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2. Januar 2019

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, 9. Dezember 2018

Machen wasserrelevante Pharmawirkstoffe „glücklich“?

 

Die Mikroverunreinigungen im Abwasser, in den Gewässern und im tiefen Spurenbereich auch in einigen Trinkwässern war eines der Topthemen auf der diesjährigen wasserwirtschaftlichen Haupttagung des Bundesverbandes der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Führende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem von großen Wasserversorgern hatten sich am 24. und 25. Sept. 2018 in Berlin in den Kongressräumlichkeiten eines Hotels zusammengefunden, um die aktuellen Herausforderungen in der deutschen Siedlungswasserwirtschaft zu diskutieren. Der auf der Tagung stattgefundene Schlagabtausch zwischen Wasserwerkern und Pharmalobbyisten hatte zuweilen einen nicht geringen Unterhaltungswert.

Akzente hatte bereits der Vorstandsvorsitzende der Berliner Wasserbetriebe (BWB), Dr. Jörg Simon, in seiner Eröffnungsansprache gesetzt: Im Hinblick auf die Spurenstoffdiskussion hatte Simon betont, dass das auch bei der Spurenstoffeliminierung das Verursacherprinzip gelten müsse. Den Eintrag von Mikroverunreinigungen in die Gewässer dürfe man nicht nur mit end-of-the-pipe-Maßnahmen bekämpfen. Simon wiederholte in dem Zusammenhang eine Standardforderung der Wasserversorger und der Betreiber von Kläranlagen, dass eine flächendeckende Einführung der vierten Reinigungsstufe zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen nicht in Frage kommen dürfe. Auch die Finanzierung von Reduktionsmaßnahmen in der Anwendung und dann auf den Kläranlagen dürfe nicht einseitig den Verbrauchern und den Abwassergebührenzahlern aufgehalst werden. „Wir brauchen eine ausgewogene Lösung“, betonte Simon.

Der BWB-Chef erinnerte auch an den erhöhten Energieaufwand in einer Größenordnung von etwa 30 Prozent, der von Nöten sei, um die Mikroverunreinigungen auf der Kläranlage aus dem Abwasser zu entfernen. Der Mehraufwand an Energie stehe in Kontrast zu „den extrem ehrgeizigen Klimaschutzzielen“ [?] der Bundesregierung. In Berlin sei man allerdings in der Lage, durch eine allgemeine Energieeffizienzerhöhung im Kläranlagenbetrieb den erhöhten Energieaufwand durch die Ozonung in der „4. Stufe“ wieder zu kompensieren.

Um den richtigen Weg bei der Reduktion des Eintrags von Mikroverunreinigungen in die Gewässer zu finden, müsse man nach Meinung von Dr. Simon alle interessierten Kreise an einen Tisch bekommen. Die Pharmaindustrie tue sich dabei etwas schwer, weil einige der Umsatzrenner gewässerrelevant seien.

„Und künftig wird das Problem erst richtig losgehen – wegen der Zunahme der alten Menschen und weil nicht wenige Menschen glauben, dass sie durch den Konsum bestimmter Medikamente glücklicher werden.“

Für diese Aussage heimste Simon einen Heiterkeitserfolg im Auditorium ein. Der BWB-Vorstandsvorsitzende führte weiterhin aus, dass man seitens der Wasserversorger die Nitratbelastung des Grundwassers zu spät problematisiert habe.

„Bei den Mikroverunreinigungen wollen wir zeitgerecht in die Debatte eingreifen, um die Richtung der Diskussion mitbestimmen zu können.“

Mikroverunreinigungen:
„Kein
Vollkasko an der Kläranlage!“

 

Dr. Ulrich Nußbaum aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hatte in seinem Grußwort zur wasserwirtschaftlichen Haupttagung des BDEW den diesbezüglichen Ansichten des BWB-Vorsitzenden weitgehend zugestimmt: Investitionen in die „4. Stufe“ müssten gut überlegt werden und das Kosten-Nutzen-Verhältnis müsse stimmen, so der beamtete BMWi-Staatssekretär. Nußbaum wandte sich ebenfalls gegen eine flächendeckende Einführung der „4. Stufe“. Der Vertreter des BMWi erklärte aber auch, dass die Textpassage zur „4. Reinigungsstufe“ im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien in einem „Koalitionsvertragssprech“ formuliert worden seien, „der sehr vieles an Interpretation offen lasse“. Für ihn sei aber klar, dass es „kein Vollkasko an der Kläranlage“ geben dürfe. Eine „4. Stufe“ komme nur dort in Frage, wo man Belastungshotspots nachgewiesen habe. „Und außerdem brauchen wir erst mal praxistaugliche Verfahren, die tatsächlich ein breites Spektrum an Mikroverunreinigungen herausholen.“ (siehe RUNDBR. 1134/1-3).

