«Es
ist problematisch, wenn Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge
privatisiert werden, die nicht marktwirtschaftlich aufgestellt sind.» Sagt
im April 2008 Thilo Sarrazin (SPD), seit über sechs Jahren Finanzsenator
in Berlin. In eben jenem Berlin, welches 1999 als erste deutsche Großstadt
den kommunalen Wasserversorger – die Berliner Wasserbetriebe
(BWB) – teilprivatisierte.
Dass
die Versorgung der Bürger mit Wasser eine
hoheitliche Aufgabe ist, sagt Sarrazin nicht ausdrücklich – und
explizite Kritik an seiner Vorgängerin Annette Fugmann-Heesing (SPD),
die die BWB-Privatisierung durchzog und heute vom stellvertretenden CDU-Fraktionschef
Frank Steffel als «privatisierungswütig» bezeichnet
wird, verkneift sich Sarrazin auch. Doch der Mann mit dem Schnäuzer
weiß auch: Die Wasserversorgung funktioniert eben nicht nach marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkten. Wo kein Wettbewerb, sondern ein Monopol herrscht, sind
die Bürger dem Preisdiktat ausgeliefert. Anbieterwechsel ausgeschlossen.
Die
Folge: Zahlt der Münchner für einen Kubikmeter Mischwasser
aus dem zu 100 Prozent kommunalen Betrieb 3,21 Euro, muss der Berliner
dafür 5,09 Euro hinblättern. In keiner anderen Großstadt
in Deutschland ist Wasser so teuer wie in der Hauptstadt. Seit 2003 stiegen
die Tarife um 26 Prozent. Und den Berlinern stehen weitere Preiserhöhungen
ins Haus, wie BWB-Chef Jörg Simon zu Jahresbeginn ankündigte.
Rendite
garantiert
Kritiker
können ohne Umschweife den Grund dafür
benennen: die Privatisierung. Um fast ein Drittel könnten die Wasserkosten
niedriger sein, hätten die Berliner einen «nicht-profitorientierten
Wasserversorger», meint der «Berliner Wassertisch»,
eine Bürgerinitiative aus mehreren Gruppen, die sich die Rückabwicklung
der Privatisierung auf die Fahnen geschrieben haben – unter dem
Motto «Wasser gehört uns allen, Wasser ist ein Menschenrecht».
Dorn
im Auge der Kritiker sind vor allem geheime Zusatzverträge,
mit denen Berlin den Investoren 28 Jahre lang eine festgelegte Verzinsung
garantiert. Das bedeutet: Entweder zahlen die Wasserkunden, um die zugesicherte
Rendite zu erreichen, oder der Steuerzahler ist der Dumme, dann muss
der Senat nämlich aus dem Landeshaushalt Ausgleichsbeträge
zahlen. Die Klausel stieß schon beim Verkauf vor neun Jahren auf
Ablehnung – heute umso mehr, als Privatisierungsgegner auf die
kräftigen Preisschübe verweisen.
«Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe
ist ein Desaster»,
sagt Gerlinde Schermer. Sie hatte als SPD-Abgeordnete im Berliner Landesparlament
seinerzeit gegen den Verkauf gestimmt. Heute kämpft sie weiter für
die Aufhebung der Teilprivatisierung. Nicht nur, weil die Bürger
mehr fürs Nass zahlen müssen. Dem Land verbleibt wegen der
Zusatzklauseln auch weniger als die Hälfte des Gewinns, trotz seines
51-prozentigen Anteils. So belief sich die Gewinnausschüttung der
BWB an die Miteigentümer RWE und Veolia im vergangenen Jahr
auf fast 185 Millionen Euro, in den Haushalt des Landes Berlin flossen
nur
150 Millionen Euro. Ein deutliches Plus zum Vorjahr: 2006 erhielt
das Land 74 Millionen Euro, die beiden Konzerne zusammen 134 Millionen
Euro.
