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14. März 2008

 

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

junge welt, 4.3.2008

 

Privat in die Pleite

Weltweit zeigt sich, daß der Ausverkauf öffentlichen Eigentums jene Probleme schafft, die er zu bekämpfen vorgibt. Inzwischen wird vielerorts zurückgerudert - selbst im neoliberalen Musterland Neuseeland

von Werner Rügemer

 

Ausgerechnet der Deutsche Beamtenbund war es, der genauer wissen wollte, was die Deutschen von der Privatisierung halten. Selbst den privilegierten Staatsdienern mit ihren sicheren Arbeitsplätzen wird es nun zu eng: Das gekürzte Weihnachts- und Urlaubsgeld, die jahrelange Stagnation bei den Gehältern, die verlängerte Arbeitszeit und die ständig wachsende Mehrarbeit wegen des Stellenabbaus im öffentlichen Dienst - das geht an die ökonomische Substanz. Außerdem geht den Beamten die ständige Kritik, daß Private alles besser können, auf die Nerven.

Um der Forderung nach kräftiger Gehaltserhöhung, die dieses Mal zudem gemeinsam mit ver.di erhoben wird, mehr Nachdruck zu verleihen, beauftragte der Beamtenbund das Meinungsforschungsinstitut forsa mit einer Umfrage zum Thema Privatisierung. Danach bewertet die Hälfte der Bevölkerung ihre Erfahrungen als negativ. Vor allem an der Bahn und den Energiekonzernen entzündet sich die Kritik. Nur der Staat, so meinen gegenwärtig 58 Prozent der Befragten, könne flächendeckende Versorgung und angemessene Preise garantieren. Nur 16 Prozent sprechen sich für weitere Privatisierungen aus. Das ist eine Kehrtwendung gegenüber dem Privatisierungsglauben, der in den 90er Jahren vorherrschte.

Die Bevölkerung werde unruhig, sagt der Vorsitzende des Beamtenbunds, Peter Heesen. Monopole wie bei Müllentsorgung und Energie treiben die Preise hoch. »Bei der Fleischkontrolle haben wir schlimme Erfahrungen machen müssen. Man muß überprüfen, ob die Privatisierungen der letzten Jahre überhaupt richtig waren«, wird er im Kölner Stadt-Anzeiger vom 8. Januar 2008 zitiert.

Auch der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU), der bisher eine unentschiedene Haltung einnahm, wacht auf. Er ließ ebenfalls eine Umfrage durchführen: Was halten die Deutschen davon, die Trinkwasserversorgung zu privatisieren? Hier fanden die Politikforscher von Infratest dimap heraus: Mehr als drei Viertel lehnen eine Übernahme durch Privatunternehmen ab, nur 13 Prozent sehen sie positiv. Auch das ist ein dramatischer Stimmungsumschwung; nur zwei Jahre zuvor hatte der ohnehin schon stark geschmolzene Anteil der Privatisierungsanhänger noch 24 Prozent betragen.

Andreas Schirmer, VKU-Vizepräsident, erklärte zu dem Ergebnis in einer Pressemitteilung vom 28. Januar 2008: »Kommunale Unternehmen stehen in der Trinkwasserversorgung für hohe Qualität und Versorgungssicherheit zu einem wirtschaftlichen Preis. Und diesen Ruf müssen wir uns täglich neu bei den Bürgern verdienen.« Aufschlußreich: Schirmer ist Geschäftsführer der Kommunalen Wasserwerke Leipzig. Der Fachmann hat Einsichten, die seinen Vorgesetzten - den »Privatisierungsfundis« der Stadt Leipzig, den »Verantwortlichen« wie Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) - abgehen: Sie wollten die Stadtwerke Leipzig verkaufen und konnten am 27. Januar 2008 nur durch einen Bürgerentscheid (vorläufig) gestoppt werden. Selbstverständlich kam er für sie »überrraschend«.

Wer sein Ohr am Volk hat, konnte diese Abstimmungs- und Umfrageergebnisse erwarten. Die Stimmung in der Bevölkerung kippt, aber es gehört zur routinemäßigen Herrschaftsleistung unserer »Volksparteien« und Großmedien, das (scheinbar) nicht wahrzunehmen.

