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2. April 2021

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, Nr. 1175, 22. März 2021

Wasser und Abwasser in Flüchtlingslagern
- neuer ISO-Leitfaden in Arbeit

 

Die BeobachterInnen, die zur Berichterstattung in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln waren, sprechen unisono von menschenunwürdigen Unterbringungsbedingungen. Dies betrifft u.a. auch eine völlig unzulängliche Wasserver- und Abwasserentsorgung in den Flüchtlingslagern. Beispielsweise wurde schon im März 2020 berichtet, dass die Wasserversorgung in Moria zusammengebrochen sei - siehe:

https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/
krisen/id_87592536/elendslager-moria-essens-und-wasserversorgung-fuer-fluechtlinge-reduziert.html

Videos zeigten, wie Menschen in Coronazeiten vergeblich versuchten, sich an leergelaufenen Wasserhähnen die Hände zu waschen. Duschen sei eh nicht mehr möglich. Und eine geregelte Abwasserentsorgung gibt es sowieso nicht. Die desolaten Verhältnisse sind typisch für zahlreiche andere Flüchtlingslager in vielen weiteren Krisenregionen auf dem Globus. Angesichts der menschenunwürdigen Hygiene- und Sanitärverhältnisse in den Elendslagern haben wir uns den Entwurf („Draft“) für einen neuen Leitfaden der Internationalen Normungs-Organisation (ISO) zu „Water and wastewater services for temporary settlements for displaced persons“ (ISO-TS 24519) angeschaut. Der ISO-Leitfaden (eine „Technische Spezifikation“ - deshalb TS) wendet sich an alle, die eine Verantwortung für eine „angemessene“ („appropriate“) Wasserver- und Abwasserentsorgung in Flüchtlingslagern tragen.

Flüchtlingslager nicht
mit
Wasser-Luxus“ ausstatten!

 

Der Leitfaden beschränkt sich ausdrücklich nur auf die Wasserlieferung in die Flüchtlingslager hinein, gibt aber keine Empfehlungen, wie das Wasser in den Lagern zu Verteilung kommen soll:

„It does not deal with the ways of using water inside the temporary settlements“.

So wird beispielsweise nicht erläutert, wie viel Zapfstellen für eine bestimmte Anzahl von LagerbewohnerInnen mindestens zur Verfügung gestellt werden müssen. Allerdings nimmt der Leitfadenentwurf in einem Anhang Bezug auf eine Empfehlung des UN-Flüchtlingskomitees (UNHCR). Danach sollen in Flüchtlingslagern mindestens 15 Liter Trinkwasser pro Kopf und Tag zur Verfügung stehen. Notfalls kann bei ungünstigen Bedingungen diese Tagesmenge vorübergehend auf 7 Liter als minimale Überlebensration reduziert werden. (Zum Vergleich: Der übliche Prokopfverbrauch in Deutschland liegt bei etwa 120 Litern.)

Auch zu den Mindeststandards für eine adäquate Abwasserentsorgung und Sanitärausstattung in den Lagern finden sich in dem Leitfaden keine Empfehlungen. Was ist der Grund, warum der Leitfaden sozusagen an der äußeren Grenze der Flüchtlingslager endet? In Normungskreisen spricht man davon, dass mehrere an der Normung beteiligte Staaten Wert darauf legen würden, die Flüchtlingslager »nicht zu luxuriös« auszustatten - weil ansonsten die Gefahr bestehe, dass die Flüchtlingslager einen dauerhaften Status annehmen könnten. Insofern würde eine Weigerung bestehen, genauere Angaben zur Zahl der notwendigen Zapfstellen und Toilettenanlagen und zu fest verlegten Leitungen in den Leitfaden aufzunehmen.

Immerhin gibt der Entwurf zum ISO-Leitfaden allgemeine Hinweise, zur Dimensionierung der Trinkwasserbereitstellung in Flüchtlingslagern:

The planning and operational team should determine a water allocation per capita per day.“

Ferner soll die Abschätzung des benötigten Pro-Kopf-Bedarfs die notwendige Wassermenge für sanitäre- und hygienische Grundbedürfnisse („WASH“) mit einbeziehen. Und zur Sicherstellung einer hygienisch halbwegs einwandfreien Trinkwassergüte im Flüchtlingslager heißt es:

The planning and operational team should take all practical actions to ensure the quality of the water is fit for purpose.“

ISO TS 24519:
Es fehlt das Fachwissen der PraktikerInnen

 

Fachleute aus den von uns konsultierten Hilfsorganisationen für Geflüchtete waren zunächst erstaunt, weil sie von der Erarbeitung des ISO-Leitfadens gar keine Kenntnisse hatten. Die MitarbeiterInnen der Hilfsorganisationen hatten den Leitfadenentwurf als wenig praxisgerecht eingestuft. Das wurde u.a. darauf zurückgeführt, dass die an der Normung beteiligten Wasserwerker von der Wasserversorgung in Flüchtlingslagern in der Regel wenig Ahnung hätten. Auf unsere Anregung hin wurde deshalb in der Kommentierung der MitarbeiterInnen des zuständigen DIN/DVGW-Gremiums der Hinweis an die ISO übermittelt, in die weitere Ausarbeitung des TS 24519 Fachleute einzubinden, die sich tatsächlich in Flüchtlingslagern auskennen (wie beispielsweise MitarbeiterInnen des Internationalen Roten Kreuzes (IRC):

Emergency water supply and sanitation services are typically not exclusively in the responsibility of water utilities. In order to receive feedback from the institutions typically involved and also to increase visibility within this stakeholder group, we suggest to share the draft for discussion with institutions such as UNHCR, the IRC, Oxfam etc., and to encourage members to share the draft with the respective institutions within their countries.“

