Ausgerechnet
der Deutsche Beamtenbund war es, der genauer wissen wollte, was die
Deutschen von der Privatisierung halten. Selbst den privilegierten
Staatsdienern mit ihren sicheren Arbeitsplätzen wird es nun zu
eng: Das gekürzte Weihnachts- und Urlaubsgeld, die jahrelange
Stagnation bei den Gehältern, die verlängerte Arbeitszeit
und die ständig wachsende Mehrarbeit wegen des Stellenabbaus im öffentlichen
Dienst - das geht an die ökonomische Substanz. Außerdem
geht den Beamten die ständige Kritik, daß Private alles
besser können, auf die Nerven.
Um der Forderung nach kräftiger Gehaltserhöhung, die dieses
Mal zudem gemeinsam mit ver.di erhoben wird, mehr Nachdruck zu verleihen,
beauftragte der Beamtenbund das Meinungsforschungsinstitut forsa mit
einer Umfrage zum Thema Privatisierung. Danach bewertet die Hälfte
der Bevölkerung ihre Erfahrungen als negativ. Vor allem an der Bahn
und den Energiekonzernen entzündet sich die Kritik. Nur der Staat,
so meinen gegenwärtig 58 Prozent der Befragten, könne flächendeckende
Versorgung und angemessene Preise garantieren. Nur 16 Prozent sprechen
sich für weitere Privatisierungen aus. Das ist eine Kehrtwendung
gegenüber dem Privatisierungsglauben, der in den 90er Jahren vorherrschte.
Die Bevölkerung werde unruhig, sagt der Vorsitzende des Beamtenbunds,
Peter Heesen. Monopole wie bei Müllentsorgung und Energie treiben
die Preise hoch. »Bei der Fleischkontrolle haben wir schlimme Erfahrungen
machen müssen. Man muß überprüfen, ob die Privatisierungen
der letzten Jahre überhaupt richtig waren«, wird er im Kölner
Stadt-Anzeiger vom 8. Januar 2008 zitiert.
Auch der Verband der Kommunalen
Unternehmen (VKU), der bisher eine unentschiedene Haltung einnahm,
wacht auf. Er ließ ebenfalls eine Umfrage durchführen:
Was halten die Deutschen davon, die Trinkwasserversorgung zu privatisieren?
Hier fanden die Politikforscher von Infratest dimap heraus: Mehr als
drei Viertel lehnen eine Übernahme durch Privatunternehmen ab, nur
13 Prozent sehen sie positiv. Auch das ist ein dramatischer Stimmungsumschwung;
nur zwei Jahre zuvor hatte der ohnehin schon stark geschmolzene Anteil
der Privatisierungsanhänger noch 24 Prozent betragen.
Andreas Schirmer, VKU-Vizepräsident, erklärte zu dem Ergebnis
in einer Pressemitteilung vom 28. Januar 2008: »Kommunale Unternehmen
stehen in der Trinkwasserversorgung für hohe Qualität und Versorgungssicherheit
zu einem wirtschaftlichen Preis. Und diesen Ruf müssen wir uns täglich
neu bei den Bürgern verdienen.« Aufschlußreich: Schirmer
ist Geschäftsführer der Kommunalen Wasserwerke Leipzig. Der
Fachmann hat Einsichten, die seinen Vorgesetzten - den »Privatisierungsfundis« der
Stadt Leipzig, den »Verantwortlichen« wie Oberbürgermeister
Burkhard Jung (SPD) - abgehen: Sie wollten die Stadtwerke Leipzig verkaufen
und konnten am 27. Januar 2008 nur durch einen Bürgerentscheid (vorläufig)
gestoppt werden. Selbstverständlich kam er für sie »überrraschend«.
Wer sein Ohr am Volk hat,
konnte diese Abstimmungs- und Umfrageergebnisse erwarten. Die Stimmung
in der Bevölkerung kippt, aber es gehört
zur routinemäßigen Herrschaftsleistung unserer »Volksparteien« und
Großmedien, das (scheinbar) nicht wahrzunehmen.
