aktualisiert:
18. Juli 2008

 

 

 

 

 

 

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  Recht und Unrecht  


WasserInBürgerhand!

 

BBU-Wasser-Rundbrief
Nr. 891 vom 9. Juni 2008

Mit neuer ISO-Norm
gegen die Terroristen im Wasserwerk?

 

 

In den internationalen Normungsgremien (ISO und CEN) machen vor allem Israel und die USA Druck, dass Wasserversorgungs- und Abwasserunternehmen gegen terroristische Angriffe gewappnet werden. Deutsche Wasserwerker begegnen diesem Ansinnen mit großer Skepsis (s. RUNDBR. 870/1).

Wenn man Wasserversorgungsanlagen gegen Angriffe von außen und innen schützen will, dann mache man das im Stillen – und hänge es nicht via Internationaler Standardisierungs-Organisation (ISO) und Europäischer Normungsorganisation (CEN) an die große Glocke, so die Meinung nicht nur deutscher, sondern auch schweizerischer und österreichischer Wasserwerker. Wasserfachleute aus der Schweiz empfehlen, bei Sitzungen, in denen es um die Sicherheit von Wasserversorgungsanlagen geht, keine Protokolle zu erstellen: „Schriftliche Aufzeichnungen gibt es nicht!“

Den Delegationen von Israel und den USA im ISO scheint es aber gar nicht um die Verfahren ("Crisis management of water utilities") zu gehen, mit denen man Wasser- und Abwasseranlagen gegen terroristische Angriffe wappnet. Der israelischen und US-amerikanischen Sicherheitsindustrie gehe es darum, die Gerätschaften und das Material zu normen, mit denen man Attacken gegen Infrastrukturanlagen abwehren kann – also beispielsweise Alarmanlagen, Zäune, Überwachungskameras, elektronische Zugangsberechtigungen, Sensoren usw.

Die milliardenschwere Sicherheitsindustrie in den USA und in Israel versucht über die internationale Normung ihre Anlagentechnik als Weltstandard zu etablieren, so der Eindruck der Wasserexperten in den DACH-Ländern (Deutschland, Austria/Österreich, Conförderation Helvetia/Schweiz). Wenn es den Produzenten von Sicherheitstechnik in den USA und Israel gelingen sollte, ihre Normungsziele durchzusetzen, soll das Topmanagement von Wasser- und Abwasserunternehmen anschließend veranlasst werden, die genormte Sicherheitstechnik auch einzukaufen. Schematisch müsste dann der Kauf und der Einbau von Kameras, Zugangsberechtigungen, Sensoren usw. abgehakt werden. Wer als Wasserwerksdirektor eine entsprechende Einkaufsliste vorweisen kann, hat dann vermeintlich alle Vorsorgemaßnahmen für die Sicherheit seines Unternehmens getroffen.

So einem Blödsinn zu Gunsten der Profitrate von Sicherheitsanlagenproduzenten will man seitens der Wasserexperten aus den DACH-Ländern allen Widerstand in den einschlägigen Normungsgremien entgegensetzen.

 


EU-Kommission will Rhein und Donau
vor Terrorattacken schützen

 


Bei der Abwehrschlacht gegen eine rein merkantil geprägte Normung von Sicherheitstechniken für Wasser- und Abwasserbetriebe bekommen es die Wasserfachleute aus den DACH-Ländern aber zunehmend auch mit der EU-Kommission zu tun. Innerhalb der EU-Kommission denkt man nämlich über ein europäisches Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen nach – dazu plant die EU-Kommission gar eine EG-Richtlinie (siehe Kasten).

Programm und Richtlinie sind vorwiegend auf den Terrorismus ausgerichtet, daneben aber auch auf Naturkatastrophen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie fokussiert zwar auf Anlagen zur Energieumwandlung und –verteilung im Öl-, Gas- und Stromsektor (insbesondere Atomkraftwerke), erfasst werden aber auch Wasserkraftwerke und die Sicherheit der Binnenwasserstraßen.

Kritisch in Kreisen der Wasserwirtschaft wird registriert, dass die EU-Kommission derzeit dabei ist, die gesamte Kompetenz für die Sicherheit von Infrastrukturen an sich zu ziehen.

Bei den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten scheint dieses Ansinnen überwiegend auf Zustimmung zu stoßen: Im EU-Ministerrat hat sich bislang nur Deutschland gegen den Richtlinienentwurf gewandt. Die Wasserversorgung ist in dem Richtlinienentwurf als „kritische Infrastruktur“ ebenfalls enthalten - weil der Rhein als grenzüberschreitende (und damit EU-Binnenmarkts-relevante) Rohwasserressource angesehen wird. Die Niederlande sind auf diese aus Deutschland kommende Ressource existenziell angewiesen. Ebenso könnten „terroristische Angriffe“ auf die Donau in Deutschland die Trinkwasserve-sorgung in Österreich und in den noch weiter unte-halb gelegenen EU-Mitgliedsstaaten gefährden.

