aktualisiert:
27. November 2006

 

 

 

 

 

 

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  Recht und Unrecht  


WasserInBürgerhand!

 

aus dem BBU-Wasser-Rundbrief
Nr. 835 vom 8. Oktober 2006

Daseinsvorsorge bleibt in der
EU weiter in der Schwebe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In den letzten drei Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) einige Urteile erlassen, die für gehörigen Wirbel und Unsicherheit auch in den kommunalen und verbandlichen Wasserwirtschaft gesorgt haben. Nach den EuGH-Urteilen dürfen Kommunen ihr Abfallgeschäft - und vermutlich auch ihre Wasser- und Abwasserdienstleistungen - nicht mehr so ohne weitere an einen Partner ihres Vertrauens verkaufen. Die Übertragung von Dienstleistungsaufträgen an halbkommunale Tochtergesellschaft („public-privat-partnerships“ (ppp)) erfordere zuvor eine EU-weite Ausschreibung, so das Verdikt der EuGH-Richter (s. RUNDBR. 819/1-2, 786/1, 787/2, 787/1). Weitere Verwirrung ist auf EU-Ebene zudem dadurch entstanden, dass zwi-schen EU-Rat, -Kommission und -Parlament völlig unklar ist, was unter kommunaler Daseinsvorsorge eigentlich zu verstehen ist und in welchem Umfang der „public service“ einem Wettbewerbsregime unterworfen werden sollen. Die Debatten im EU-Parlament in den letzen Wochen konnten nicht sonderlich viel zur Klärung beitragen. Nach wirren Debatten in diversen Ausschüssen des EU-Parlaments hat das Europäische Parlament (EP) am 27.09.06 nach einer Diskussion im Beisein von Kommissionspräsident BARROSO einen Entschließungsantrag zur Daseinsvorsorge verabschiedet, der alles offen lässt. JOSÉ MANUEL BARROSO schloss am Ende der Debatte in Strasbourg radikale Lösungen in die eine oder andere Richtung aus:

„Die Kommission betrachte die Daseinsvorsorge als Teil des europäischen Modells, werde die Wettbewerbsregeln aber nicht komplett vergessen. Sie sei verpflichtet, die im EU-Vertrag festgelegten Regeln des Binnenmarktes zu respektieren und durchzusetzen“,

fasste DAS PARLAMENT vom 2.10.06 den Einer-seits-Andererseits-Standpunkt des Kommissions-Präsidenten zusammen. Demgegenüber interpretierte Bundeswirtschaftsminister MICHAEL GLOS den Beschluss des Europäischen Parlaments als

„ein deutliches Votum für die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten und Kommunen".

Mit seinem Beschluss zur Daseinsvorsorge habe sich das Europäische Parlament “zu Subsidiarität und Gestaltungshoheit der EU-Mitgliedstaaten bei der Daseinsvorsorge“ bekannt. Damit habe das EU-Parlament die Linie bestätigt, die Deutschland bereits mit einer gemeinsamen Stellungnahme von Bund und Ländern in den vorangegangenen Beratungen zum Grünbuch und zum Weißbuch der EU-Kommission zu Diensten von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse (s. 735/2, 731/1, 721/1-2, 663/4, 588/1-2, 583/2, 561/1-3) vertreten hatte. Forderungen nach einer EG-Rahmenrichtlinie zur Daseinsvorsorge und zu einheitlichen europäischen Qualitätsvorgaben beim public service hätten sich dagegen im Europäischen Parlament nicht durchsetzen können. GLOS unterstrich, dass Deutschland weiterhin umfassende EU-Regelungen und europäische Standards für die Daseinsvorsorge ablehne, aber größere Rechtssicherheit für die Kommunen wünsche:

"Besonderer Handlungsbedarf besteht beim EU-Vergaberecht. Die Kommunen brauchen mehr Rechtssicherheit und ausreichende Handlungsspielräume, wenn sie im Bereich der Daseinsvorsorge Öffentlich-Private Partnerschaften eingehen möchten. Wir erwarten, dass die Kommission dem Votum des EP folgt und sich in diesem Sinne engagiert."

