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10. Dezember 2023

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief Nr. 1210, 1. November 2023

 

Sturmlauf gegen ein
vermeintliches PFAS-Totalverbot

 


In der Ausgabe 1201/2-4 hat der WASSER-RUND-BRIEF ausführlich den Stellenwert des neuen Grenzwertes für die Per- und Polyfluorierten Alkyl-Substanzen (PFAS) in der novellierten Trinkwasserverordnung beschrieben. Spätestens ab 2026 sind danach Grenzwerte im Nanogramm-Bereich für 20 PFAS-Chemikalien einzuhalten. Das könnte für RUNDBR.-LeserInnen ein Grund sein, die derzeit geführte Kontroverse um ein angebliches „EU-Komplettverbot“ für die PFAS-Chemikalien zu verfolgen. Zumal sich PFAS auch in immer mehr Rohwässern der Wasserversorger nachweisen lassen.

Als „Ewigkeitschemikalien“ sind die PFAS inzwischen zum »Modeschadstoff des Jahrzehnts« avanciert. Eine Veröffentlichung des Recherchenetzwerkes von WDR, NDR und Süddt.Ztg. hatte im Februar 2022 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt: An mehr als 1.500 Standorten in Deutschland habe man Indizien und Belege für PFAS-Kontaminationen gefunden – siehe:
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-
wdr/pfas-chemikalien-deutschland-101.html

Erneut in die Schlagzeilen waren die PFAS im Sommer 2023 gekommen: „Mittelständler schlagen Alarm wegen PFAS-Verbots“ titelte beispielsweise die BADISCHE ZEITUNG am 01.08.23. Der Alarmismus der Industrie hatte seine Ursache in einem von der EU-Kommission angestrebten „Totalverbot“ der PFAS-Chemikalien. Der Grund für die Verbotsüberlegungen: Die PFAS würden im Verdacht stehen, krankhaftes Übergewicht zu verstärken, das Immunsystem zu schwächen, die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen oder auch Krebs auszulösen. Deshalb hatten fünf EU-Mitgliedsstaaten – darunter auch Deutschland – bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) einen Prozess angestoßen, alle PFAS-Chemikalien zu verbieten. Allerdings waren für nicht ersetzbare PFAS – oder für PFAS in geschlossenen Systemen – bereits Ausnahmen bzw. Schwellenwerte und Übergangsfristen vorgesehen.

Führt ein PFAS-Verbot zur
Deindustrialisierung der EU?

 

Trotz der vorgesehenen Ausnahmen hatte der Verbotsantrag bei der Industrie keinerlei Gnade gefunden. Ein Positionspapier des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) – abrufbar unter:
https://t1p.de/30sng -
lässt sich unter dem Motto zusammenfassen, dass das beantragte PFAS-Verbot zum Zusammenbruch der Industrie in Europa führen würde. Wörtlich heißt es in dem BDI-Positionspapier:

„Ein umfassendes und undifferenziertes Verbot von PFAS hätte massive Auswirkungen auf die europäischen Unternehmen und die Innovationsfähigkeit der Industrie in Europa. Insbesondere Hochtechnologie-Anwendungen wären ohne den Einsatz bestimmter PFAS nicht mehr möglich, so dass die Transformation der Industrie und die Ziele des Green Deal nicht erreicht werden können.“

Explizit wurde seitens der Industrie immer wieder betont, dass das vorgesehene PFAS-Verbot die Energiewende torpedieren würde. Denn PFAS seien – beispielsweise als Dichtmaterialien oder Membranen – u.a auch in Elektrolyseuren, Wärmepumpen und Brennstoffzellen enthalten. Ein Titel in der BADISCHEN ZEITUNG vom 04.08.23: „Verbände: Verbot von Chemikalien gefährdet Klimaziele.“ Die STUTTGARTER ZEITUNG vom 02.06.23 fasste den Inhalt der BDI-Positionierung dahingehend zusammen, dass es nicht gerechtfertigt sei, alle PFAS über einen Kamm zu scheren. Es müsse deshalb jeder Stoff – oder zumindest jede homogene Stoffgruppe
– einzeln bewertet werden – anstatt alle PFAS unter einen pauschalen Sippenverdacht zu stellen. [Unterschlagen wird dabei allerdings, dass die unheilige PFAS-Familie mehr als 10.000 Einzelstoffe beinhaltet. Für Einzelstoffprüfungen bräuchte man deshalb biblische Zeiträume. Anm. BBU.]

