aktualisiert:
13. September 2007
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Recht
und Unrecht |
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WasserInBürgerhand!
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BBU-Wasserrundbrief,
10.8.2007
EU-Kommission
schnüffelt wieder in
kommunaler Daseinsvorsorge herum
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Nach dem überstandenen Ärger
mit der Dienstleistungsrichtlinie (s.
RUNDBR. 819/1)
unternimmt die EU-Kommission einen neuen Anlauf, um
die kommunale Daseinsvorsorge - und damit auch die Dienstleistungen
in der Wasserversorgung und in der Abwasserentsorgung
- ihrer marktradikalen Wettbewerbsphilosophie zu unterwerfen.
Der Bundesverband der
Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) hat ein
entsprechendes Kommissionspapier vom März 2007
ausgegraben und dankenswerterweise ins Deutsche übersetzen
lassen. Titel des Entwurfs des Kommissionspapiers: „Mitteilung
zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse - eine neue europäische Verpflichtung“.
Das
Fazit der Analyse des BGW vom 7. Aug. 2007:
„Der Ruf
nach europäischer Evaluierung, Überwachung und
Regulierung zieht sich wie ein roter Faden durch das Papier.“
Der BGW macht
vor allem darauf aufmerksam, dass die EU-Kommission
die Wasserversorgung den „Dienstleistungen
von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ (DAWI;
s. 753/1-2, 735/2, 731/1, 721/1-2) zuordnet.
Für die DAWIs gilt das europäische
Wettbewerbsrecht.
Sollte
sich die Lesart der Kommission durchsetzen, dann würden
die Wasserwerke in der EU letztendlich einem
Ausschreibungswettbewerb ausgesetzt. Der kommunalen Selbstverwaltung
in
der Siedlungswasserwirtschaft würde damit der Boden
unter den Füßen weggezogen. Wasser
würde
- entgegen der eindeutigen Prämisse der
EG-Wasser- Rahmenrichtlinie - zu einem profanen Wirtschaftsgut.
Nachfolgend
unser Versuch, das Kommissionspapier vorzustellen
und zu analysieren - wobei deutlich wird, dass das
Kommissionspapier durchaus vielschichtig ist! Wer
das im gestelzten EU-Sprech abgefasste Papier selbst
einer Wertung unterziehen will, kann es in der digitalen
Version anfordern bei
Frau Vera Szymansky
M.A.
Leiterin Nationale Ordnungspolitik/
Wasserwirtschaft beim BGW
Tel.: 030/280 41-506
E-Mail: szymansky@bgw.de
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Daseinsvorsorge
in der EU: Zustände
wie bei Hempels unterm Sofa!
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Das Kommissionspapier
rekapituliert zunächst die Historie der Debatte um die Daseinsvorsorge
seit der ersten entsprechenden Mitteilung der EUKommission
zu diesem Thema im Jahr 1996. Sodann bedauert die Kommission, dass es nach
ihrer Einschätzung bei der Daseinsvorsorge (EU-Terminus: „Dienstleistungen
von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse“) in den EU-Mitgliedsstaaten offenbar
drunter und drüber geht. Um dieses Chaos abzustellen, unterstreicht die
Kommission,
„dass es an der Zeit ist, den EU-Rahmen [für Dienstleistungen von
allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse] zu konsolidieren und sicherzustellen,
dass dieser Rahmen verbreitet, bekannt gemacht und verstanden wird“.
Dieser
Ordnungsversuch soll dazu dienen, den offenbar herrschenden Wildwuchs
bei der Daseinsvorsorge in den EU-Mitgliedsstaaten (angeblich zu Gunsten
der VerbraucherInnen) einzugrenzen.„ Die Kommission wird deshalb darauf
hinarbeiten, wenn notwendig, sektorspezifische und themenspezifische Initiativen
weiterzuentwickeln, um zu gewährleisten, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
bestens ausgestattet sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen.“
Sehr
scheinheilig beteuert die Kommission, dass es dem EU-Apparat
bei seinen Regulierungsversuchen mitnichten darum gehe,
in der Daseinsvorsorge die Selbstverwirklichung des Privatkapitals durchzusetzen:
„So
fragt die EU beispielsweise nicht, ob Unternehmen, die für
die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
zuständig sind, öffentliche oder private Unternehmen
sein sollten.“
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Grenzen
für den Dienstleistungskommerz?