GLOS begrüßte die Unterstützung der Entschließung durch beide große Fraktionen (EVP, SPE), die dem Antrag ihr zusätzliches Gewicht verleihe:

"Die breite Zustimmung bietet beste Chancen für vernünftige Lösungen. Der Beschluss hebt sich damit ab von den ideologisch geführten Diskussionen zwischen denen, die sich gegen jede Veränderung wehren, und den Befürwortern einer uneingeschränkten Liberalisierung."

Nach dem Kompromiss zwischen Sozialdemokraten und Konservativen im EP ist jetzt wieder die Kommission am Zuge, einen Vorschlag vorzulegen, der „für mehr Rechtssicherheit“ bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen an ppp-Gesellschaften sorgen soll. Eine EU-Richtlinie zur Daseinsvorsorge war u.a. von den Grünen und Linken im EU-Parlament gefordert worden: „Leistungen der Daseinsvorsorge sind das Herzstück des sozialen Modells Europas“, hatte beispielsweise die grüne Abgeordnete ELISABETH SCHRÖDER betont. Der public service müsse mit einer EU-Rahmenrichtlinie gegen eine Marktöffnung abgesichert werden.


 

Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen?

 

Dem ambivalenten Entschließungsantrag des EU-Parlaments war ein neuerlicher Vorstoß des deutschen EU-Abgeordneten WERNER LANGEN zu einer weiteren Liberalisierung im Wirtschaftsaus-schuss des EP vorangegangen. Der Entwurf von Dr. WERNER LANGEN (MdEP) für eine Stellungnahme des EP-Wirtschaftsausschusses zum sog. "Grünbuch PPP" forderte unter anderem, Dienstleistungskonzessionen und öffentliche Aufträge gleich zu behandeln.

„Eine solche Regelung würde das Ende der Entscheidungshoheit der Kommunen bedeuten. Quasi durch die Hintertür würde die Ausschreibungspflicht für Konzessionen eingeführt und die gewachsene und bewährte Struktur der Wasserversorgung in Deutschland allein aus marktpolitischen Gründen in Frage gestellt“,

warnte der Bundesverband der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW). BGW-Vizepräsident Dr. PETER REBOHLE erinnerte daran, dass die lokal und regional strukturierte Wasserwirtschaft nicht in ein EU-weites Wettbewerbsregime gequetscht werden könne:

„Gerade die regionale Verankerung der Versorgungsunternehmen und der ortsnahe Wasserbezug aber finden in der Bevölkerung große Zustimmung.“

Der BGW appelliert deshalb an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die Einführung einer Ausschreibungspflicht für Konzessionsverträge zu verhindern. WERNER LANGEN hatte mit seinen diversen Liberalisierungsvorstößen - insbesondere mit dem „Langen-Bericht“ - in den letzten sieben Jahren immer wieder für Verdruss bei den Wasserwerkern gesorgt (s. RUNDBR. 786/3-4 776/4, 753/3-4, 636/1-2, 634/1-2, 618/1). Selbst bei seinen CDU-Kollegen im EP findet LANGEN mit seinen marktradikalen Initiativen nur begrenzte Unterstützung. „Die Wasserversorgung soll auch in Zukunft von den Gemeinden geregelt werden können“, hob LANGENS EVP-Kollege ANDREAS SCHWAB in der Debatte zum Entschließungsantrag des EP hervor. Auch der EU-Parlamentarierer BERNHARD RAPKAY (SPD) wollte als Berichterstatter des EP gesichert wissen, dass die Kommunen Leistungen der Daseinsvorsorge in Eigenregie oder in Kooperation mit Privatfirmen erbringen könnten. Gleichwohl wollte RAPKAY den Kommunen keinen Freibrief ausstellen, der die kommunale Wasserwirtschaft gänzlich von EU-Wettbewerbsregeln ausnehmen würde.

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.



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