Überall ist der Durchmarsch der neoliberalen Privatisierer ins Stocken geraten. Nirgendwo sind ihre Versprechen erfüllt worden, im Gegenteil. Um es für Deutschland zu skizzieren - aber woanders sieht es ähnlich aus: Die öffentlichen Haushalte sind keineswegs saniert. Investoren gehen in Insolvenz oder werden mit staatlichen »Sanierungshilfen« gepäppelt (z. B. ostdeutsche Kläranlagen, Warnow- und Travetunnel, Rathaus Gelsenkirchen). Statt Wettbewerb breiten sich preistreibende Monopole aus (Strom, Gas, Wasser, Abwasser), Preise und Gebühren steigen auch in anderen Bereichen (Bahn, Stadtwerke, Müllentsorgung), private Zuzahlungen und Zusatzversicherungen verteuern die Leistungen (Renten, Krankheitsbehandlungen, Hochschulbesuch, Schulbücher), in Bahnhöfen wird Pinkelgebühr erhoben, »Heuschrecken« erhöhen die Mieten in Dresden und anderen Städten. Vor allem: Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnerei sind eine Systemfolge der Privatisierung.

Staatliche Reparaturarbeiten

Gebrochene Versprechen müssen keinen Hardcoreprivatisierer von seiner Linie abbringen, aber es ächzt und knarzt im neoliberalen Gebälk. Die Krise sieht in jedem Land anders aus. Aber überall soll nun der Staat entgegen der reinen Lehre des Neoliberalismus eingreifen; sogar im kapitalistischen Sinne ist »der Markt« nicht in der Lage, sich selbst zu helfen. Die Regierungen sind gegenwärtig mit Reparaturarbeiten beschäftigt. Sie werden als Routine ausgegeben, von Krise darf nicht gesprochen werden.

Im europäischen Privatisierungsvorreiterstaat Großbritannien fängt der Staat seit Jahren in großem Stil die Schulden von bankrotten Investoren auf. Er kaufte mit Steuermitteln bankrotte Eisenbahngesellschaften zurück oder zahlte Zuschüsse. Die Wasserregulierungsbehörde Office of Water Services soll die katastrophalen Folgen der Wasserprivatisierung auffangen. Die Investoren sollen verpflichtet werden, endlich auch die unter privater Eigentümerschaft weiter vernachlässigten, undichten Leitungen zu reparieren.

Auch die neuere Variante, das Public Private Partnership, ist in der Krise: So ging der Investor Metronet, der die Sanierung und Instandhaltung der Londoner U-Bahn bis 2035 übernommen hatte, schon 2007 bankrott - der Staat übernimmt seine Schulden. Zum Metronet-Konsortium gehören immerhin so »renommierte« Weltkonzerne wie Bombardier, Electricité de France und Thames Water (siehe jW-Thema v. 2.8.2007). Die Labour-Regierungen, ob unter Premierminister Gordon Brown oder Anthony Blair, wollen an den Prinzipien der Privatisierung nicht rütteln, koste es den Staat, was es wolle. Die konservative »Opposition« unterstützt das.

In Deutschland kümmert sich eine Regulierungsbehörde um immer mehr privatisierte Bereiche. Die »Bundesnetzagentur« wurde 1998 zunächst für die Überwachung der privatisierten Post eingerichtet, weil die Telekom keine Konkurrenten zulassen wollte. 2006 unterstellte die Bundesregierung der Bundesnetzagentur weitere »leitungsgebundene« Dienstleistungen: Elektrizität, Gas, Strom und Bahn. Die Großbehörde, die inzwischen auf immerhin 2300 Mitarbeiter erweitert wurde, soll das gewährleisten, was »der Markt« doch nicht hervorbringt, sondern zerstört: Wettbewerb. Preisauswüchse sollen verhindert werden. Doch die volkswirtschaftlich wichtigsten Probleme gehören nicht zum Aufgabenbereich. Wenn der Wettbewerb auf der Basis von Armutslöhnen funktioniert, dann ist für die Agentur alles in Ordnung.

Eine scheinbar einfache, aber defensive Haltung hat die Regierung der Niederlande entwickelt. Es wurde ein Stopp beschlossen, Staatsbetriebe werden nicht weiter verkauft. Die gegenwärtig sozialdemokratisch-christdemokratische Koalitionsregierung korrigierte damit die Praxis der christdemokratischen Vorgängerregierung, beide geführt vom selben konservativen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende. Wo der Staat bei Transport-, Hafen- und Energieunternehmen und Banken noch Anteile hat, muß er sie festhalten. »Die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen soll erhalten bleiben«, sagt der stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister Wouter Bos im NRC Handelsblad vom 7.Dezember 2007. Ob diese freundliche Absichtserklärung unter den Bedingungen des schon sehr weitgehenden Ausverkaufs umgesetzt werden kann, ist fraglich; ohnehin hat die »Qualität der öffentlichen Dienstleistungen« schon stark gelitten.