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Mit ihrer Regulierungswut
hat es die Kommission vor allem auf die „Dienstleistungen
von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“ (DAWI) abgesehen.
Dazu gehören für die Kommission vor allem „die
großen netzgebundenen Wirtschaftszweige“ -
wie beispielsweise Telekommunikation, Strom, Gas, Verkehr
und Postdienste, also allesamt bereits mehr oder weniger „liberalisierte“ Branchen.
Neben den DAWIs
hat die Kommission aber auch so genannte „Andere Dienstleistungen
von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ in den
Fokus genommen. Hierunter
fällt nach Lesart der Kommission beispielsweise die Abfallwirtschaft und die Wasserversorgung.
In wettbewerblicher
Hinsicht würden diese Dienstleistungen bislang „keiner
spezifischen, umfangreichen Rechtsordnung auf EU-Ebene“ unterliegen. Dies
ist in den Augen der EU-Kommission offenbar ein Manko.
Die großartigen Erfahrungen bei der Schaffungen „eines
offenen und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts“ im
Energie- und Telekommunikationssektor sollten nach Auffassung
der Kommission Ansporn sein, auch bei den „Anderen Dienstleistungen
von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ ein
Wettbewerbsregime einzuführen. Allerdings räumt
die Kommission ein, dass der Liberalisierungskurs der EU
„die Ursache
für eine Reihe von - so empfundenen oder tatsächlichen
- Bedenken hinsichtlich der Legitimität und der
Rechtssicherheit der EU-Aktivitäten“ sei.
Soll heißen,
dass es ärgerlicherweise ziemlichen Widerstand
gegen die Kommerzialisierung von immer größeren
Bereichen der Daseinsvorsorge gegeben hat. Um diesen„
Bedenken“ zu begegnen macht die Kommission die
Einschränkung, dass der Wettbewerb nur insoweit realisiert
werden sollte, dass die Daseinsvorsorge nicht völlig zu Grunde gerichtet wird:
„Im Fall
eines nicht lösbaren Konflikts zwischen der
Anwendung der Regelungen des EGVertrags [also
Schaffung des wettbewerbsgeprägten
Binnenmarktes] und der Erfüllung einer Aufgabe von
allgemeinem Interesse hat die Erfüllung der Aufgabe von allgemeinem Interesse Vorrang.“
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Horizontal
oder sektoral?
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Breit diskutiert die Kommission in ihrem Entwurf einer Mitteilung zur
Daseinsvorsorge auch die Frage, ob man bestimmte Sektoren der Daseinsvorsorge mit
sektorspezifischen Richtlinien dem Wettbewerb öffnen soll - oder ob
man die Marktöffnung nicht besser in einem Aufwasch mit einem „horizontalen Rechtsrahmen
für alle Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse“ erledigen
sollte.
Nachdem
die Kommission mit ihrer EG-Dienstleistungsrichtlinie in
den letzten beiden Jahren auf unerwartet großen Widerstand
in der europäischen Zivilgesellschaft gestoßen
war, artikuliert die Kommission jetzt „Zweifel“,
ob es sinnvoll ist, alle Sektoren der Daseinsvorsorge im
Rundumschlag einem Wettbewerbsregime zu unterwerfen:
„Es
herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Vielfalt
der Sektoren und Situationen berücksichtigt werden
muss, aber gleichzeitig die Konsistenz und Rechtssicherheit
der EU-Politik gewährleistet werden muss.“
Kreidefressend
macht die Kommission deshalb das Zugeständnis, dass
es „den zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten“ frei
stehe,
„zu definieren, was Dienstleistungen von allgemeinem
Interesse sind, und es liegt weitgehend in ihrem Ermessen,
wie sie diese Dienstleistungen in Übereinstimmung mit
EU-Recht organisieren, regulieren und finanzieren“.
