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14. April 2023

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BBU-Wasserrundbrief Nr. 1201, 27. März 2023

 

PFAS: Die Chemikalien, die
gekommen sind, um zu bleiben

 

Im RUNDBR. 1198 ist ausführlich über den Kongress der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Chemie (BLAC) am 20. und 21. Sept. 2022 in der Universität Frankfurt/M. berichtet worden. Die übergeordnete Frage des Kongresses: „Stößt die Chemie an die planetaren Grenzen?“.

Nachfolgend wird die Berichterstattung über die denkwürdigen Vorträge des Kongresses fortgesetzt. Am zweiten Tag des BLAC-Chemikalien-Kongresses hatte sich Prof. Dr. Hubertus Brunn von der Uni Gießen die Poly- und Perfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) vorgeknöpft.

Zwischenzeitlich ist es durch eine breit angelegte PFAS-Recherche mehrerer Medien fast schon Allgemeinwissen, dass es sich bei den PFAS um eine unheilige Stofffamilie mit weit über 4.000 Einzelsubstanzen mit kommerzieller Bedeutung handelt. Mittlerweile wird in der Recherche des Medienverbundes sogar von etwa 10.000 Einzelsubstanzen gesprochen. Wie Prof. Brunn schon im Sept. 22 auf dem Kongress in Frankfurt erläuterte, sind die Stoffe biologisch so gut wie nicht abbaubar. Und bei der Verbrennung benötige man Temperaturen von über 1000 Grad Celsius, um die äußerst persistenten Fluorverbindungen zu zerstören. Bei den PFAS würde es sich somit um „forever-chemicals“ handeln: Um Stoffe, „die gekommen seien, um zu bleiben“. Prof. Brunn postulierte, dass wegen der PFAS-Belastung das Regenwasser keine Trinkwasserqualität mehr habe

Brunn führte des Weiteren aus, dass Substanzen aus der PFAS-Familie vermutlich schädigende Auswirkungen auf das Immunsystem hätten. So sei bei PFAS-belasteten Kindern eine verringerte Immunantwort bei Impfungen beobachtet worden. Da immer mehr schädigende Wirkungen der PFAS auf die menschliche Gesundheit bekannt würden, habe die EU-Nahrungsmittelsicherheitsagentur (EFSA) eine Neubewertung von ausgewählten PFAS vorgenommen – und die Grenzwerte weiter abgesenkt. So sei nach der Empfehlung der EFSA nur noch eine wöchentliche Zufuhr von 4,4 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht akzeptabel. Das gelte für vier verschiedene PFAS, die man mittlerweile toxikologisch bewerten konnte. Für mehrere Tausend andere PFAS würden aber noch gar keine humantoxikologischen Bewertungen vorliegen. Weitere Auskunft zur Humantoxikologie der PFAS:

Prof. Dr. Hubertus Brunn; E-Mail:
hubertus.e.brunn@ernaehrung.uni-giessen.de

»Moderater« PFAS-Grenzwert in der
neuen Trinkwasserverordnung

 

Es war ein Albtraum für nicht wenige Wasserversorger, wenn der zunächst in Erwägung gezogene 2 Nanogramm-Grenzwert für vier ausgewählte Poly- und perfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) in der kommenden Neufassung der Trinkwasserverordnung umgesetzt worden wäre). Basierend auf einer Empfehlung der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) war anfangs der Debatte um die Neufassung der Trinkwasserverordnung nicht ausgeschlossen worden, den Grenzwert für vier ausgesuchte PFAS auf 2 Nanogramm pro Liter (ng/l) festzusetzen.

Die Wasserwerker konnten das Bundesgesundheitsministerium aber davon überzeugen, dass der ultrascharfe EFSA-Grenzwert nicht praktikabel wäre. Zum einen gibt es (noch) keine genormte Routineanalytik, die es erlauben würde, PFAS gesichert im einstelligen Nanogramm-Bereich nachzuweisen. Zum anderen hätte der 2 Nanogramm-Grenzwert schätzungsweise ein Fünftel der deutschen Wasserversorger gezwungen, ihre Rohwasseraufbereitung mit PFAS-Eliminationsstufen aufzurüsten. Wobei es bis jetzt keine Aufbereitungsverfahren gibt, die im Nanogramm-Bereich eine sichere Entfernung von PFAS zu halbwegs wirtschaftlichen Bedingungen erlauben würden.