Volksbegehren versus Senat
Mit
seiner Forderung nach einer Aufhebung der Privatisierung genießt
der «Wassertisch» Rückhalt in der Bevölkerung:
Bis März 2008 unterzeichneten rund 36.000 Berliner – 16.000
mehr als notwendig – eine Initiative für ein Volksbegehren
zur Veröffentlichung aller Verträge als erster Schritt für
einen Rückkauf der Wasserbetriebe. Inzwischen ist die Angelegenheit
indes ein Fall für Juristen: Nachdem der rot-rote Senat das Volksbegehren
als verfassungswidrig zurückgewiesen hat, haben die Initiatoren
Einspruch vor dem Berliner Verfassungsgericht eingereicht.
Der
Senat hatte Bedenken gegen die Offenlegung der umstrittenen Geheimverträge. Damit würden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
und damit das im Grundgesetz verankerte Recht auf Eigentum verletzt. «Fadenscheinige
juristische Gründe», konterten die Initiatoren des Volksbegehrens,
das zunächst den Zweck verfolgt, die undurchsichtige Preiskalkulation
transparent zu machen. Aus der Welt sind die Verträge mit RWE und
Veolia damit aber noch lange nicht.
Das
Skurrile daran: Der rot-rote Senat selbst hat in seinem Koalitionsvertrag
vereinbart,
sich für eine «Rekommunalisierung» einzusetzen.
Doch was sich auf Papier leicht niederschreiben lässt, ist in
der Praxis nicht umzusetzen. Woher sollte die hochverschuldete Stadt
auch
das Geld nehmen, um RWE und Veolia den knapp 49-prozentigen Anteil
an den Wasserbetrieben wieder abzukaufen?
Vor
allem würden sich die Konzerne nicht mit der Rückzahlung
der Investitionssumme von 1,7 Milliarden Euro zufrieden geben: Die BWB
seien deutlich «werthaltiger» geworden, heißt es bei
Veolia. Ein Interesse, aus dem Wassergeschäft in Berlin auszusteigen,
haben die Privaten ohnehin nicht. Warum auch – Trinkwasser
ist eine sicher sprudelnde Einnahmequelle. Erst recht mit garantierter
Rendite.
Kampf
gegen Privatisierung
Doch
immerhin kann die Hauptstadt als mahnendes Beispiel dienen. Etwa für
die Münchener Ortsgruppe des globalisierungskritischen
Netzwerks Attac, dessen Arbeitskreis «Wasser und Privatisierung» sich
gegen den «Ausverkauf» öffentlicher Daseinsvorsorge
wie der Wasserversorgung wendet und dabei auf Berlin verweist. Ähnliche
Gruppen gibt es auch in Hamburg, Saarbrücken oder Augsburg.
In Stuttgart setzt sich eine Bürgerinitiative für die Rekommunalisierung
der 2002 komplett privatisierten Wasserwerke ein.
Doch
das Thema geht weit über die deutschen Grenzen hinaus: In Österreich
sorgt die von der konservativen ÖVP angeregte weitere Privatisierung
derzeit für Verstimmung in der Großen Koalition. «Unser
Wasser darf zu keinem Spekulationsobjekt werden», wettert Finanzstaatssekretär
Christoph Matznetter von der SPÖ gegen den ÖVP-Wirtschaftsminister
Martin Bartenstein. Matznetter wirft dem Minister vor, «das österreichische
Wasser verscherbeln» zu wollen.
Hintergrund
Um das Finanzloch
der klammen Hauptstadt zu stopfen, verkaufte der Senat 49,9 Prozent
der Berliner Wasserbetriebe
(BWB) an
zwei private Investoren: den französischen Mischkonzern Vivendi
(heute Veolia) und den deutschen RWE-Konzern. Die BWB versorgen
3,4 Millionen Einwohner Berlins und in den Randgebieten mit
Trinkwasser und entsorgen und reinigen das Abwasser. Damit zählen
die BWB zu den größten Wasserversorgern Deutschlands.
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