Teile der Textilbranche für PFAS-Verbot

 

Im Gegensatz zum BDI plädiert man beim Outdoorunternehmen Vaude in Tettnang für ein PFAS-Verbot. Der Outdoorspezialist stellt mittlerweile alle
seine Kleidung, Schlaf- und Rucksäcke PFAS-freiher.

„Wir sind deshalb froh, dass PFAS endlich gesetzlich verboten werden sollen. Auf freiwilliger Basis tut sich zu wenig“,

wurde die Vaude-Geschäftsführerin Antje von Dewitz in der St.Ztg. vom 02.06.23 zitiert. Lt. St.Ztg. würden „andere Firmen, wie Salewa oder Goretex, (…) in Teilen nachziehen“. Eine Kampagne des internationalen Branchenverbandes Chemsec („We are driving the change to safer chemicals“) zum EU-weiten PFAS-Verbot würde inzwischen „von mehr als hundert Firmen“ unterstützt – „darunter H&M, Levi Strauss, Ralph Lauren oder Fjäll Raven“ – siehe:
https://chemsec.org/pfas/

PFAS-Verbot: „Lobbyisten auf der Bremse“

 

Auch ein Kommentar in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 04.08.23 setzt sich kritisch mit der BDI-Positionierung auseinander: Vor dem Hintergrund, dass nur zu einzelnen Stoffen bisher toxikologische Studien vorliegen würden, sei es „richtig, dass die EU ein weitgehendes Verbot dieser Substanzen fordert“ – und weiter:

„Dass die Industrie jetzt auf die Bremse drückt, ist Bestandteil der üblichen Lobbyarbeit, die mit solchen Regulierungsplänen einhergeht. Es stimmt zwar, das PFAS derzeit für vieles gebraucht werden, aber es gibt auch Beispiele, dass sie sich durch weniger problematische Substanzen ersetzen lassen. Letztlich geht es darum, wie schnell dieser Prozess vonstatten gehen soll. Am Ende wird ohnehin ein Kompromiss stehen, der längere Übergangsfristen und die eine oder andere Ausnahme enthalten wird.“

PFAS-Verbot:
Habeck und die FDP gegen „Überregulierung“

 

Dass kein sofortiges Komplettverbot droht, sondern dass am Schluss ein Kompromiss mit noch weitergehenden Ausnahmeregelungen stehen wird, ist auch Auffassung der grünen EU-Parlamentarierin Jutta Paulus. Die MdEP erklärte in der BADISCHEN ZEITUNG vom 01.08.23, dass 92 Prozent der PFAS in Bereichen angewandt würden, in denen es schon gute Alternativen geben würde. „Geredet werde aber nur über die anderen acht Prozent.“ In diesen Anwendungssektoren würden sich Ausnahmen und großzügige Übergangsfristen finden lassen – dazu gehöre beispielsweise die Medizintechnik. Denn gerade die Vertreter der Medizingerätebranche hatten immer wieder gewarnt, dass durch das „drohende“ PFAS-Verbot „das medizinische Versorgungsniveau im Land um Jahrzehnte zurückgeworfen“ würde.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte für einen differenzierten Umgang mit der Chemikaliengruppe plädiert:

„Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregulierung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologieentwicklung hemmt“,

wurde der grüne Minister in der BADISCHEN ZEITUNG vom 04.08.23 zitiert. Die Erneuerung der Industrie dürfe nicht gefährdet werden. Zuspruch habe Habeck auch von der FDP-Bundestagsfraktion erhalten.

