Während der geheimen Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA) versicherte die Europäische Kommission stets, dass Wasser aus dem Freihandelsabkommen ausgeschlossen sei und dass die Wahlmöglichkeit der Bewirtschaftungsform der «Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse» (DAWI) in Bezug auf Wasser (Aufbereitung und Verteilung von Trinkwasser, Abwasser etc.) durch die örtlichen Behörden nicht in Frage gestellt sei. Eine sorgfältige Lektüre des konsolidierten Vertragstextes vom 26. September 2014 spricht jedoch eine andere Sprache.
Rechte und Pflichten in Bezug auf Wasser
Das mit «Rights and Obligations Relating to Water » überschriebene Kapitel ist mit unklaren juristischen Termini, die bisweilen sogar im Widerspruch zu den europäischen und nationalen Rechtsvorschriften stehen, verfasst. Wir bezweifeln nicht, dass diese Rechtsunsicherheiten und juristischen Schlupflöcher den multinationalen Konzernen die Aneignung von Wasserdienstleistungen in Europa und Kanada erleichtern werden. Der o.g. Artikel erklärt, dass «water in its natural state [...] is not a good or a product and therefore [...] is not subject to the terms of this Agreement» (Wasser in seinem Naturzustand [...] ist keine Ware oder ein Produkt und daher […] nicht Gegenstand dieses Abkommens).
Da es sich aber bei der beinah gesamten Wassernutzung (Trinkwassser, Abwasserentsorgung, landwirtschaftliche Bewässerung...) um seiner natürlichen Umgebung entnommenes Wasser handelt, könnte dieses folglich als wirtschaftliches Gut und Produkt betrachtet und somit wie eine Ware den Vereinbarungen in CETA unterworfen werden. Im erwähnten Kapitel heißt es weiter «Where a Party permits the commercial use of a specific water source, it shall do so in a manner consistent with the Agreement» (Dort, wo eine Partei den kommerziellen Nutzen einer speziellen Wasserquelle erlaubt, soll sie es im Einklang mit dem Handelsabkommen tun), ohne hier klar zu definieren, was unter kommerziellem Nutzen und einer spezifischen Wasserquelle zu verstehen ist.
Derzeit sind es die Mitgliedstaaten, die die Wasserentnahme nach Kriterien genehmigen, welche sich von den Regeln zu Handel und Investitionen in den Freihandelsabkommen deutlich unterscheiden. Wie sollte man unter diesen Gegebenheiten den o.g. Ceta-Artikel also anders verstehen als ein weiteres Instrument in Richtung zunehmender Kommodifizierung von Wasser.
Vorbehalte für zukünftige Maßnahmen
Der Annex II «Reservations for Future Measures» (Vorbehalte für zukünftige Maßnahmen) listet Vorbehalte auf, welche die EU oder bestimmte Mitgliedstaaten für verschiedene Dienstleistungen geltend machen können. Die EU kann die Vorbehalte «Market Access» und «National Treatment» (Marktzugang und Inländerbehandlung) auf die Dienstleistungen «Collection, purification and distribution of water» (Sammlung, Reinigung und Verteilung von Wasser) anwenden. Deutschland kann den Vorbehalt "Marktzugang" für die Dienste "Abwasserklärung, Abfallbeseitigung und Straßenreinigung" geltend machen.
Aber nur alle vier Vorbehalte gemeinsam - "Marktzugang", "Inländerbehandlung", "Meistbegünstigung" und "Leistungsanforderungen" garantieren, dass eine Dienstleistung von den CETA- Regeln ausgeschlossen bleibt. Darüber hinaus erklären die Mitgliedstaaten mit Ausnahme Deutschlands keinen Vorbehalt für die Dienstleistungen "Abwasserklärung, Abfallbeseitigung und Straßenreinigung", was ihren Einschluss in CETA bedeutet - im Widerspruch zu Artikel 12 der Konzessionsrichtlinie.
Regulatorische Kooperation und ISDS
Die EU verhält sich, zumindest in der Theorie, neutral, wenn es in den einzelnen Mitgliedstaaten um die Auswahl der Bewirtschaftungsform - öffentlich oder privat - seiner DAWI geht. So hat England für seine auf Wasser bezogenen DAWI ein rein privates Wassermanagement gewählt, während die meisten Mitgliedstaaten sowohl eine öffentliche als auch eine private Bewirtschaftung erlauben.
Die bei CETA eingeführte und auch im Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten (TTIP) enthaltene regulatorische Kooperation stellt jedoch die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten in Frage. Die regulatorische Kooperation erlaubt, dass private Unternehmen bei Handel oder Investitionen betreffenden Gesetzesinitiativen der EU oder der Mitgliedstaaten konsultiert werden und das Verfahren beeinflussen, wenn sie ihre Interessen benachteiligt sehen. Angenommen ein Staat plant eine Gesetzesinitiative für eine rein öffentliche Verwaltung seiner auf Wasser bezogenen DAWI. Mit Hilfe der regulatorischen Kooperation werden private Unternehmen dieses Gesetzesvorhaben möglicherweise blockieren können.
Desweiteren erlaubt eine Schiedsgerichtsklausel zwischen privatem Investor und Staat (ISDS), dass der private Investor, der seine erwarteten Gewinne geschmälert sieht, die staatliche Maßnahme anfechten kann. Diese in CETA enthaltene Schiedsgerichtsklausel würde auch auf Wasser und Wasserdienstleistungen anwendbar sein - so wie bereits bei anderen Freihandelsabkommen geschehen: So hat Veolia die ägyptische Regierung vor ein Schiedsgericht gebracht, weil diese den Mindestlohn erhöht hatte; Im April 2015 ließ Suez den argentinischen Staat durch das bei der Weltbank angesiedelte Schiedsgericht zur Zahlung eines Schadenersatzes von mehr als 400 Millionen Dollar verurteilen, weil der argentinische Staat 2001 während der schweren sozialen und ökonomischen Krise den Wasserpreis gesenkt hatte.
Sperrklinken-Effekt und privates Management des Wassersektors
Die Rechte und Pflichten im Wassersektor, die für Wasserdienstleistungen geltend gemachten Vorbehalte und die in CETA enthaltene regulatorische Kooperation gestalten eine Rückkehr zur öffentlichen Wasserversorgung schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nachdem das Wassermanagement einem privaten Unternehmen zugewiesen wurde.
Wir haben Beispiele dieses Sperrklinken-Effekts bei anderen Freihandelsabkommen wie z. Bsp. im NAFTA-Abkommen: Nachdem das Flaschenwasser-Unternehmen Parmalat, das eine Erlaubnis zur Wasserentnahme aus der Quelle des Esker (Québec) hatte, in Konkurs ging, konnten die örtlichen Behörden dieses Wasser nicht zurückgewinnen, und die Regierung in Québec war gezwungen, einer amerikanisch-chinesischen privaten Kapitalgesellschaft eine neue Wasserentnahme-Erlaubnis zu erteilen.
Die kanadischen und europäischen Unternehmen im Wassersektor sind Tochterunternehmen der multinationalen Konzerne Veolia, Nestlé, Suez, Coca Cola ... . CETA und TTIP offerieren diesen Multinationalen hervorragende Möglichkeiten nach Wasser und Wasserdienstleistungen zu greifen, zum Nachteil der Bevölkerung dies- und jenseits des Atlantiks.