Überall ist der Durchmarsch der neoliberalen Privatisierer ins
Stocken geraten. Nirgendwo sind ihre Versprechen erfüllt worden,
im Gegenteil. Um es für Deutschland zu skizzieren - aber woanders
sieht es ähnlich aus: Die öffentlichen Haushalte sind keineswegs
saniert. Investoren gehen in Insolvenz oder werden mit staatlichen »Sanierungshilfen« gepäppelt
(z. B. ostdeutsche Kläranlagen, Warnow- und Travetunnel, Rathaus
Gelsenkirchen). Statt Wettbewerb breiten sich preistreibende Monopole
aus (Strom, Gas, Wasser, Abwasser), Preise und Gebühren steigen
auch in anderen Bereichen (Bahn, Stadtwerke, Müllentsorgung), private
Zuzahlungen und Zusatzversicherungen verteuern die Leistungen (Renten,
Krankheitsbehandlungen, Hochschulbesuch, Schulbücher), in Bahnhöfen
wird Pinkelgebühr erhoben, »Heuschrecken« erhöhen
die Mieten in Dresden und anderen Städten. Vor allem: Arbeitslosigkeit
und Niedriglöhnerei sind eine Systemfolge der Privatisierung.
Staatliche
Reparaturarbeiten
Gebrochene
Versprechen müssen keinen Hardcoreprivatisierer von seiner
Linie abbringen, aber es ächzt und knarzt im neoliberalen Gebälk.
Die Krise sieht in jedem Land anders aus. Aber überall soll nun
der Staat entgegen der reinen Lehre des Neoliberalismus eingreifen; sogar
im kapitalistischen Sinne ist »der Markt« nicht in der Lage,
sich selbst zu helfen. Die Regierungen sind gegenwärtig mit Reparaturarbeiten
beschäftigt. Sie werden als Routine ausgegeben, von Krise darf
nicht gesprochen werden.
Im europäischen Privatisierungsvorreiterstaat Großbritannien
fängt der Staat seit Jahren in großem Stil die Schulden von
bankrotten Investoren auf. Er kaufte mit Steuermitteln bankrotte Eisenbahngesellschaften
zurück oder zahlte Zuschüsse. Die Wasserregulierungsbehörde
Office of Water Services soll die katastrophalen Folgen der Wasserprivatisierung
auffangen. Die Investoren sollen verpflichtet werden, endlich auch die
unter privater Eigentümerschaft weiter vernachlässigten, undichten
Leitungen zu reparieren.
Auch die neuere Variante,
das Public Private Partnership, ist in der Krise: So ging der Investor
Metronet, der die Sanierung und Instandhaltung
der Londoner U-Bahn bis 2035 übernommen hatte, schon 2007 bankrott
- der Staat übernimmt seine Schulden. Zum Metronet-Konsortium gehören
immerhin so »renommierte« Weltkonzerne wie Bombardier, Electricité de
France und Thames Water (siehe jW-Thema v. 2.8.2007). Die Labour-Regierungen,
ob unter Premierminister Gordon Brown oder Anthony Blair, wollen an den
Prinzipien der Privatisierung nicht rütteln, koste es den Staat,
was es wolle. Die konservative »Opposition« unterstützt
das.
In Deutschland kümmert sich eine Regulierungsbehörde um immer
mehr privatisierte Bereiche. Die »Bundesnetzagentur« wurde
1998 zunächst für die Überwachung der privatisierten Post
eingerichtet, weil die Telekom keine Konkurrenten zulassen wollte. 2006
unterstellte die Bundesregierung der Bundesnetzagentur weitere »leitungsgebundene« Dienstleistungen:
Elektrizität, Gas, Strom und Bahn. Die Großbehörde, die
inzwischen auf immerhin 2300 Mitarbeiter erweitert wurde, soll das gewährleisten,
was »der Markt« doch nicht hervorbringt, sondern zerstört:
Wettbewerb. Preisauswüchse sollen verhindert werden. Doch die volkswirtschaftlich
wichtigsten Probleme gehören nicht zum Aufgabenbereich. Wenn der
Wettbewerb auf der Basis von Armutslöhnen funktioniert, dann ist
für die Agentur alles in Ordnung.
Eine scheinbar einfache, aber
defensive Haltung hat die Regierung der Niederlande entwickelt. Es
wurde ein Stopp beschlossen, Staatsbetriebe
werden nicht weiter verkauft. Die gegenwärtig sozialdemokratisch-christdemokratische
Koalitionsregierung korrigierte damit die Praxis der christdemokratischen
Vorgängerregierung, beide geführt vom selben konservativen
Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende. Wo der Staat bei Transport-,
Hafen- und Energieunternehmen und Banken noch Anteile hat, muß er
sie festhalten. »Die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen
soll erhalten bleiben«, sagt der stellvertretende Ministerpräsident
und Finanzminister Wouter Bos im NRC Handelsblad vom 7.Dezember 2007.
Ob diese freundliche Absichtserklärung unter den Bedingungen des
schon sehr weitgehenden Ausverkaufs umgesetzt werden kann, ist fraglich;
ohnehin hat die »Qualität der öffentlichen Dienstleistungen« schon
stark gelitten.