Diese kühne Argumentation hat das EU-Parlament nicht von der Sinnhaftigkeit des Richtlinienentwurfs überzeugen können. Aber auf die Meinung des EU-Parlaments – bekundet in einer Stellungnahmen vom 10.07.07 - kommt es in diesem Fall nicht an. Die „Antiterror-Richtlinie“ bedarf keiner Zustimmung des EU-Parlaments. Für eine Verabschiedung ist jedoch Einstimmigkeit im EU-Ministerrat erforderlich. Es wird angenommen, dass Frankreich während seiner EU-Rats-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 die Arbeiten an der „Antiterror-Richtlinie“ forcieren wird – und dass der Druck auf Deutschland zunehmen wird, der Richtlinie nicht mehr länger die Zustimmung zu verweigern, zumal die Vorarbeiten zum Erlass einer derartigen Direktive schon im Jahr 2004 gestartet worden sind.

Da von der EU-Kommission die Sicherheitstechnik als einer der neuen „Leitmärkte“ in der EU betrachtet wird, kann vermutet werden, dass auch hinter diesem Richtlinienvorschlag interessierte Unternehmen mit erheblichen ökonomischen Interessen als Treiber fungieren. Die Einflüsterungen erfolgen durch ein Technisches Gremium namens BT 161, das die EU-Kommission in Fragen der Terrorabwehr und Sicherheitstechnik berät – wobei die Sicherheit der Wasserversorgung nur eine marginale Rolle spielt. Prioritär in der EU-Antiterror-Strategie sind die Sektoren Energie, Transport, Finanzwesen und IT.

 

Die „Antiterror-Richtlinie“ im Internet

Der Vorschlag für eine „Richtlinie des Rates über die Ermittlung und Ausweisung kritischer europäischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern“ vom 19.10.2007 kann im Internet unter

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/
LexUriServ.do?uri=CELEX:52006PC0787:DE:HTML

heruntergeladen werden. Eine Übersicht über den Stand des Verabschiedungsprozedere gibt es im Internet unter:

http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_print.cfm?CL=de&DosID=195119

Im Richtlinienvorschlag findet sich eine „Liste von Sektoren mit kritischen Infrastrukturen“, in der u.a. auch „Wasser, Trinkwasserversorgung; Überwachung der Wasserqualität, Verringerung des Wasserverbrauchs und Überwachung der Wassermenge“ als sensible Infrastrukturbereiche eingestuft werden.

 



Warum Deutschland der
„Antiterror-Richtlinie“ nicht zustimmt

 


Für die Bundesregierung ist „nicht erkennbar, welche Verbesserungen der Richtlinienvorschlag für den Schutz kritischer Infrastrukturen in Europa“ bringen würde. Deutschland geht davon aus, dass der Richtlinie „keine realistische Szenarien“ zu Grunde liegen. Ferner würde die Richtlinie – u.a. wegen der weitgehenden Auskunftspflichten für terrorsensible Wirtschaftsbereiche - zu einem Übermaß an Bürokratie führen. Der Ansatz des Richtlinienvorschlags sei somit „nicht zielführend“ – denn:

„Das vorgesehene Verfahren zur Ermittlung europäischer kritischer Infrastrukturen verursacht einen erheblichen Arbeitsaufwand für die Mitgliedstaaten und für die betroffenen Wirtschaftssektoren. Der Aufwand wird in keinem Verhältnis zu der geringen Anzahl der am Ende dieses Verfahrens ermittelten europäischen kritischen Infrastrukturen stehen.“

Ferner vertritt Deutschland in Brüssel die Auffassung, dass die Richtlinie kontraproduktiv sein könnte:

„Die Erstellung zentraler Listen über identifizierte europäische kritische Infrastrukturen und insbesondere der neuralgischen Elemente führt zu einem erhöhten Sicherheitsrisiko.“

Mit dieser skeptischen Auffassung befinde sich Deutschland in Brüssel allerdings in einer „isolierten Position“.

 


Denkschrift zu Infektionskrankheiten:
Die Rückkehr der Seuchen

 


Einigermaßen beunruhigt legt man die Denkschrift „Zur Bedrohung durch Infektionskrankheiten – Notwendigkeit einer Reform der Infektionshygiene“ nach dem Durchlesen zur Seite.

Der Bonner Hygieneprofessor, Dr. med. MARTIN EXNER, warnt in der Denkschrift vor der Rückkehr der alten Seuchen – und vor dem Entstehen neuer Seuchen. Das Gesundheitssystem in Deutschland sei auf Pandemien nicht vorbereitet – am wenigsten auf Infektionen, die bioterroristisch ausgelöst werden könnten. Dabei sei es für alle Fachleute klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis Terroristen auch Mikroben einsetzen würden. Dabei würde die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen mit gleichzeitig erhöhter Virulenz und Resistenz noch „weitere Schreckensdimensionen“ eröffnen. Die „Baupläne“ im Internet würden es auch finanziell schlecht betuchten Terrorgruppen ermöglichen, mit minimalen Aufwand maximalen Schaden zu provozieren.

