach sich in Tutzing dafür aus, die einmalig in
Deutschland gebündelte Kompetenz im Wasser- und Abwassersektor in
den internationalen Wettbewerb einzubringen. „Das
schaffen die kommunal verhafteten öffentlichen
Betriebe nicht!“ .
Um
gegenüber den französischen Wasserriesen
auf dem „Weltwassermarkt“ reüssieren zu können,
wäre
es doch schön, wenn sich die Privatwirtschaft mit ihrem Anlagen-Know-How
mit den Kommunen mit ihrem Betreiber-Know-How in gemischtwirtschaftlichen
Unternehmen (privat public partnership – ppp) gemeinsam auf den
Marsch in den Schwellenländer und nach Osteuropa aufmachen würden.
Demgegenüber
betonte LÖWE, dass die Weitergabe von deutschem Wasser-Know-How
nicht mit einem Privatisierungsbedarf gleichgesetzt werden dürfe.
Der Aktivist aus dem Stuttgarter Wasserforum äußerte in
diesem Zusammenhang auch großes Misstrauen gegenüber den
Millenniumszielen zur Halbierung der Zahl von Menschen, die keinen
Zugang zu einer akzeptablen
Wasserver- und
Abwasserentsorgung haben. Denn die Millenniumsziele würden
eine Privatisierungsagenda beinhalten, um den „Wassermarkt“ in
den Schwellen- und Ent-wicklungsländern
für die Megakonzerne aufzubereiten, so JENS LÖWE.
Als
Alternative verwies Löwe auf den Bürgerhaushalt in Porto
Alegre. Die südbrasilianische
Großstadt wurde von Löwe als „die Hauptstadt
der Demokratie“ gelobt.
Im langjährigen Prozess der aktiven Bürgerbeteiligung
sei es Porto Alegre gelungen, die Anschlussrate an die öffentliche
Wasserversorgung von 40 auf 85 Prozent hochzuschrauben.
Gegenüber
diesem exotischen Leuchtturmprojekt
im weit entfernt liegenden Brasilien verwies RETHMANN auf die
desolaten Zustände
im fast benachbarten Weißrussland und in der Ukraine, wo
sich sein Unternehmen um eine nachhaltig Verbesserung der darniederliegenden
Siedlungswasserwirtschaft
bemühe.
|
Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet
regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge.
Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
|
|
|
|
Zurück
zur Startseite |
|