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18. März 2013

 

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, 10.3.2013

 

Hauen und Stechen in der
Thüringischen Wasserwirtschaft

 

Ein großräumiger „Bakterienalarm“ hatte im Juli 2012 im Großraum Erfurt für erhebliches Aufsehen gesorgt. 280.000 Menschen waren aufgefordert, ihr Trinkwasser abzukochen, da im Trinkwasser E.colis und andere potenziell krankmachende Keime detektiert worden waren. Das Abkochgebot musste während einer ganzen Woche aufrechterhalten werden (s. RUNDBR. 997/1-3).

Involviert in den „Bakterienalarm“ waren in den betroffenen Stadt- und Landkreisen fünf Gesundheitsämter. Während die Debatten um die Ursache der Keimbelastung die letzten Monate nur in Fachkreisen geführt worden waren, kam die Kontroverse am 7. Febr. 2013 mit einem Paukenschlag wieder an die Öffentlichkeit: Der Geschäftsführer der Thüringer Fernwasserversorgung, THOMAS RAUCH, hatte Strafanzeige gegen den Chef der Erfurter Wasserversorgung (THÜRINGENWASSER GMBH - THÜWA) gestellt. Begründet wurde die Strafanzeige gegen ANDREAS REINHARDT mit „wissentlicher Falschaussage“.

Vorangegangen war der Strafanzeige ein Vortrag des THÜRINGENWASSER-Chefs vor dem Ausschuss für Ordnung und Sicherheit des Erfurter Stadtrates in öffentlicher Sitzung über die Ursachen der mikrobiologischen Kontamination. In seinem Vortrag hatte REINHARDT die Keimbelastung in der Trinkwasserversorgung im Großraum Erfurt auf eine mögliche Überlastung der Aufbereitungskapazitäten des Fernwasserversorgers zurückgeführt. Starkniederschlagsereignisse Anfang Juli nach langer Trockenheit im Mai und Juni hätten zu einer hohen Einschwemmung von Kot und tierischen Leichen in die Ohra-Talsperre geführt. Aufgrund von Wartungsarbeiten hätte die Aufbereitungsanlage des Fernwasserversorgers die mikrobiologische Spitzenbelastung aus der Talsperre vermutlich nur unzureichend eliminieren können. Die mikrobiologische Kontamination sei vom Fernwasserversorger an die Weiterverteiler, u.a. an die ThüringenWasser in Erfurt, weitergeleitet worden. Diese Vorwürfe werden bei der Thüringischen Fernwasserversorgung als völlig haltlos eingestuft.

Mit seinen Vorhaltungen habe REINHARDT wider besseres Wissen „die Thüringer Bevölkerung getäuscht und verunsichert“. Demzufolge habe man mit einer Strafanzeige gegen den THÜWA-Chef reagieren müssen. Wie die THÜRINGER ALLGEMEINE am 7. Febr. 2013 berichtete, sehe RAUCH zudem „Absprachen unter Geschäftspartnern durch REINHARDTS Auftritt vor dem Stadtausschuss verletzt“. Die Fernwasserversorgung und die THÜWA hätten „noch Ende vergangenen Jahres besprochen, eine Gutachterkommission einzusetzen“. Diese Expertengruppe sei nie zusammengetreten, „weil REINHARDT blockiert habe“.

 

„Probenahmefehler“ versus
„Geschäftsschädigung“
 

Die zuvor genannte Keimbelastung im Großraum Erfurt war im Juli 2012 zuerst vom INSTITUT FÜR WASSER- UND UMWELTANALYTIK (IWU) analysiert worden. Bei diesem Labor handelt es sich um eine Niederlassung der GESELLSCHAFT FÜR WASSER- UND ABWASSERSERVICE MBH. Und diese GWA GmbH ist wiederum eine Tochtergesellschaft der THÜRINGENWASSER GMBH – also des Erfurter Trinkwasserversorgers.

Kurz nach Bekanntwerden der Befunde aus dem „IWU“ hatte die Fernwasserversorgung am 18.07.12 alle Verträge mit dem Labor gekündigt. Mit der Kündigung der Verträge wollte man unterstreichen, dass man das Labor nicht mehr länger als qualifiziert einstufe. Die Probenehmer des IWU Luisenthal hätten bei der Untersuchung des Fernwassers schwere handwerkliche Fehler gemacht. Die Rede war und ist von Probenahmefehlern.