Letztlich würden die Kosten für eine Eliminierung der Mikroverunreinigungen aber immer ganz oder zumindest teilweise am Abwassergebührenzahler hängen bleiben, so die Meinung des Staatssekretärs. Das sei unabhängig davon, ob man die Kosten über eine zusätzliche Steuer, eine Erhöhung der Abwassergebühren und/oder der Abwasserabgabe oder über eine Arzneimittelabgabe aufbringen wolle.

Nußbaum erklärte ferner, dass man im BMWi „alle Wege“ diskutieren würde, um die Belastung der Gewässer mit Mikroverunreinigungen zu reduzieren. Es zeichne sich für ihn ab, dass die sachgerechte Entsorgung von Altmedikamenten dabei den größten Effekt haben werde. Gegebenenfalls müsse man auch mit einer Bepfandung arbeiten.

Mikroverunreinigung im Wasser:
Ist eine Arzneimittelabgabe die Lösung?

 

Im Anschluss an die Grußworte von Simon und Nußbaum widmete sich eine Podiumsdiskussion auf der BDEW-Wasserwirtschaftstagung der strittigen Finanzierungsfrage im Zusammenhang mit den erforderlichen Reduktionsmaßnahmen für Pharmawirkstoffe in der aquatischen Umwelt.

Dr. Issa Nafo von der Emschergenossenschaft aus Essen und einer der führenden Fachleute für Mikroverunreinigungen in Deutschland forderte, dass der „Polizeifilter“ – also die „4. Stufe“ - von diejenigen finanziert werden müsste, „die das Problem verursachen“. Dr. Nafo warnte vor einer Verharmlosung des Problems:

„Wenn wir fast 3.000 Pharmawirkstoffe haben und nur zehn Prozent wasserrelevant sind, sind das immer noch 300 Wirkstoffe!“

Prof. Dr. Erik Gawel, Ökonom und Leiter des Departments Ökonomie im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung aus Leipzig stellte das von ihm konzipierte Modell einer Arzneimittelabgabe vor. Die Prämisse von Gawel:

„Wer bislang externalisierte Lasten der Gesellschaft aufs Auge drückt, sollte künftig selbst dafür aufkommen – wegen dem Verursacherprinzip!“

Dr. Jörg Rechenberg vom Umweltbundesamt (UBA) in Dessau erläuterte, dass dem vom UBA in Auftrag gegebenen Gawel-Gutachten auch ein Handlungsauftrag der Umweltministerkonferenz (UMK) aus dem Jahr 2013 zu Grunde liegen würde. Die UMK hatte sich damals dafür ausgesprochen, die Möglichkeiten für eine Arzneimittelabgabe eingehender zu untersuchen. Die Arzneimittelabgabe solle sich durch eine Lenkungsfunktion auszeichnen: Pharmawirkstoffe, die nachweisbar ohne Gewässerrelevanz seien, sollten aus der abgabenpflichtigen Liste der Medikamente gestrichen werden. Damit solle in der Pharmaindustrie eine Umstellung hin zu weniger gewässerrelevanten Wirkstoffen beschleunigt werden.

Arzneimittelabgabe oder
Erhöhung der Abwasserabgabe?

Zum Showdown der Befürworter und Gegner einer Arzneimittelabgabe wird es am 22. und 23. Jan. 2019 in Berlin kommen. Auf einem Symposium des Umweltbundesamtes werden die Akteure aus den unterschiedlichen Lagern aufeinander treffen. Alternativ zu einer Arzneimittelabgabe steht u.a. auch eine Erhöhung der Abwasserabgabe zur Debatte. Damit könnten gezielt die Kläranlagenbetreiber unterstützt werden, die sich zum Bau einer „Vierten Reinigungsstufe“ zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen entschlossen haben. Dazu gibt es bereits einen Hinweis im Koalitionsvertrag von CDU/ CSU & SPD: „Die Abwasserabgabenregelung wollen wir mit dem Ziel der Reduzierung von Gewässerverunreinigungen weiter entwickeln“ (Zeile 6561). Das Programm zum Finanzierungssymposium unter