Weitere Auskunft zu Wasserversorgung in Flüchtlingslagern:

arche noVa - Initiative für Menschen
in Not e.V. - Frau Andrea Bindel
Global Emergency WASH Advisor
mobil: 0160 97531048
E-Mail: andrea.bindel@arche-nova.org
Internet: www.arche-nova.org

Technisches Hilfswerk
THW-Auslandsreferat
Schnell-Einsatz-Einheit Wasser (SEEW)
Frau Anne Zimmermann
E-Mail: Anne.Zimmermann@thw.de

Wasserversorgung in Flüchtlingslagern
& die EU-Trinkwasserrichtlinie

 

Soweit es Flüchtlingslager in der Europäischen Union betrifft, ist der geplante ISO-Leitfaden in Zusammenhang mit der neuen EU-Trinkwasserrichtlinie zu sehen. Zur Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser bestimmt Art. 16 (1) der Richtlinie, dass die Mitgliedsstaaten der EU „alle notwendigen Maßnahmen“ zu treffen haben,

um den Zugang zu Wasser für den mensch-lichen Gebrauch für alle, insbesondere für nach Maßgabe der Mitgliedstaaten schutzbedürftige und ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, zu verbessern bzw. aufrechtzuerhalten“.

Um diesem Gebot mehr Nachdruck zu verleihen, wird diese Anfoderung weiter unten in Art. 16 noch einmal wiederholt. Danach haben die Mitgliedstaaten Maßnahmen in die Wege zu leiten,

die sie für erforderlich und geeignet erachten, um den Zugang schutzbedürftiger und ausge-grenzter Bevölkerungsgruppen zu Wasser sicherzustellen“.

Die neue EU-Trinkwasserrichtlinie ist Anfang 2021 in Kraft gesetzt worden. Allerdings haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Erst dann kann man auf die Einhaltung von Art. 16 pochen. Die Richtlinie lässt zudem offen, wie das Menschenrecht auf Wasser gewährleistet werden kann. Dies kann sowohl durch die Verlegung von Wasserleitungen in den Flüchtlingslagern als auch über die Verteilung von Trinkwasser in Flaschen oder Plastikbeuteln erfolgen.

Im Gegensatz zum nur empfehlenden Charakter des geplanten ISO-Leitfadens sind die Anforderungen in der EU-Trinkwasserrichtlinie ab der nationalen Umsetzung, die spätestens Anfang 2023 erfolgen muss, verpflichtend.

EU-Kommissarin für Gesundheit
soll auf griechische Regierung einwirken

 

Obwohl die neue EU-Trinkwasserrichtlinie erst ab Oktober 2022 via Umsetzung in nationales Recht für die EU-Mitgliedsstaaten verbindlich sein wird, haben wir uns angesichts der desolaten Wasserver- und Abwasserentsorgung in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln an Frau Stella Kyriakides gewandt. Stella Kyriakides ist die in der EU-Kommission für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige Kommissarin. Wir haben Frau Kyriakides gebeten, sich schon im Vorgriff auf das Wirksamwerden der EU-Trinkwasserrichtlinie an die griechische Regierung zu wenden, um die menschenunwürdigen Zustände bei der Wasserversorgung in den Flüchtlingslagern abzustellen.

EU-Kommission zu Lesbos:
Der Zugang zu Trinkwasser „sichergestellt“

 

In dem Antwortschreiben der EU-Kommission sind wir zunächst mal belehrt worden, dass auch für die gesundheitlichen Aspekte der EU-Trinkwasserricht-linie nicht die Generaldirektion Gesundheit, sondern die Generaldirektion Umwelt zuständig ist. Mit Datum vom 17.12.20 hatte uns das Referat „Lebensqualität“ in der Generaldirektion Umwelt u.a. folgendes geschrieben:

In Bezug auf Ihre Anmerkung zu den Aufnahmezentren für Migranten können wir bestätigen, dass die Kommission den Mitglied-staaten finanzielle und operative Unterstützung leistet, damit sie die Migration im Einklang mit dem EU-Recht und mit den Menschenrechten angehen können. Nachdem das Aufnahme- und Identifizierungszentrum Moria auf der Insel Lesbos im September 2020 durch Brände zerstört wurde, haben die griechischen Behör-den zeitnah vorübergehende Unterkünfte bereitgestellt, um den ehemaligen Bewohnern des Zentrums Moria Schutz zu bieten, wobei der Zugang zu Nahrung und Trinkwasser sichergestellt wurde. Die Kommission hat die griechischen Behörden finanziell unterstützt, damit der notwendige Ausbau der Trinkwasser- und Sanitäranlagen in den neuen vorüber-gehenden Unterkünften vorgenommen werden konnte, und gleichzeitig eine spezielle Taskforce eingesetzt, die zusammen mit den griechischen Behörden an einem gemeinsamen Pilotprojekt arbeitet, um die Lage auf Lesbos nachhaltig zu verbessern.“

Wer sich bei der EU-Kommission ebenfalls dafür einsetzen will, die Trinkwasserversorgung und die sanitären Einrichtungen in Flüchtlingslagern in den EU-Mitgliedsstaaten zu verbessern, kann sich wenden an.

EUROPÄISCHE KOMMISSION - GENERALDIREKTION UMWELT - Lebensqualität - Meeresumwelt und Wasserwirtschaft
THE WATER INDUSTRY TEAM
ENV DRINKING WATER
Frau Silvia BARTOLINI, Referatsleiterin
E-Mail: ENV-DRINKING-WATER@e


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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