Mehr zu PFAS in den RUNDBR. Nr. 1198/S.1, 1192/3-4, 1190/4, 1186/2, 1180/3-4, 1133/3-4, 894/4 …
Siehe Suchfunktion in der linken Spalte

 

Den Prozess zum PFAS-Verbot „in die Länge ziehen!“

 

Wer die Argumentation der Industrie besser nachvollziehen will, kann in dem Kunststoffbranchenmagazin „K-PROFI“ 7-8/2023 ein Interview mit dem Branchenvertreter Prof. Dr. KONRAD SAUR nachlesen. Unter der Überschrift „Es gibt keinen Eins-zu-eins-Ersatz“ (S. 5 – 7“) erklärt SAUR, warum die derzeit von der EU-Kommission ins Gespräch gebrachten Übergangsfristen viel zu kurz sind. Insgesamt beruhe das Verbots-Dossier der Kommission „auf sachlich nicht richtigen Annahmen“. Zudem sei es „unvollständig und daher angreifbar“. Auf Kritik stößt bei SAUR vor allem, dass die EU-Kommission alle PFAS undifferenziert in einen Topf werfen würde. Potenziell gefährlich seien aber nur die niedermolekularen Monomere. Wenn die fluorierten Verbindungen in Fluorpolymere (beispielsweise Teflon) und in Fluorelastomere eingebunden seien, gehe von diesen Stoffen keine Gefährdungen mehr aus. Deshalb hätten „die kompetenten Stellen“ im – nicht mehr zur EU gehörenden - Großbritannien die Fluorpolymere aus dem Verbotsverfahren herausgenommen. Der Firmenvertreter fordert Hersteller und Anwender von PFAS dazu auf, sich gegen das drohende PFAS-Verbot zur Wehr zu setzen. Dazu könnten sich betroffene Unternehmen direkt an die EU-Chemikalienagentur (ECHA) wenden: „Jede Eingabe muss von der ECHA beantwortet werden. Damit zieht sich der Prozess in die Länge.“ Die Konsultation der Kommission zum beabsichtigten PFAS-Verbot laufe noch bis zum September 2023. Diese Frist solle die PFAS-Industrie nutzen. Er „ermuntere“ die Branche zur Teilnahme am Konsultationsverfahren, “um das Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen“. Dafür würden die Chancen gut stehen – denn:

„Wir können die Gesetzgebung beeinflussen und treffen bei der ECHA auf viel Offenheit und verständige Experten, denen es darum geht, die wirklich kurzkettigen PFAS zu verbieten.“

Auch der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat bereits im Mai 2023 seine Mitgliedsfirmen „dringend“ dazu aufgerufen, sich aktiv an der Konsultation der ECHA zu beteiligen – um noch zu retten, was zu retten ist. Denn käme “die umfassende Beschränkung der PFAS-Stoffgruppe“, wäre der Niedergang des deutschen Maschinenbaus programmiert. Die Begründung hierzu unter:
https://t1p.de/u458d

Die PFAS-Produzenten und –
Weiterverarbeiter in Europa

 

Wer wissen will, wo in der EU PFAS noch produziert und weiterverarbeitet werden, kann unter
https://t1p.de/ms2i0
eine interaktive Karte anklicken. PFAS-herstellende und -verwendende Unternehmen finden sich beispielsweise in Ba.-Wü. vornehmlich entlang der
Hochrheinstrecke und im mittleren Neckarraum. Unter dem angegebenen Link kann man auch zahlreiche weitergehende Informationen zu PFAS abrufen, in denen allesamt der Standpunkt der Industrie wiedergegeben wird.

PFAS – Gift für die Ewigkeit …
… war eine sehenswerte ARD-Reportage am 30.10.23 überschrieben. Ein Zuschauerkommentar: „Erschreckend“. Anzuschauen unter: https://t1p.de/c843k

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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