In
Schweden ist dagegen der Verkauf staatlicher Unternehmen eines der
Prestigeprojekte der 2006
gewählten bürgerlichen Regierung.
Doch von den geplanten sechs Verkäufen ging bisher nur einer über
die Bühne, und auch der nur in Kleinstausführung: Acht Prozent
der staatlichen Telefongesellschaft Telia-Sonera fanden einen Käufer.
Die Operation stockt auch deshalb, weil die Öffentlichkeit sensibler
für unsaubere Praktiken geworden ist, die bei Privatisierungen nicht
selten sind. Zwei Mitarbeiter der Investmentbank Carnegie hatten ins
Finanzministerium gewechselt, um ihre »Kompetenz« einzubringen.
Als diese die Gestalt von besonders hohen Bonuszahlungen annahm, mußten
die Kompetenzbolzen zurücktreten.
Neuseeland
rudert zurück
Die
konsequenteste Antiprivatisierungsstrategie hat Neuseeland eingeschlagen.
Der Staat galt in den 80er Jahren auch in der EU als Vorbild. Im
großen
Stil haben die »konservativen« Regierungen Staatseigentum
verkauft. Das wurde damals weltweit gelobt.
Die Ergebnisse waren teilweise
noch katastrophaler als in Großbritannien.
Die Energiekonzerne zogen Profit ab und erneuerten die Leitungsnetze
nicht; 1998 waren weite Teile des Landes 66 Tage lang ohne Strom. Die
beiden öffentlichen Banken wurden verkauft. Jahrelang konnten in
manchen Städten normale Bürger kein Konto mehr eröffnen
- daran hatten die neuen Eigentümer, global agierende australische
Großbanken, kein Interesse. Renten und Sozialleistungen wurden
gekürzt, Studiengebühren wurden erhoben, für den Zugang
zu Krankenhäusern mußte man bezahlen. Hohe Arbeitslosigkeit
und neue Armut waren die Folge, Bettler bevölkerten die Straßen
der Städte, die Jugendselbstmordrate stieg an. Als sich das abzeichnete,
stellten die großen Medien ihre Berichte über Neuseeland kurzerhand
ein.
Seit 1999 sind die Regierungen
unter der Premierministerin Helen Clark mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Die Labour-Politikerin regiert
mit wechselnden kleinen, progressiven Parteien, den Grünen und anderen.
Die Studien- und Krankenhausgebühren wurden abgeschafft. In den
Postfilialen wurde eine Bank eingerichtet, damit jeder Bürger ein
Konto einrichten kann. Der Staat kaufte die Bahn und die Fluggesellschaft
Air New Zea¬land zurück.
Ein Mindestlohn wurde eingeführt. Für die niedrigen Einkommen
senkte die Regierung die Steuern, denn sie sind entscheidend für
die volkswirtschaftliche Nachfrage. Der Staat finanzierte Innovationen,
z. B. in der Biotechnologie, damit die für Neuseeland wichtige Landwirtschaft
neue Produkte wie Nahrungsergänzungsstoffe hervorbringen kann. 13000
Milchbauern haben sich zu einer Großkooperative zusammengeschlossen.
Das hat der Regierung aus »westlicher« Sicht den Vorwurf
eingetragen: Dies sehe doch gefährlich nach Sozialismus aus. »Unsere
mittelgroßen Molkereien wären sonst längst von Nestlé oder
sonstwem geschluckt worden«, widerspricht die Premierministerin
in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ, Folio 09/06). Obstbauern, die
Kiwis und Äpfel anbauen, werden bei Zusammenschlüssen vom Staat
ebenfalls gefördert.
Auch außenpolitisch und kulturell wurde Neuseeland selbstbewußter.
Man will eine autonome Republik werden und sich vom immer noch formal
herrschenden englischen Königshaus lösen. Man verweigerte die
Teilnahme am Irak-Krieg. Die Produktion neuseeländischer Filme wird
gefördert, die Maori-Minderheit erhielt Rechte. »Wenn wir
als Regierung nicht die Kultur fördern, enden wir als Vorstadt von
Los Angeles, Sydney oder Frankfurt«, so Helen Clark weiter in der
NZZ.
Die
Zahl der Arbeitslosen sank, Bettler sieht man kaum. Neuseeland zeigt,
was sogar unter kapitalistischen
Bedingungen möglich ist. Wer in
den versteinerten Verhältnissen etwa in Deutschland lebt, für
den klingt das wie ein Märchen. Sicher spielt es eine Rolle, daß dieser
Staat nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie liegt.
