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13. September 2009

 

 

 

 

 

 

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demo-online.de, 11.9.2009

Öffentliche Güter brauchen Standards

Fazit nach 20 Jahren:
Wesentliche Privatisierungsziele wurden nicht erreicht.

Von Stefan Grönebaum

 

Eine kritisch-differenzierte Sicht auf 20 Jahre Privatisierung zogen der Arbeitskreis Dienstleistungen von ver.di und die Friedrich-Ebert-Stiftung auf einer Tagung im Sommer in Berlin. SPD-MdB Klaus Barthel, Vize im Beirat der Bundesnetzagentur, schilderte seine Erfahrungen mit Netzregulierung: Während die „asymmetrische“ Regulierung im Telekommunikationsbereich für mehr Wettbewerb und niedrigere Preise sorgte, stärkte die Netzregulierung noch die Oligopolisten und setzte rein betriebswirtschaftliche Kriterien durch. Nun drohe eine Investitionsblockade, falls die Politik die Rendite senke, es bestehe ein Wettbewerbsdilemma zu Gunsten der großen Vier und es fehlten Instrumente, die Standards privatisierter Betriebe zu beeinflussen. Daher riet Barthel (noch vor dem Kollaps der Berliner S-Bahn, d. Red.) zu einer Debatte über Servicequalität und -standards in verbliebenen Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge.

Uwe Foullong, verdi-Bereichsleiter Finanzdienstleistungen, erinnerte daran, dass nirgendwo die Personalausgaben im öffentlichen Dienst mehr gesenkt worden seien als in Deutschland (sieben Prozent BIP, OECD-Schnitt 10,5 Prozent). Die Leitlinie der letzten 20 Jahre des „Privat vor Staat“ (Angela Merkel: „Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer“) habe zu Beschäftigungsabbau, Lohnsenkung und Qualitätsverschlechterungen geführt.

Immobilien und Energieversorgung am meisten privatisiert

Dies unterstrich Prof. Wolfgang Gerstlberger, der das Memorandum: „Öffentliche Dienstleistungen – unverzichtbarer Baustein der Daseinsvorsorge“ vorstellte. Die Studie habe die drei Bereiche Stadtwerke, Finanzdienste und Gesundheit/Pflege untersucht. Die Privatisierung sei in drei Phasen erfolgt: Vor 1990 wurden große Industriebetriebe, wie Veba, Viag und Lufthansa veräußert, Anfang der 1990er-Jahre die netzgebundene Infrastruktur (Bahn, Post, Telekom) und in den späten 1990ern die regionale Infrastruktur (Stadtwerke). Gründe seien die neoliberale Politik der Liberalisierung und Marktöffnung sowie die Finanznot der Kommunen in den Jahren 2002 und 2005. Die am weitesten privatisierten Bereiche sind Immobilien und Energieversorgung.

Die Bürger, so Gerstlberger, seien „50 zu 50“ zur Privatisierung gespalten. Die der Telekom sehen sie positiv, die bei Energie, Bahn und Abfall negativ. Stark war der Stellenabbau: Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung fielen seit Anfang der 1990er rd. 600 000 Jobs netto weg. Im stark privatisierten Stadtwerkebereich empfahl Gerstlberger der Politik: klare Kriterien, was diese leisten sollen, die Einbindung von Bürgern und Beschäftigten, mehr Einflussnahme auf EU-Ebene sowie Nutzung erneuerbarer und dezentraler Energiepotenziale.

Unterfinanzierung und Reformstau im Gesundheitswesen

Im Finanzsektor hätten sich die Sparkassen als größte Bankengruppe der Welt mit Fusionen und Effizienzreformen behauptet, die Landesbanken sei in der Krise. Der Politik empfahl er: festhalten an Regionalprinzip und Gemeinwohlorientierung, klare regionale Kundenorientierung, strategische Kooperation zwischen Sparkassen und öffentlichen Betrieben wie Stadtwerken und Kliniken sowie Rückbesinnung der Landes- als lokale und regionale Förderbanken.

Im Bereich der Gesundheit/Pflege konstatierte Gerstlberger Unterfinanzierung und Reformstau, daher einen Trend zu mehr Arbeitsverdichtung, Wettbewerb und Privatisierung. Hier schlug er vor: bessere Finanzausstattung im Gesundheitswesen, Aufgabe der Budgetdeckelung, Aufwertung nichtärztlicher Berufe wie Pfleger und Schwestern, Entwicklung integrierter regionaler Versorgungsnetzwerke bei branchenbezogenen Tarifverträgen sowie einen Qualitäts-TÜV.

Höhere Einnahmen statt Verkäufe

Im Podium wetterte Münchens Kämmerer Ernst Wolowicz, der Staat habe sich selber entreichert, die Politik sich der Kontrolle enthoben, dabei sei öffentlicher Dienst oft effizienter als Private. Doch die Finanzkrise mit ihren Einnahmeverlusten für Kommunen vergrößere das Privatisierungsrisiko. Für Autor Werner Rügemer hat bei Cross-Border-Leasing u.ä. die Kommunalaufsicht, für Kassels Ex-OB Wolfgang Bremeier die kommunalen Gremien versagt.

Laut Uwe Foullong braucht es höhere Einnahmen statt Verkäufe, um die Finanznot der Städte zu bekämpfen. „Steuersenkungen sind unseriös, eher müssen wir Steuern erhöhen“, wurde Foullong deutlich. Prof. Gerstlberger sprach lieber von mehr Einsatz für branchenspezifische Tarife, qualitäts-, soziale und Umweltkriterien sowie für ein europaweites Handeln der Gewerkschaften. Übrigens stehen am Ende der Studie bündig zentrale Handlungsempfehlungen und -bedarfe für den Gesetzgeber: wenn der dann noch öffentliche Dienste will.


Stefan Grönebaum ist Chefredakteur der DEMO

 
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