Vom Bioterrorismus könnten auch Trinkwasserversorgungsnetze betroffen sein. Die Trinkwasserversorgung sei besonders anfällig, weil viele Mikroorganismen mit Chlor kaum wirkungsvoll dezimiert werden könnten – und zudem mehr als 50 Prozent der deutschen Wasserversorgungsunternehmen ohnehin kein Chlor mehr zur Desinfektion einsetzen.

„Dies bedeutet, dass bei gezielter Ausbringung von Krankheitserregern, u.a. nach der Aufbereitung durch Einbringen in das Wassernetz erhebliche Risiken entstehen können, die auch durch klassische Desinfektionsverfahren nicht mehr zu kontrollieren sind. Daher müssen Ausbreitungswege über den Trinkwasserpfad wesentlich ernster genommen werden als sie bislang in den Risikoszenarien berücksichtigt sind. Die Ausbringung innerhalb des Wasserversorgungssystems durch geeignete Krankheitserreger ist faktisch nicht zu kontrollieren“,

heißt es in der Denkschrift. Aber auch ohne bioterroristische Angriffe sei die Trinkwasserversorgung ein offenes Einfallstor für Infektionskrankheiten:

„Aufgrund der Resistenzentwicklungen und der Gefährdung durch Verbreitung über das Hausinstallationsnetz muss auch in den entwickelten Ländern die Wasserversorgung für den menschlichen Gebrauch hinsichtlich mikrobieller Risiken neu evaluiert werden“

mahnt EXNER in seiner Denkschrift. EXNER fordert in diesem Zusammenhang, dass weit mehr Mikroorganismen als bislang im Wasser untersucht werden müssten. Hierzu müsse der durch die Trinkwasserverordnung vorgeschriebene Untersuchungs- und Überwachungsumfang deutlich ausgeweitet werden.

Auf Kritik von EXNER stößt auch, dass die mikrobiologischen Untersuchungspflichten immer mehr auf die Trinkwasserversorgungsunternehmen selbst verlagert werden – und dass damit immer weniger eine unabhängige Kontrolle der mikrobiologischen Trinkwassergüte gewährleistet sei.

 

Die Denkschrift ist in Abstimmung mit den Fachgesellschaften und ärztlichen Berufsverbänden für Hygiene und Öffentliche Gesundheit von der RUDOLPH SCHÜLKE STIFTUNG herausgegeben worden.
Die Publikation im A4-Format (126 S.) kann kostenlos angefordert werden bei der

Rudolf Schülke Stiftung
Robert-Koch-Straße 2
22851 N o r d e r s t e d t
E-Mail: andrea.rodewald@schuelke-mayr.com

 


Der Niedergang der
deutschen Hygieneüberwachung

 


Neben vielen weiteren Defiziten bei der Seuchenprophylaxe moniert EXNER vor allem, dass die Strukturen von Hygiene und Öffentlicher Gesundheit nicht gestärkt werden, sondern im Gegenteil fortlaufend abgebaut würden – und das trotz einer zunehmenden Gefährdung.

So sei eine zunehmende Ausdünnung der Uni-Institute mit Hygieneausrichtung festzu-tellen. Insgesamt würden die Forschungs- und Ausbildungskapazitäten für Hygiene und Umweltmedizin immer mehr zurückgeschraubt. Hinzu komme, dass die Vermittlung von Hygiene-Inhalten im Medizinstudium ebenfalls sukzessive eingedampft worden sei. Bei Ausbrüchen von Infektionskrankheiten oder gar Pandemien würde das Gesundheitswesen in Deutschland deshalb ziemlich alt aussehen. Dass die Lehrstühle für Hygiene sowie unabhängige Überwachungsinstitute in Deutschland immer weniger werden, wird in der Denkschrift an sehr vielen Stellen erwähnt.

Misstrauische Leser könnten deshalb den Verdacht hegen, dass es dem Bonner Hygieneprofessor mit seiner Denkschrift vornehmlich darum gehen könnte, seinen Berufs-stand zu stärken: Je mehr von EXNERS Vorschlägen zu einem besseren Risikomanagement und einer effizienteren Vorsorge umgesetzt werden, umso besser für die Geschäftsaussichten der Hygieneinstitute. Wer so denkt, macht es sich aber zu leicht. EXNERS Warnungen vor fatalen Mängeln in der Vorsorge und im Risikomanagement hätten es allemal verdient, in breiteren Kreisen als bislang diskutiert zu werden (vgl. zum „Aqua-Terror“ die RUNDBRIEFE Nr. 853/S. 1-2, 647/1-2, 639/3, 638/1, 633/1-2).

 


Der seit 25 Jahren erscheinende BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet alle 14 Tage über das aktuelle Geschehen in der Wasserwirtschaft und in der Wasserpolitik sowie im Gewässerschutz. Ansichtsexemplare dieses aquatischen Informationsdienstes der anderen Art können kostenlos via E-Mail an nik@akwasser.de angefordert werden.

 

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