Genötigt durch diese Rahmenbedingungen hat das Bundesgesundheitsministerium jetzt einen zehnfach höheren Grenzwert in die Trinkwasserverordnung aufgenommen – und zwar für die besonders kritisch eingestuften EFSA-PFAS. Diese vier PFAS (PFAS∑4) werden auf 20 ng/l begrenzt. Für alle weiteren PFAS, die derzeit noch als vergleichsweise »harmlos« betrachtet werden, wird ein Grenzwert von 0,1 Milligramm/Liter gelten. Die jetzt umgesetzte moderate PFAS-Regulierung wird auch die Gesundheitsämter entlasten: Wären die 2 ng/l für die PFAS∑4 realisiert worden, wären die Gesundheitsämter mehr als gefordert gewesen: So hätten u.a. in großer Zahl Anordnungen zur Aufrüstung der Aufbereitungsanlagen erlassen bzw. Ausnahmegenehmigungen ausgestellt werden müssen.

Keine durchgreifende Besserung
der Rheinwassergüte …

 

… beklagen die niederländischen Rheinwasserwerke (RIWA-Rijn) in ihrem „Jahresbericht 2021 – Der Rhein“. Bis man sich zu diesem Fazit durchgearbeitet hat, wird einem bei der Lektüre des Jahresberichtes 2021 allerdings einiges abverlangt: Auf fast 90 Seiten werden die im Rhein auffindbaren organischen und anorganischen Mikroverunreinigungen im Detail vorgestellt. Dabei werden jeweils die Zeitreihen von 2017 bis 2021 betrachtet. Analysiert wird, welche Mikroverunreinigungen das für 2040 angestrebte 30-Prozent-Reduktionsziel der Internationalen Rheinschutzkommission (IKSR) voraussichtlich erreichen bzw. verfehlen werden.

Neben persistenten Röntgenkontrastmitteln, ebenfalls schwer abbaubaren Pharmawirkstoffen, Industriechemikalien und Pestiziden setzt sich der Jahresbericht auch kritisch mit den weiter oben erwähnten PFAS auseinander. Ein Vertreter der viele Tausend Abkömmlinge umfassenden PFAS-Familie ist die Perfluorbutansäure (PFBA). Im RIWA-Jahresbericht wird auf eine Studie aufmerksam gemacht, nach der erhöhte PFBA-Konzentrationen im Blutplasma „mit einem erhöhten Risiko auf einen schwereren Verlauf von COVID-19 in Zusammenhang“ stehen könnten. Dies sei eventuell darauf zurückzuführen, dass PFBA eine „einzigartige Retention“ im Lungengewebe aufweisen würde. Außerdem würde es Indizien geben, „dass PFAS die Wirksamkeit des COVID-19-Impfstoffs bei Kindern vermindern“ würde.

Die niederländischen Rheinwasserwerke haben einen „Aufbereitungsaufgabe-Index“ kreiert, an Hand dessen sie die Entwicklung der Rheinwassergüte - bezogen auf die Anforderungen der Rohwasseraufbereitung - messen. Die RIWA-Rijn kommen zu dem wenig erfreulichen Fazit,

dass das Rheinwasser auch im Jahr 2021 im Vergleich zu den Vorjahren nicht sauberer geworden ist, sondern dass sich der Aufbereitungsaufgabe-Index wieder auf dem Niveau der Jahre 2017 bis 2018 befindet. Auch wenn man bis zum Jahr 2000 zurückblickt, dem Jahr in dem die EG-Wasserrahmenrichtlinie eingeführt wurde, ist der Rhein in dieser Hinsicht sicher nicht sauberer geworden.“

Der mit zahlreichen Fotos vom Rheinverlauf aufgelockerte RIWA-Jahresbericht 2021 (A5, 175 S.) kann kostenfrei unter www.riwa-rijn.org heruntergeladen werden.


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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