Bei der THÜRINGENWASSER GMBH in Erfurt hat man die Kündigung wohl als wenig kollegiales Vorgehen seitens des Fernwasserversorgers bewertet – und wehrt sich wegen der Geschäftsschädigung jetzt gerichtlich gegen den Abbruch aller Geschäftsbeziehungen durch den Fernwasserversorger. Die Behauptung, dass dem „IWU“ angeblich Probenahmefehler unterlaufen seien, sei geschäftsschädigend. Und mit der Kündigung des Vertrags durch den Fernwasserversorger breche dem IWU wohl einer der größten Auftraggeber weg. Das „IWU“ war direkt unterhalb der Ohra-Talsperre in einem Gebäude der Thüringer Fernwasserversorgung untergebracht. Von dort aus war das Versorgungsnetz des Fern-wasserversorgers beprobt worden.

 

Prof. Martin Exner zum
Erfurter „Bakterienalarm“
 

ANDREAS REINHARDT, der Vorsitzender der THÜRINGENWASSER GMBH, hatte sich bei seinen Aussagen vor den Erfurter Gemeinderäten auf ein Gutachten gestützt, das im Auftrag der ThüWa von Prof. MARTIN EXNER zu den Ursachen der Keimbelastung an-gefertigt worden war. In seinem “Gutachten zur Beeinträchtigung der Trinkwasserqualität durch E. coli und coliforme Bakterien im Versorgungsgebiet der THÜWA GMBH im Sommer 2012“ stellte EXNER, der auch Vorsitzender der Trinkwasserkommission beim Umweltbundesamt ist, zunächst fest, dass der Großraum Erfurt durch die außergewöhnlich hohe Keimbelastung im Juli 2012 einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt gewesen wäre:

„Die nachgewiesenen Konzentrationen der bakteriellen Indikatoren für eine fäkale Belastung lagen in einem Konzentrationsbereich, so dass mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von einer Belastung anderer Trinkwasser assoziierten Krankheitserregern wie Campylobacter, enteropathogene E.coli, Enteroviren und Noroviren bzw. Parasiten wie Cryptosporidien und Giardien ausgegangen werden musste und ein konkretes Risiko für ein Trinkwasser bedingtes Epidemiegeschehen für die 280.000 Menschen im Versorgungsgebiet anzunehmen war. Derartige Konzentrationen sind in der Wasserversorgung außergewöhnlich hoch und deuten – sofern die Plausibilität der Befunde gesichert ist - darauf hin, dass die Barrieremaßnahmen zur Sicherung der Trinkwasserqualität in diesem Wasserversorgungssystem erheblich eingeschränkt waren oder nicht im notwendigen Umfang die erforderliche Eliminierungsleistung von Mikroorganismen gewährleisteten. Die Unterzeichner stellen fest, dass Ihnen auch im Rahmen anderer Störfälle eine derart hohe Kontamination mit Indikatoren für eine fäkale Belastung trotz jahrzehntelanger Erfahrung bislang im Trinkwasser in Deutschland nicht bekannt geworden ist.“

Somit habe es sich um „eine Gefahrensituation auf höchster Risikostufe“ gehandelt. EXNER kritisiert in seiner Expertise, dass man die mikrobiologische Be-lastung nicht eingehend genug untersucht habe. Zum einen sei das untersuchte mikrobielle Spektrum nicht umfassend untersucht worden, zum anderen hätte man die Spezies nicht differenziert genug ana-lysiert. Insofern sei es im Nachhinein schwierig, die Ursachen der mikrobiellen Belastung eindeutig he-rauszufinden. Gleichwohl schließt Exner in seinem Gutachten nicht aus, dass die Keimbelastung aus der Ohra-Talsperre gekommen sein könnte.

 

Erfurter „Bakterienalarm“:
Gibt es eine Geschichte hinter der Geschichte?
 