Vertuschung der Folgen
Der
Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hat zwar
banale, für einen deutschen Oberbürgermeister aber (noch) ungewöhnliche
Erkenntnisse: »Private langen bei den Preisen hin, die Vollversorgung
wird nicht gewährleistet, und die Rathäuser verkommen zu Reklamationsabteilungen
für internationale Konzerne. Die Folgen lösen überall
betretene Gesichter aus«, stellt er in der Frankfurter Rundschau
vom 26. Januar 2008 fest.
Ude, auch Präsident des Deutschen Städtetages, hat in London
die privatisierten Wasser- und Abwasseranlagen besichtigt: »An
60 Tagen fließt Wasser (er meint Abwasser, W. R.) ungeklärt
in die Themse - bei 245 Millionen Pfund Jahresgewinn.« Das hat
ihn »geschüttelt«. Er meint sogar: »Der Zeitgeist
erschrickt vor sich selbst.« Unter den deutschen Oberbürgermeistern
und »Volksparteipolitikern« ist Ude mit seinem Erschrecken
allerdings allein. Vielleicht denken einige seiner Kolleginnen und Kollegen
heimlich genauso, aber sie zeigen keineswegs betretene Gesichter. Vielmehr
strahlen sie unverdrossen wie seine Städtetagstellvertreterin Petra
Roth (CDU), Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main, optimistisch
in die Kameras und privatisieren weiter, wie es der immer noch unerschrockene »Zeitgeist« befiehlt.
In Deutschland tun vor allem
die »Volksparteien« viel dafür,
die Krise nicht ausbrechen zu lassen. Zum Beispiel die hessische CDU-Landesregierung
unter Ministerpräsident Roland Koch. Im Haushalt wurden seit Jahren
die Ausgaben für den Jugend-, Bildungs- und Sozialbereich gnadenlos
zusammengestrichen. Priorität haben die Staatsausgaben für
Privatisierungsprojekte: Finanzzentrum Kassel Altmarkt, Finanzzentrum
Wiesbaden, Polizeirevier Wiesbaden, Justizvollzugsanstalt Hünfeld,
Universität Frankfurt, Universitätskliniken. Öffentliche
Gebäude - Ministerien, Polizeipräsidien u. ä. - werden
verkauft, um den Haushalt zu »sanieren«; daß auf Dauer
die Mieten die anfänglichen Verkaufserlöse weit übersteigen
- keiner soll es erfahren. Im hessischen Landkreis Offenbach läuft
mit 90 Schulen das bundesweit größte Projekt nach dem Muster
Public Private Partnership. Daß bis zum Jahr 2020 der Landkreis
mindestens 800 Millionen Euro Miete zahlen muß, wird offiziell
verschwiegen. Alle Verträge mit ihren Gewinngarantien für die
Privaten bleiben selbst für die gewählten Vertreter in Landtag,
Stadtrat und Landkreistag geheim. Wenn Koch die öffentliche Diskussion
mit Forderungen nach harten Strafen für Jugendliche anheizt und
die Medien das zum großen Thema machen - kritisch oder unkritisch
-, wie soll den Bürgern klar werden, daß im Hintergrund die
eigentliche Krise herangereift ist?
Die Krisenerkenntnis wird
nicht nur durch die Beschlußlage der »Volksparteien« SPD
und CDU, der FDP und der Grünen verhindert, die einhellig Privatisierungen
weiterhin als Allheilmittel ansehen. Da mag manchmal auch Bestechung
im Spiel sein; es hat sich eine typische Privatisierungskorruption herausgebildet.
Aber ein wesentliches Hindernis für umfassende Einsicht in Privatisierungsfolgen
ist die absolute Geheimhaltung. Ob bei der LKW-Maut (Toll Collect), bei
den Berliner Wasserbetrieben (BWB), beim Wohnungsverkauf in Dresden und
bei den neuerlichen Public-Private-Partnership-Projekten wie Offenbach:
In den beschlußfassenden Gremien vom Bundestag bis herunter zum
kleinsten Gemeinderat liegen die Verträge im verbindlichen Wortlaut
nicht zur öffentlichen Diskussion vor. Deshalb erfahren nicht einmal
die gewählten Volksvertreter, wo die Fußangeln bzw. die heimlichen
Gewinngarantien zu Lasten der öffentlichen Hand stecken. Und noch
weniger erfährt die Öffentlichkeit davon.
