aktualisiert:
11. November 2018
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WasserInBürgerhand!
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BBU-Wasserrundbrief,
19. Oktober 2018
Bauer oder Kläranlage:
Woher kommen die bioverfügbaren Phosphate?
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Die Stuttgarter Zeitung hatte im August 2018 eine lange schwelende Kontroverse zwischen Baden-Württemberg und Hessen an den Tag gebracht. Kernpunkt der zunächst nur insgeheim geführten Auseinandersetzung ist die Frage, wer eigentlich die »Schuld« am übermäßigen Algenwachstum (Eutrophierung) in unseren Fließgewässern trägt. Nicht nur in Baden-Württemberg hat man bisher die Landwirtschaft als den wesentlichen Verursacher der Phosphatbelastung der Fließgewässer eingestuft.
In vielen Umweltländerministerien und selbst im Umweltbundesamt wird dabei auf die Ergebnisse von „MONERIS“ gepocht. „MONERIS“ ist ein Modellierungsinstrument, das zunächst geschaffen worden war, um die Nitrateinträge in die Gewässer und insbesondere in die Küstenmeere zu simulieren. Späterhin wurden auch die Einträge an Phosphaten simuliert. Aber inzwischen scheint es aufgrund hessischer Untersuchungen so, dass „MONERIS“ bei der Modellierung der Phosphateinträge systembedingt total daneben liegt. So wird der Anteil der Phosphatfrachten aus den kommunalen Kläranlagen systematisch unterschätzt, der Anteil aus der Landwirtschaft entsprechend überschätzt. Nach dem Motto „Die Erde ist eine Scheibe“ war man in Ba.-Wü. nicht gewillt, von liebgewonnenen Irrtümern Abschied zu nehmen – und das obwohl sich am Neckar am besten verdeutlichen lässt, dass bei „MONERIS“ nur Murks herauskommen kann. Zwischen den gemessenen Frachten und den modellierten Frachten liegt ein himmelweiter Unterschied.
Die Sache ist kompliziert: Bei den Phosphaten gibt es ganz vereinfacht gesagt zwei „Fraktionen“: Die gut löslichen ortho-Phosphate und die schwer löslichen, partikulär gebundenen Phosphate. Zum Mästen der Algen und Wasserpflanzen taugt nur das ortho-Phosphat – und ortho-Phosphate stammen größtenteils aus kommunalen Kläranlagen. Die partikulär-gebundenen Phosphate werden mit der Erosion (beispielsweise von Ackerflächen) in die Gewässer geschwemmt. Mit partikulär-gebundenen Phosphaten können Algen und Wasserpflanzen aber nicht viel anfangen (siehe obenstehenden Kasten). Wenn man also die Eutrophierung von langsam fließenden Bächen und stauregulierten Flüssen in Süd- und Westdeutschland verhindern will, muss man die Entfernung von Phosphaten („Phosphat-Eliminierung“) in den Kläranlagen noch weiter verbessern – so die These aus der hessischen Umweltverwaltung. In Nord- und Ostdeutschland ist die Situation etwas anders, weil dort bioverfügbares ortho-Phosphat in großen Mengen auch aus degradierten Moorflächen in die Fließgewässer ausgeschwemmt wird.
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Phosphor-Eliminierung:
Vorwärts in die Vergangenheit
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Im WASSER-RUNDBRIEF ist in der Ausgabe 935 vom 18.12.2009 ausführlich darauf hingewiesen worden, dass es unabdingbar ist, zur Erreichung des „guten ökologischen Zustandes“ in unseren Fließgewässern die Phosphoreliminierung in den Kläranlagen zu optimieren. Unter der Überschrift „Politikziel: Das Phosphorproblem bis 2027 zwischenlagern“ hatten wir vor neun Jahren kommentiert:
„Um die übermäßige Phosphorbelastung schon zum Ende der ersten Bewirtschaftungsrunde im Jahr 2015 größtenteils in den Griff zu bekommen, gibt es nach Ansicht von Abwasserexperten auch ohne weitere Prüfungen eine auf der Hand liegende Vorgehensweise:
Erstens müssen auch Kläranlagen unter 10.000 Einwohnerwerten (EW) mit einer Phosphorfällung ausgestattet werden. Die Auswahl erfolgt sinnvollerweise nach Flussgebieten. Dort, wo es in den Unterläufen Probleme gibt (z.B. Lahn, Neckar, Main, Mosel, Weser), müssen alle Kläranlagen über 1000 EW mit Phosphoreliminierungsstufen ausgestattet werden.