Insider in der Thüringer Wasserwirtschaft vermuten aus, dass die widersprüchlichen Sichtweisen zu dem Erfurter „Bakterienalarm“ noch ganz andere Hintergründe haben könnten: Der massive Rückgang des Trinkwasserbedarfs in Thüringen nach der „Wende“ habe dazu geführt, dass die Thüringer Fernwasserversorgung inzwischen völlig überdimensioniert sei. Die Fernwasserversorgung sei nach der „Wende“ nach alten DDR-Plänen weiterhin ausgebaut worden, obwohl der Trinkwasserbedarf mittlerweile noch allenfalls bei einem Drittel von dem liegt, was zu DDR-Zeiten verbraucht worden war.

Die hohen Fixkosten in der Fernwasserversorgung müssen wegen des zurückgehenden Bedarfs auf immer weniger Kubikmeter umgelegt werden. Das Land Thüringen als Mehrheitseigner der Fernwasserversorgung habe deshalb alles Interesse, noch weitere Kommunen an die Fernwasserversorgung anzuschließen, um den Anstieg der Kubikmeterpreise zumindest zu verlangsamen. Und demzufolge sei man bemüht gewesen, die Keimbelastung aus der Ohra-Talsperre möglichst kleinzureden – zumal im Sommer 2012 die Verträge der Fernwasserversorgung mit den Weiterverteilern gerade zur Neuverhandlung anstanden. Nachrichten über eine mikrobielle Kontamination des Fernwassers wären gerade in einer solchen Situation kontraproduktiv gewesen. Deshalb sei man seitens des Thüringer Gesundheitsministeriums im Juli vorgeprescht, um die angebliche Kontamination auf einen „Messfehler“ zurückzuführen. Nachdem die Geschichte mit dem Messfehler nicht so richtig funktioniert habe, wurde ein „Probenahmefehler“ in den Raum gestellt. Außerdem habe man seitens des Ministeriums die Gesundheitsämter wissen lassen, dass man im Ministerium einer möglichst schnellen Aufhebung des Abkochgebot nicht unbedingt ablehnend gegenüberstehen würde – obwohl immer noch vereinzelt Keime im Netz festgestellt werden konnten.

 

Leichtfertig die Gesundheit
von 280.000 Menschen auf’s Spiel gesetzt?

Mitarbeiter der betroffenen Gesundheitsämter haben sich beklagt, dass man seitens des Ministeriums die fünf beteiligten Gesundheitsämter mit der Bewältigung des komplexen Krisenfalles im Juli 2012 ziemlich allein gelassen habe. Bedenklich ist, dass sich der Fernwasserversorger und die Erfurter Wasserversorgung mit Vertragskündigungen und Strafanzeigen inzwischen derart entzweit haben, dass jetzt guter Rat teuer ist. Wenn das Ministerium eine koordinierende Führungsrolle übernommen hätte, wäre es vielleicht nicht zu diesem in der deutschen Wasserwirtschaft beispiellosen Zerwürfnis gekommen. Dass das Ministerium darüber hinaus aus ökonomischen Gründen daran interessiert gewesen sein soll, das Abkochgebot möglichst schnell zu beenden, obwohl weiterhin eine Verkeimung bestanden habe, ist ein ungeheuerlicher Verdacht. Sollte es tatsächlich so gewesen sein, hätte das Ministerium leichtfertig mit der Gesundheit von 280.000 Trinkwasserkonsumenten russisches Roulette gespielt. -ng-

 

 

Spurenstoffanalytik:
Die Nadel im Heuhaufen suchen
 

Eher für HighTech-Analyse-Freaks als für Normalsterbliche ist der Überblicksartikel „LC-MS in der Spurenstoffanalytik – Aktuelle Trends zur Quantifizierung und Identifizierung persistenter Substanzen im Abwasser“ geeignet. In der GIT LABOR-FACHZEITSCHRIFT 11/2012 beschreiben CHRISTOPH PORTNER & JOCHEN TÜRK wie man mit immer ausgefuchsteren Analysetechniken Mikroverunreinigungen in immer niedrigeren Konzentrationen nachweisen kann.