»Besatzungmächte« entmachten
Um
von der vagen Antistimmung zur praktischen Veränderung zu kommen,
ist deshalb die Forderung nach Offenlegung der Privatisierungsverträge
wesentlich. Das betrifft nicht nur zukünftige, sondern auch die
bisherigen Verträge. Da wird es eine Menge »betretene Gesichter« und
so manches Erschrecken geben, wenn das bisher geheime Kleingedruckte
aus den tausendseitigen Verträgen das Licht der Öffentlichkeit
erblickt. Deshalb kommt gegenwärtig dem Berliner Volksbegehren »Schluß mit
Geheimverträgen - Wir Berliner wollen unser Wasser zurück« große
Bedeutung zu (berliner-wassertisch.net und unverkaeuflich.org).
Bürgerentscheide reichen nicht aus. Erstens beträgt ihre Bindungswirkung
je nach Bundesland nur ein, höchstens zwei oder drei Jahre. Zweitens
haben die Privatisierungsbefürworter verschiedene Techniken des
Erschwerens und Unterlaufens entwickelt (weniger Abstimmungslokale, keine
amtliche Benachrichtigung, vorgezogene Eilentscheidungen der Stadträte,
juristische Umgehungskonstrukte).
Bis in Landesregierungen,
ja sogar bis in die Bundesregierung ist die Einsicht vorgedrungen,
daß die Energiekonzerne - in Deutschland
die »vier Besatzungsmächte« RWE, Vattenfall, E.on und
EnBW - ihre territorialen Monopolstellungen zu Preisdiktaten bei Strom
und Gas ausnutzen. Dies wird unter anderem dadurch ermöglicht, daß diese
Konzerne sich mit ihren Milliardengewinnen während des letzten Jahrzehnts
in Hunderte Stadtwerke, Wasserwerke und Müllverbrennungsanlagen
eingekauft haben. So haben sie die Deregulierung unterlaufen, können
alternative Anbieter aus den kommunalen Leitungsnetzen leichter fernhalten
und üben wesentlichen Einfluß nicht nur auf die Preise von
Strom, Gas und Fernwärme aus, sondern auch bei Wasser, Müll
und Abwasser. Deshalb reicht es nicht aus, Obergrenzen für Energiepreise
festzulegen. Das könnten übrigens schon bisher die Bundesnetzagentur
und die Landeskartellämter tun. Deshalb müssen die Forderungen
weitergehen: Leitungsnetze vergesellschaften, die »Besatzungsmächte« entmachten
(attac.de/Energiekonzerne).
Das ist auch deshalb notwendig,
weil der inzwischen vielfach euphorisch gepriesene Trend zur Rekommunalisierung
auf wenige Privatisierungen begrenzt
bleiben muß. Die meisten Verträge laufen 30 Jahre. Ein Zurück
in alte Zustände ist wegen der damals herrschenden Bürgerferne
der Betriebe und des Parteienfilzes sowieso keine Lösung. Zudem
haben Städte, Bundesländer und auch der Staat nicht das Geld
zum flächendeckenden Rückkauf, schon gar nicht bei vorzeitiger
Vertragsauflösung. Das sähe anders aus, wenn durch Gesetze
neue Rahmenbedingungen auch für Enteignungen gesetzt werden.
Gewerkschaften haben angefangen,
ihre Zusammenarbeit mit einem der größten
Promoter der Privatisierung, die Bertelsmann-Stiftung, aufzukündigen.
Diese Zeichen von Widerstand sind Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewußtseins.
Jetzt können eigene Konzepte für eine demokratische und qualifizierte öffentliche
Verwaltung entworfen werden. Für die Gewerkschaften gilt auch: In
der gegenwärtigen Situation ist der Streik das wirksamste Mittel
für die eigene Interessensvertretung, wie die Gewerkschaft der Lokführer
gezeigt hat. Dadurch wurden nicht nur die Arbeitsbedingungen und Einkommen
der Lokführer verbessert, auch die Folgen von Privatisierungen konnten
Privatisierern und Bahnfahrern deutlicher werden: Aufmüpfige Angestellte
sind möglichen Käufern ein Dorn im Auge. Durch Privatisierung
wächst die Lohndrückerei; die Resultate sind schlecht ausgebildetes
Personal sowie eine dünne Personaldecke. Verspätungen und Unfälle
treten - wie in Großbritannien der Fall - immer häufiger auf.
Kein Fahrgast will das.
Werner
Rügemer ist Publizist und Vorsitzender der Bürger- und
Menschenrechtsorganisation Business Crime Control. Im März erscheint
die erweiterte und aktualisierte Auflage seines Standardwerks »Privatisierung
in Deutschland. Eine Bilanz« (Verlag Westfälisches Dampfboot)