www.finanzierungssymposium-spurenstoffe.de

Unter den bis jetzt Angemeldeten sind VertreterInnen von Umweltverbänden krass unterrepräsentiert. Das ist schade, weil es auf dem Finanzierungssymposium um die Durchsetzung des Verursacherprinzips gehen wird – bzw. um dessen krachendes Scheitern. Noch bis zum 31.12.18 dürfenn sich auch BefürworterInnen des Verursacherprinzips anmelden.

Die Pferdemistkrise und
disruptive Pharmainnovationen

 

Dr. Gesine Bejeuhr vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. in Berlin, machte darauf aufmerksam, dass es „das Zentrale“ sei, dass Medikamente dazu entwickelt würden, kranken Menschen zu helfen. Dieser Aspekt komme in vielen Umweltdebatten zu kurz. Bejeuhr wies ferner auf eine „hohe Unsicherheit“ in einer vom BDEW in Auftrag gegebenen Demographie-Studie hin. Dass der demographische Wandel hin zu einer älter werdenden Bevölkerung tatsächlich einen immer höher werdenden Arzneimittelkonsum zur Folge habe, sei noch längst nicht ausgemacht. Entscheidend sei im Übrigen auch die Frage, welche Arzneimittel denn mehr würden? 50 Prozent der neu entwickelten Arzneimittel seien bereits biologisch abbaubar. Zu den besser abbaubaren Arzneimitteln würden beispielsweise proteinhaltige Arzneimittel gehören. Wenn nach zehn Jahren die Patentrechte für die neuen Wirkstoffe ablaufen würden, werde deren Einsatz noch stärker in die Breitenanwendung kommen, so die Voraussage der Mitarbeiterin beim Verband forschender Arzneimittelhersteller.

Die in der BDEW-Studie vorausgesagte Zunahme des Arzneimittelkonsums sei nur eine Annahme. Diese Annahme würde disruptive Entwicklungen außer Acht lassen. Wie disruptive Entwicklungen wirkungsmächtig werden können, versuchte Bejeuhr „am Beispiel der Pferdemistkrise Ende des 19. Jahrhunderts“ zu erläutern. Damals hatte man den Zusammenbruch des Pferde-basierten Transportwesens in den Städten vorausgesagt – weil wegen dem vielen Pferdemist in den Städten bald kein Durchkommen mehr sei. Die Erfindung des Autos – eine disruptive Innovation – habe die ganzen damaligen Voraussagen über die Entwicklung des Pferdemistaufkommens über den Haufen geworfen.

Disruptive Innovationen erkannte die Referentin auch in der Entwicklung von gentechnischen Arzneimitteln und in den elektrischen Behandlungsverfahren. Damit würde der Eintrag von Pharmawirkstoffen in die Gewässer sowieso stark abnehmen. Im Übrigen würden schon heute 90 Prozent der der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel keine Umweltrelevanz aufweisen. Und wasserrelevante Hormonpads würden bereits jetzt separat entsorgt, so dass die diesbezüglichen hormonellen Wirkstoffe erst gar nicht in den Abwasserpfad gelangen könnten.

Unsinnige Trinkwasserentnahmen
unterhalb von Abwassereinleitungen?

 

Einer Arzneimittelabgabe konnte Bejeuhr erwartungsgemäß nichts abgewinnen. Bei Generika würde die Abgabe ohnehin keine Lenkungsfunktion hin zu weniger gewässerbelastenden Arzneimitteln aufweisen. Denn Generika-Hersteller würden gar nicht forschen. Bejeuhr plädierte „für den Schweizer Weg mit einer gesamtgesellschaftlichen Maßnahme“. In der Schweiz erfolge die Finanzierung der „4. Stufe“ an ausgewählten Kläranlagen über eine schweizweit eingeführte Abwasserabgabe. „Demgegenüber einzelne Hersteller rauszugreifen geht schon mal gar nicht!“

Die Problematik einer Arzneimittelabgabe versuchte die Mitarbeitern des Pharmaverbandes auch mit folgendem Bespiel zu verdeutlichen: Wenn es denn mal ein Alzheimermedikament geben sollte, das aber wasserrelevant sei, sollen dann alle Alzheimerkranken eine Arzneimittelabgabe zahlen, so die rhetorische Frage von Bejeuhr ans Auditorium. An der Stelle griff die Moderatorin der Diskussionsrunde ein. Dr. Tanja Busse stellte klar, dass die Wasserversorger doch keine Alzheimermittel verhindern wollten. Busse bat um „mehr Niveau in der Diskussion“.