In Schweden ist dagegen der Verkauf staatlicher Unternehmen eines der Prestigeprojekte der 2006 gewählten bürgerlichen Regierung. Doch von den geplanten sechs Verkäufen ging bisher nur einer über die Bühne, und auch der nur in Kleinstausführung: Acht Prozent der staatlichen Telefongesellschaft Telia-Sonera fanden einen Käufer. Die Operation stockt auch deshalb, weil die Öffentlichkeit sensibler für unsaubere Praktiken geworden ist, die bei Privatisierungen nicht selten sind. Zwei Mitarbeiter der Investmentbank Carnegie hatten ins Finanzministerium gewechselt, um ihre »Kompetenz« einzubringen. Als diese die Gestalt von besonders hohen Bonuszahlungen annahm, mußten die Kompetenzbolzen zurücktreten.

Neuseeland rudert zurück

Die konsequenteste Antiprivatisierungsstrategie hat Neuseeland eingeschlagen. Der Staat galt in den 80er Jahren auch in der EU als Vorbild. Im großen Stil haben die »konservativen« Regierungen Staatseigentum verkauft. Das wurde damals weltweit gelobt.

Die Ergebnisse waren teilweise noch katastrophaler als in Großbritannien. Die Energiekonzerne zogen Profit ab und erneuerten die Leitungsnetze nicht; 1998 waren weite Teile des Landes 66 Tage lang ohne Strom. Die beiden öffentlichen Banken wurden verkauft. Jahrelang konnten in manchen Städten normale Bürger kein Konto mehr eröffnen - daran hatten die neuen Eigentümer, global agierende australische Großbanken, kein Interesse. Renten und Sozialleistungen wurden gekürzt, Studiengebühren wurden erhoben, für den Zugang zu Krankenhäusern mußte man bezahlen. Hohe Arbeitslosigkeit und neue Armut waren die Folge, Bettler bevölkerten die Straßen der Städte, die Jugendselbstmordrate stieg an. Als sich das abzeichnete, stellten die großen Medien ihre Berichte über Neuseeland kurzerhand ein.

Seit 1999 sind die Regierungen unter der Premierministerin Helen Clark mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Die Labour-Politikerin regiert mit wechselnden kleinen, progressiven Parteien, den Grünen und anderen. Die Studien- und Krankenhausgebühren wurden abgeschafft. In den Postfilialen wurde eine Bank eingerichtet, damit jeder Bürger ein Konto einrichten kann. Der Staat kaufte die Bahn und die Fluggesellschaft Air New Zea¬land zurück.

Ein Mindestlohn wurde eingeführt. Für die niedrigen Einkommen senkte die Regierung die Steuern, denn sie sind entscheidend für die volkswirtschaftliche Nachfrage. Der Staat finanzierte Innovationen, z. B. in der Biotechnologie, damit die für Neuseeland wichtige Landwirtschaft neue Produkte wie Nahrungsergänzungsstoffe hervorbringen kann. 13000 Milchbauern haben sich zu einer Großkooperative zusammengeschlossen. Das hat der Regierung aus »westlicher« Sicht den Vorwurf eingetragen: Dies sehe doch gefährlich nach Sozialismus aus. »Unsere mittelgroßen Molkereien wären sonst längst von Nestlé oder sonstwem geschluckt worden«, widerspricht die Premierministerin in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ, Folio 09/06). Obstbauern, die Kiwis und Äpfel anbauen, werden bei Zusammenschlüssen vom Staat ebenfalls gefördert.

Auch außenpolitisch und kulturell wurde Neuseeland selbstbewußter. Man will eine autonome Republik werden und sich vom immer noch formal herrschenden englischen Königshaus lösen. Man verweigerte die Teilnahme am Irak-Krieg. Die Produktion neuseeländischer Filme wird gefördert, die Maori-Minderheit erhielt Rechte. »Wenn wir als Regierung nicht die Kultur fördern, enden wir als Vorstadt von Los Angeles, Sydney oder Frankfurt«, so Helen Clark weiter in der NZZ.