Gleichzeitig
hebt die Kommission aber auch hervor, dass es ihr freisteht,
sich trotzdem einzumischen: „Die Zuständigkeit der Mitgliedssaaten
berührt nicht die Befugnis der Europäischen Union, in einigen Sektoren
ein System von Gemeinwohl und Universaldienstverpflichtungen im Interesse
der Verbraucher und Nutzer als Bestandteil der Vollendung des Binnenmarktes einzuführen.“
Soll
heißen, dass ein wettbewerbsorientierter Binnenmarkt per
se der Wohlfahrt der VerbraucherInnen und NutzerInnen der
Dienstleistungen zu Gute kommen wird. Und damit wirklich
allen BürgerInnen in der EU
„qualitativ hochwertige,
sichere und erschwingliche Dienstleistungen“
angeboten
werden können, will die Kommission bis Ende des
Jahres 2007
„einen
formellen Vorschlag für gemeinsame Leitprinzipien
für
die EU-Aktivitäten für Dienstleistungen von
allgemeinem Interesse“
unterbreiten. Für
einen derartigen Vorstoß seien
„weitere
sektorspezifische und themenspezifische Initiativen erforderlich, damit
konkrete Lösungen für konkrete Probleme vorgelegt werden können“.
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Rettet
die ppp-Geschäfte!
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Als „konkretes Problem“ liegt der Kommission die mittlerweile
entstandene Rechtsunsicherheit bei ppp-Geschäften auf dem Magen.
Seitdem der EU Gerichtshof (EuGH) die Übertragung
von Dienstleistungen auf gemischt-wirtschaftliche Unternehmen (public-privat-partnerships,
ppp) einem EU-weiten Ausschreibungswettbewerb unterworfen hat, sind ppp-Geschäfte
für viele Kommunen eine heikle Angelegenheit geworden.
Das ist dumm,
weil die EU-Kommission und die nationalen Regierungen ppp-
Geschäfte eigentlich auf breiter Front fördern wollen -
denn in ppp-Geschäften kann man tendenziell das Risiko der Kommune
aufhalsen und den Gewinn an den privaten Partner ausschütten.
Damit die ppp-
Geschäfte trotz der Restriktionen des EuGH weiterhin wie
geschmiert laufen können, will die Kommission„ in der
zweiten Jahreshälfte 2007 eine interpretative Mitteilung
zu institutionalisierten öffentlich-privaten Partnerschaften
mit der Absicht“ vorlegen, „Klarheit in die geltenden
Regelungen zu bringen“. Eine Klarstellung soll zudem für
die strittige Ausschreibung von Dienstleistungskonzessionen -
ebenfalls bis Ende 2007 - erfolgen.
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Mehr
Transparenz und Demokratie
im Dienstleistungssektor!
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Man
kann das Kommissionspapier kritisch zerpflücken - wie es
oben erfolgt ist. Man kann dem Kommissionspapier aber auch positive
Seiten abgewinnen. Hehres Ziel der Kommission ist es nämlich,
den Dienstleistungssektor in der EU so zu ordnen,
„dass Dienstleistungen
von allgemeinem Interesse zur Lebensqualität
der europäischen Bürger einen vollen Beitrag leisten können“.
Um die Qualität
auch der kommunalen Daseinsvorsorge zu steigern, muss
nach Ansicht der Kommission das „Prinzip der Transparenz
gewährleistet“ werden. Das Pochen auf
dem Transparenzprinzip soll einerseits dazu dienen,
dass die zuständigen Behörden tatsächlich„
ihre Verantwortung für hochwertige Dienstleistungen“ wahrnehmen.
Zum anderen sollen über die Daseinsvorsorge „demokratische
Entscheidungen getroffen und eingehalten werden“. Transparenz
erachtet die Kommission für folgende Aspekte der Daseinsvorsorge für notwendig:
-
die
gesamte Kette des „Bereitstellungsprozesses“ einer
Dienstleistung (bezogen auf die
Wasserversorgung würde dies bedeuten: vom
Grundwasser- und Ressourcenschutz über
die Förderung und Aufbereitung bis zur Verteilung);
-
die
Definition der Aufgaben öffentlicher Dienstleistungen;
-
die
Organisation, die Finanzierung und Regulierung der
Dienstleistungen sowie ihre Erbringung;
-
die
Evaluierung der Güte der Dienstleistung.