Die Vertreterin des Pharmaverbandes setzte aber ungerührt nach: Man müsse nach Ansicht von Bejeuhr auch mal zur Kenntnis nehmen, dass sich die Debatte über Pharmawirkstoffe in Trinkwasser nur deshalb so zugespitzt habe, „weil es Berlin nicht auf die Reihe bekommt“. Gemeint war damit, dass man unlogischerweise die Trinkwasserentnahmen in Berlin flussab der Abwassereinleitungen gebaut habe. Der Hinweis rief sofort eine Reaktion von Dr. Nafo von der Emschergenossenschaft hervor. Dass sich in Deutschland kaum noch ein Gewässer ohne Diclofenac-Spuren finde, könne man doch nicht mit einem Verweis auf Berliner Verhältnisse klein reden.

Der Rest von der Oma“ in der Altmedikamentenschachtel

 

Dr. Rainer Bienfait, erster Vorsitzender des Berliner Apotheker-Verein (BAV) e.V. widmete sich in seinem anschließenden Diskussionsbeitrag der Frage, wie man die Entsorgung von alten oder nicht mehr gebrauchten Medikamenten in die richtigen Bahnen lenken könne. Der Apotheken-Verbands-Vorsitzende machte darauf aufmerksam, dass man „hier nur über den Rest diskutiere“, der nicht konsumiert worden sei. Ungleich mehr Pharmawirkstoffe würden nach dem therapiegerechten Konsum über den Urin emittiert.

Das alte apothekenbasierte Rücknahmesystem sei dazu eingerichtet worden, die Verpackungen der Medikamente – nicht den Inhalt - zu sammeln. „In den von den Kunden gebrachten Schachteln mit Altmedikamenten war damals aller Mist drin – damit will ich nichts mehr zu tun haben.“ Wenn die Oma gestorben sei, habe man außer den übrig gebliebenen Tabletten auch Unappetitliches in den Karton gestopft und zur Apotheke gebracht. Seitens der Apotheker sei man gleichwohl bereit, ein apothekenbasiertes Rücknahmesystem wiederzubeleben: „Wir machen es, wenn es nicht mit Zusatzkosten für uns Apotheken verbunden ist.“

Bienfait kündigte aber auch an, dass die Apotheker gegen eine Händler- oder Herstellerabgabe „maximalen Widerstand“ leisten werden. Denn die eigentlichen Verursacher der Gewässerbelastung durch Pharmawirkstoffe seien die Patienten,

„weil sie viel zu wenig Sport treiben, dem Alkohol- und Nikotingenuss frönen und insgesamt zu wenig für ihre Gesundheit zu tun“.

Mehr Prophylaxe sei angezeigt, so der Berliner Apothekenverbandsvorsitzende. Bienfait setzt zudem auf den technologischen Fortschritt: Wenn Hormonpflaster das Hormonschlucken ersetzen, würde auch der Hormoneintrag ins Abwasser weniger werden. Wie zuvor schon Frau Dr. Bejeuhr vom Pharmaverband richtete Bienfait ebenfalls eine sicherlich rhetorisch gemeinte Frage an die versammelten Wasserwerker: „Wer würde von Ihnen denn auf Diclofenac verzichten? Zumal Diclofenac sehr preiswert ist!“

In der weiteren Diskussion drückte der Vorsitzende des Erftverbandes die Überzeugung aus, dass sich auch der Arzneimittelmarkt nur über das Geld regeln lasse würde – „also wird eine Pharmawirkstoff-Abgabe wirksam sein!“ Und Stefan Kunz, Geschäftsführer der Wasserversorgung Ostsaar, wiederholte eine Binsenweisheit, die schon viele Diskutanten zuvor erwähnt hatten. Welchen Finanzierungsweg man auch wähle –

„am Schluss bleibt es beim Verbraucher hängen – aber als Wasserversorger sind wir wegen der Lenkungs- und Anreizfunktion für die Pharmawirkstoff-Abgabe!“

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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