Die Zahl der Arbeitslosen sank, Bettler sieht man kaum. Neuseeland zeigt, was sogar unter kapitalistischen Bedingungen möglich ist. Wer in den versteinerten Verhältnissen etwa in Deutschland lebt, für den klingt das wie ein Märchen. Sicher spielt es eine Rolle, daß dieser Staat nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie liegt.

Vertuschung der Folgen

Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hat zwar banale, für einen deutschen Oberbürgermeister aber (noch) ungewöhnliche Erkenntnisse: »Private langen bei den Preisen hin, die Vollversorgung wird nicht gewährleistet, und die Rathäuser verkommen zu Reklamationsabteilungen für internationale Konzerne. Die Folgen lösen überall betretene Gesichter aus«, stellt er in der Frankfurter Rundschau vom 26. Januar 2008 fest.

Ude, auch Präsident des Deutschen Städtetages, hat in London die privatisierten Wasser- und Abwasseranlagen besichtigt: »An 60 Tagen fließt Wasser (er meint Abwasser, W. R.) ungeklärt in die Themse - bei 245 Millionen Pfund Jahresgewinn.« Das hat ihn »geschüttelt«. Er meint sogar: »Der Zeitgeist erschrickt vor sich selbst.« Unter den deutschen Oberbürgermeistern und »Volksparteipolitikern« ist Ude mit seinem Erschrecken allerdings allein. Vielleicht denken einige seiner Kolleginnen und Kollegen heimlich genauso, aber sie zeigen keineswegs betretene Gesichter. Vielmehr strahlen sie unverdrossen wie seine Städtetagstellvertreterin Petra Roth (CDU), Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main, optimistisch in die Kameras und privatisieren weiter, wie es der immer noch unerschrockene »Zeitgeist« befiehlt.

In Deutschland tun vor allem die »Volksparteien« viel dafür, die Krise nicht ausbrechen zu lassen. Zum Beispiel die hessische CDU-Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch. Im Haushalt wurden seit Jahren die Ausgaben für den Jugend-, Bildungs- und Sozialbereich gnadenlos zusammengestrichen. Priorität haben die Staatsausgaben für Privatisierungsprojekte: Finanzzentrum Kassel Altmarkt, Finanzzentrum Wiesbaden, Polizeirevier Wiesbaden, Justizvollzugsanstalt Hünfeld, Universität Frankfurt, Universitätskliniken. Öffentliche Gebäude - Ministerien, Polizeipräsidien u. ä. - werden verkauft, um den Haushalt zu »sanieren«; daß auf Dauer die Mieten die anfänglichen Verkaufserlöse weit übersteigen - keiner soll es erfahren. Im hessischen Landkreis Offenbach läuft mit 90 Schulen das bundesweit größte Projekt nach dem Muster Public Private Partnership. Daß bis zum Jahr 2020 der Landkreis mindestens 800 Millionen Euro Miete zahlen muß, wird offiziell verschwiegen. Alle Verträge mit ihren Gewinngarantien für die Privaten bleiben selbst für die gewählten Vertreter in Landtag, Stadtrat und Landkreistag geheim. Wenn Koch die öffentliche Diskussion mit Forderungen nach harten Strafen für Jugendliche anheizt und die Medien das zum großen Thema machen - kritisch oder unkritisch -, wie soll den Bürgern klar werden, daß im Hintergrund die eigentliche Krise herangereift ist?

Die Krisenerkenntnis wird nicht nur durch die Beschlußlage der »Volksparteien« SPD und CDU, der FDP und der Grünen verhindert, die einhellig Privatisierungen weiterhin als Allheilmittel ansehen. Da mag manchmal auch Bestechung im Spiel sein; es hat sich eine typische Privatisierungskorruption herausgebildet. Aber ein wesentliches Hindernis für umfassende Einsicht in Privatisierungsfolgen ist die absolute Geheimhaltung. Ob bei der LKW-Maut (Toll Collect), bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB), beim Wohnungsverkauf in Dresden und bei den neuerlichen Public-Private-Partnership-Projekten wie Offenbach: In den beschlußfassenden Gremien vom Bundestag bis herunter zum kleinsten Gemeinderat liegen die Verträge im verbindlichen Wortlaut nicht zur öffentlichen Diskussion vor. Deshalb erfahren nicht einmal die gewählten Volksvertreter, wo die Fußangeln bzw. die heimlichen Gewinngarantien zu Lasten der öffentlichen Hand stecken. Und noch weniger erfährt die Öffentlichkeit davon.