Gleichwohl bleibt die Spurenstoffanalytik höchst anspruchsvoll – vor allem dann, wenn man nur vage Anhaltspunkte hat, welche Mikroverunreinigungen in der Wasser- oder Abwasse-probe enthalten sein könnten. Man spricht dann vom „Suspected Sreeening“. Die Analyseautomaten (hochauflösende Massenanalysatoren – HRMS) spucken Berge von Messdaten aus. Die Spektren müssen dann mit Spektren verglichen werden, die in speziellen Datenbanken hinterlegt sind. Noch ambitionierter ist die „Non-Target-Analytik“, die „der Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ gleiche:

„Ohne weitere Kenntnisse zu den möglichen Substanzen in der Probe ist eine eindeutige Identifizierung nur sehr schwer möglich. Dennoch bietet sie die Möglichkeit z.B. Tagesgänge zu vergleichen und Unterschiede oder Zusammenhänge zwischen den Probenahmeorten und –tagen mittels multivariater Datenanalyse zu untersuchen.“

Die Autoren kommen zum Fazit, dass die beste HighTech-Massenspektrometrie nicht den analytischen Sachverstand des Laborpersonals ersetzen kann:

„Bei allen neuen Entwicklungen sind die Kosten und der zeitliche Aufwand für die steigende Automatisierung bei der Probenvorbereitung, Messung und Auswertung stets zu berücksichtigen. Umfassende LC-MS-Methoden ermöglichen zwar ein schnelles Target-, Suspectid- bzw. Non-Target-Screening, stellen aber immer nur einen Kompromiss hinsichtlich der Sensitivität dar. Die Versuchsplanung, Dateninterpretation und Bewertung der Messergebnisse bleibt weiterhin beim Anwender.“

Weitere Auskunft zum kaum noch zu überblickenden Chromatogramm-Output von modernen Analyseautomaten bei

Dr. rer. nat. Christoph Portner
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich
Umwelthygiene und Spurenstoffe
Institut für Energie und Umwelttechnik e.V.
Duisburg
Tel.: 02065/418-216
E-Mail: portner@iuta.de
Internet: www.iuta.de

 

Non-Target-Screening:
Schlafende Hunde wecken?
 

Die schwer zu interpretierenden Messergebnisse der zuvor erwähnten Non-Target-Analytik stellen die Wasserversorger vor kommunikative Probleme. Die meisten Wasserwerker sind sich inzwischen einig, dass man mit eindeutigen Spurenstoffbefunden im Trinkwasser nicht hinter dem Berg halten sollte. Aber was soll man mit Chromatogrammen machen, in denen sich ein nicht zu identifizierender Peak an den anderen reiht, ohne dass man sagen könnte, für welchen (Schad-)Stoff der jeweilige Peak steht? Die befürchtete Reaktion der besorgten Öffentlichkeit:

„Es ist ja entsetzlich, was alles in unserem Trinkwasser ist – und noch entsetzlicher ist es, dass Ihr Wasserwerksleute nicht mal wisst, was sich da alles an Mikroverunreinigungen im Trinkwasser tummelt!“

Zwar repräsentieren die (noch) nicht identifizierbaren Peaks auf den Messstreifen Stoffe, die zumeist nur im Nanogrammbereich (Milliardstel Gramm pro Liter) im Wasser enthalten sind. Selbst bei einer hohen Giftigkeit dieser Stoffe ist kaum mit einer gesundheitlichen Gefährdung der TrinkwasserkonsumentInnen zu rechnen. Aber die Unberechenbarkeit der öffentlichen bzw. der veröffentlichen Meinung lässt viele Wasserwerker davor zurückschrecken, die schwer interpretierbaren Ergebnisse des Non-Target-Screenings zu veröffentlichen. Bei eindeutig identifizierten Spurenstoffen im Trinkwasser gibt es Erklärungs- und Bewertungshilfe vom Gesundheitsamt oder vom Umweltbundesamt. Bei Dutzenden von unerklärlichen Peaks im Non-Target-Screening bleibt der Wasserversorger auf sich allein gestellt. Und bevor man unnötig die Pferde scheu macht, bleiben die Peaks des Non-Target-Screenings am besten ein Geheimnis zwischen dem Wasserwerk und dem hochspezialisierten Analyseinstitut.

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.

 

 
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