Und zweitens muss bei den größeren Kläranlagen der Wirkungsgrad der bislang betriebenen Phosphorfällung deutlich verbessert werden. Dies kann bei den mittelgroßen Kläranlagen durch die so genannte „Zweipunktfällung“ in Kombination mit einer erhöhten Fällmittelmenge erfolgen.
Auch bei den großen Kläranlagen gibt es noch Optimierungsbedarf, um Werte von 0,3 bis 0,4 mg/l zu erreichen. Für noch niedrigere Werte (0,1 mg/l) bedarf es einer Flockungsfiltration. Entsprechende Verfahren werden im Bodensee-Einzugsgebiet und in der Schweiz seit zwei Jahrzehnten und mit moderaten Mehrkosten erfolgreich praktiziert. Hessen und die anderen Bundesländer überlassen es jedoch der Einsicht der kommunalen Kläranlagenbetreiber, ihre Kläranlagen freiwillig aufzurüsten. In aller Regel werden die Kläranlagenbetreiber auf freiwilliger Basis aber keinen müden Euro investieren. Erst durch verbindliche Verwaltungsvorschriften werden sich die Kommunen veranlasst sehen, tatsächlich ihre Abwasserreinigungsanlagen zu optimieren.
Vor der Verabschiedung einer entsprechenden Verordnung schrecken Bund und Länder aber zurück. Man lässt es darauf ankommen, dass auch die Fische im Untermain und in den anderen staugeregelten Flüssen vor den eutrophierungsbedingten Sauerstofflöchern zurückschrecken. Wenn die Fische allerdings so dumm sein sollten, in den Sauerstofflöchern zu verrecken, muss man eben eine weitere Studie in Auftrag geben und die Umweltziele tieferhängen – oder zumindest die Fristen zur Abschaffung der „Sauerstofflöcher“ über 2015 und 2021 hinaus in die dritte Bewirtschaftungsrunde bis 2027 verschieben.“
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In hessischen Flüssen ist Schmalhans Küchenmeister
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Engagierten Gewässerschützern in der hessischen Umweltverwaltung ist es zu verdanken, dass man dort gegen alle Widerstände in der zweiten Bewirtschaftungsperiode 2009 – 2015 doch noch rechtzeitig umgesteuert hat. Nach der zuvor beschriebenen Vorgehensweise hat man die dortigen Kläranlagen so aufgerüstet, dass die Algen in den hessischen Flüssen auf Magerkost gesetzt worden sind. Die Kieselalgen als der wesentliche Eutrophierungsanzeiger sind inzwischen völlig »abgemagert«. Selbst in Fließgewässern mit überproportional hohem landwirtschaftlichem Einfluss steht jetzt bezüglich der Phosphatbelastung dem „guten ökologischen Zustand“ à la Wasserrahmenrichtlinie nichts mehr im Wege.
Dass man sich in den oberen Rängen der baden-württembergischen Wasserwirtschaftsverwaltung gegen die hessischen Erfahrungen mit Händen und Füßen gewehrt hat, ist verwunderlich. Denn im baden-württembergischen Bodensee-Einzugsgebiet ist es mit der Optimierung der Kläranlagen gelungen, den Bodensee von seinem hohen Eutrophierungsniveau in den 60er und 70er Jahren in einen nährstoffarmen Zustand zurückzuführen. Mittlerweile sind die Phosphatkonzentrationen im Bodensee so gering, dass seit Jahren die Berufsfischer rebellieren. Für den Rest von Ba.-Wü. – sowie in vielen anderen Bundesländern in Süd- und in Westdeutschland - ist es jetzt leider so, dass die längst fällige Aufrüstung der Kläranlagen mit einer Zweipunktfällung bestenfalls im dritten Bewirtschaftungszyklus erfolgen wird.
Dem investigativen Journalismus der Stuttgarter Zeitung ist es zu verdanken, dass die Debatte um „MONERIS“ inzwischen weite Kreise zieht. Auch im Stuttgarter Umweltministerium hat man begonnen, zurückzurudern: Man will sich noch mal Gedanken machen, ob bei der baden-würt-tembergischen Version von „MONERIS“ alles mit rechten Dingen zu geht. Für alle, die den Disput im Detail nachvollziehen wollen, hier die Hinweise zum Auffinden der Quellen:
Für die Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung im Aug. und Sept. 2018 einfach „Stuttgarter Zeitung Phosphor“ in eine Suchmaschine eingeben.
Für die inzwischen zur MONERIS-Affäre veröffentlichten Landtags-Drucksachen „Landtag Baden-Württemberg Moneris“ eintippen.
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