»Besatzungmächte« entmachten

Um von der vagen Antistimmung zur praktischen Veränderung zu kommen, ist deshalb die Forderung nach Offenlegung der Privatisierungsverträge wesentlich. Das betrifft nicht nur zukünftige, sondern auch die bisherigen Verträge. Da wird es eine Menge »betretene Gesichter« und so manches Erschrecken geben, wenn das bisher geheime Kleingedruckte aus den tausendseitigen Verträgen das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Deshalb kommt gegenwärtig dem Berliner Volksbegehren »Schluß mit Geheimverträgen - Wir Berliner wollen unser Wasser zurück« große Bedeutung zu (berliner-wassertisch.net und unverkaeuflich.org).

Bürgerentscheide reichen nicht aus. Erstens beträgt ihre Bindungswirkung je nach Bundesland nur ein, höchstens zwei oder drei Jahre. Zweitens haben die Privatisierungsbefürworter verschiedene Techniken des Erschwerens und Unterlaufens entwickelt (weniger Abstimmungslokale, keine amtliche Benachrichtigung, vorgezogene Eilentscheidungen der Stadträte, juristische Umgehungskonstrukte).

Bis in Landesregierungen, ja sogar bis in die Bundesregierung ist die Einsicht vorgedrungen, daß die Energiekonzerne - in Deutschland die »vier Besatzungsmächte« RWE, Vattenfall, E.on und EnBW - ihre territorialen Monopolstellungen zu Preisdiktaten bei Strom und Gas ausnutzen. Dies wird unter anderem dadurch ermöglicht, daß diese Konzerne sich mit ihren Milliardengewinnen während des letzten Jahrzehnts in Hunderte Stadtwerke, Wasserwerke und Müllverbrennungsanlagen eingekauft haben. So haben sie die Deregulierung unterlaufen, können alternative Anbieter aus den kommunalen Leitungsnetzen leichter fernhalten und üben wesentlichen Einfluß nicht nur auf die Preise von Strom, Gas und Fernwärme aus, sondern auch bei Wasser, Müll und Abwasser. Deshalb reicht es nicht aus, Obergrenzen für Energiepreise festzulegen. Das könnten übrigens schon bisher die Bundesnetzagentur und die Landeskartellämter tun. Deshalb müssen die Forderungen weitergehen: Leitungsnetze vergesellschaften, die »Besatzungsmächte« entmachten (attac.de/Energiekonzerne).

Das ist auch deshalb notwendig, weil der inzwischen vielfach euphorisch gepriesene Trend zur Rekommunalisierung auf wenige Privatisierungen begrenzt bleiben muß. Die meisten Verträge laufen 30 Jahre. Ein Zurück in alte Zustände ist wegen der damals herrschenden Bürgerferne der Betriebe und des Parteienfilzes sowieso keine Lösung. Zudem haben Städte, Bundesländer und auch der Staat nicht das Geld zum flächendeckenden Rückkauf, schon gar nicht bei vorzeitiger Vertragsauflösung. Das sähe anders aus, wenn durch Gesetze neue Rahmenbedingungen auch für Enteignungen gesetzt werden.

Gewerkschaften haben angefangen, ihre Zusammenarbeit mit einem der größten Promoter der Privatisierung, die Bertelsmann-Stiftung, aufzukündigen. Diese Zeichen von Widerstand sind Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewußtseins. Jetzt können eigene Konzepte für eine demokratische und qualifizierte öffentliche Verwaltung entworfen werden. Für die Gewerkschaften gilt auch: In der gegenwärtigen Situation ist der Streik das wirksamste Mittel für die eigene Interessensvertretung, wie die Gewerkschaft der Lokführer gezeigt hat. Dadurch wurden nicht nur die Arbeitsbedingungen und Einkommen der Lokführer verbessert, auch die Folgen von Privatisierungen konnten Privatisierern und Bahnfahrern deutlicher werden: Aufmüpfige Angestellte sind möglichen Käufern ein Dorn im Auge. Durch Privatisierung wächst die Lohndrückerei; die Resultate sind schlecht ausgebildetes Personal sowie eine dünne Personaldecke. Verspätungen und Unfälle treten - wie in Großbritannien der Fall - immer häufiger auf. Kein Fahrgast will das.


Werner Rügemer ist Publizist und Vorsitzender der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control. Im März erscheint die erweiterte und aktualisierte Auflage seines Standardwerks »Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz« (Verlag Westfälisches Dampfboot)

 

 
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