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Partizipation
sowie Schutz der
Verbraucher- und Nutzerrechte
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Zu
einer hochwertigen Daseinsvorsorge zählt für die Kommission
neben dem Transparenzprinzip auch, dass Verbraucher- und Nutzerrechte „spezifiziert,
gefördert und geschützt werden“.
„Damit die
Verbraucher und Nutzer ihre Rechte wahrnehmen
können, vor allem ihr Zugangsrecht, sind
gemeinhin unabhängige Regulierungsbehörden mit
klar definierten Befugnissen und Pflichten erforderlich.
Dazu gehören auch Sanktionsbefugnisse, insbesondere
Mittel zur Kontrolle der Umsetzung und Durchsetzung
des Universaldienstkonzepts, und Bestimmungen
zur Vertretung und aktiven Teilnahme von Verbrauchern
und Nutzern bei der Festlegung der Vorgaben für
Dienstleistungen und ihre Bewertung“ sowie „die
Verfügbarkeit adäquater Rechtsschutz-
und Entschädigungsmechanismen (…).“
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Aquatische
Bürgerbeteiligung - in
Deutschland (noch) ein Fremdkörper
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Aus
der Sicht von Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen
ist es ein interessanter Aspekt, dass die EU-Kommission auf der
Gewährleistung von Partizipations- und Demokratierechten
in der Daseinsvorsorge beharrt.
Als Schutzpatronin
für
die Interessen der VerbraucherInnen und NutzerInnen
fungiert für die EU-Kommission eine starke Regulierungsbehörde.
Die Kommission vertritt damit einen ähnlichen Kurs, wie er
im Technischen Komitee TC 224 der Internationalen Standardisierungsorganisation
(ISO)
verfolgt wird: Dort befinden sich derzeit die Normen ISO 24510,
24511 und 24512 für die Dienstleistungen im Wasser- und
Abwassersektor in der Schlussabstimmung (s.
RUNDBR. 825/1-3, 783/1-2, 769/2-3, 737/3, 666 und 661).
Das in diesen
Normen ebenfalls enthaltene Gebot der Bürgerbeteilung in
der Siedlungswasserwirtschaft („Gläsernes
Wasserwerk“) ist dem Selbstverständnis der
deutschen Wasserwirtschaft einigermaßen fremd. Und
der Regulierungsansatz ist dem Selbstverständnis
der deutschen Wasserwerker sogar diametral entgegengesetzt. Bei
der Deutschen Vereinigung des
Gas- und Wasserfaches (DVGW) vertritt man dezidiert die
Auffassung, dass sich die Branche bestens selbst verwalten könne
und keinen staatlichen Regulierer benötige. Und Partizipation
sei in der Wasserversorgung seit eh und je die Regel. Denn bei
der Erarbeitung
des DVGWRegelwerkes, das
die Standards der Wasserbranche beinhaltet, könne
jeder Interessierte mitarbeiten. Dass man damit von einer echten
Bürgerbeteiligung vor
Ort meilenweit entfernt ist, kann den DVGW-Funktionären
nur schwer vermittelt werden. Der Partizipationsansatz
von ISO-TC224 und EUKommission („aktive Teilnahme von Verbrauchern
und Nutzern bei der Festlegung der Vorgaben für Dienstleistungen
und ihre Bewertung“) ist für die deutsche Wasserwirtschaft
noch sehr gewöhnungsbedürftig.
Solange aber
die deutsche Wasserwirtschaft sich bei der Bürgerbeteiligung
verstockt anstellt, kann es passieren, dass die EUKommission
in der Öffentlichkeit
mit ihrem Regulierungsansatz (insbesondere auch bei den
Verbraucherorganisationen) mehr als nur einen Pluspunkt einheimst.
-ng-
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