aktualisiert:
11. April 2022
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WasserInBürgerhand!
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BBU-Wasserrundbrief Nr. 1190, 26. März 2022
Sechs Jahre „Spurenstoffdialog“:
Eine Bestandsaufnahme
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Ende 2016 hatte das Bundesumweltministerium (BMU) mit allen interessierten Kreisen („Stakeholdern“) den „Spurenstoffdialog“ gestartet. Beweggrund des BMU war, dass man ordnungsrechtlich bei der Eindämmung der Mikroverunreinigungen (verharmlosend „Spurenstoffe“ genannt) an Grenzen gestoßen war. Im Spurenstoffdialog war es das Ziel, mit Hilfe von freiwilligen Vereinbarungen in fast unzähligen Diskussionsrunden möglichst im Konsens mit allen Beteiligten zu einer Reduktion des Eintrags von Mikroverunreinigungen in die aquatische Umwelt zu gelangen – siehe RUNDBR. 1167/2 und 1147/1-4 sowie unter
https://dialog-spurenstoffstrategie.de/
spurenstoffe/index.php
Zum Weltwassertag am 22.03.2022 hatte sich das BMU unter Teilnahme der Staatssekretärin Dr. Bettina Hoffmann (Grüne) mit 150 TeilnehmerInnen aus der Spurenstoff-Stakeholderszene unter dem Motto „Lessons learned“ an einem Fazit von fast sechs Jahren Spurenstoffdialog versucht. Ziel der Veranstaltung war u.a. die Bewertung und Diskussion der Ergebnisse der drei Runden Tische
- zu jodierten Röntgenkontrastmitteln (s. 1106/2),
- um Korrosions- und Silberschutzmittel Benzotriazol (s. 954/4, 1148/4, 1167/2, 1182/1) und
- zum Voltareninhaltsstoff Diclofenac (s. 1014/2, 927/3).
Wir kommen auf die virtuelle Bilanzveranstaltung noch ausführlich zurück. Nachstehend schon einmal ein Kommentar zu sechs Jahren Spurenstoffdialog.
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6 Jahre Spurenstoffdialog:
Gibt es jetzt weniger Mikroverunreinigungen?
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In der Bilanzveranstaltung zum Spurenstoffdialog waren die TeilnehmerInnen aufgefordert worden, ihre Zufriedenheit mit den Ergebnissen des Stakeholder-Dialogs zu bewerten: Sind Ihre Erwartungen erfüllt worden? Mit welchen Ergebnissen sind sie sehr zufrieden? Wo hätte mehr erreicht werden können? Die Erfolgsbewertung kommt wohl auf die Erwartungshaltung an:
Wenn es darum gegangen wäre, dass nach sechs Jahren Spurenstoffdialog sechs Tonnen weniger Mikroverunreinigungen in die Gewässer gelangen, dann Enttäuschung! Wenn es in den letzten sechs Jahren zu einem Rückgang bei einzelnen Mikros gekommen ist, dann war das allenfalls marginal auf den Spurenstoffdialog zurückzuführen!
Wenn man aber auf Grund jahrzehntelanger Praxis in der Gewässerschutzpolitik weiß, dass der Fortschritt eine Schnecke ist (und allenfalls von Katastrophen getriggert wird [Sandoz!]), dann ist die Erwartungshaltung hinlänglich erfüllt worden. Es hat sich zudem gezeigt, dass man auf europarechtliche und kartellrechtliche Grenzen stößt, wenn es um eine stringente Eindämmung der Emissionen von Mikroverunreinigungen geht. Insofern sollte die "Zu-kunftsregierung" künftig bevorzugt am „Brüsseler Hebel“ ansetzen! Das sollte in der nationalen Wasserstrategie (s. 1144/1-3) ergänzt werden - auch im Hinblick auf den Zero Pollution Action Plan der EU (s. 1178/2-3). -ng-
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Mikroschadstoffe:
Es fehlt an Transparenz & Stoffflussdiagrammen
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Bei der Bilanzveranstaltung am 22.03.22 standen auch die unterschiedlichen Einschätzungen des neu geschaffenen Spurenstoffzentrums beim Umwelt-bundesamt in Dessau zur Diskussion. Beim Runden Tisch zu Benzotriazol (BTA) war fast schon detek-tivische Arbeit erforderlich, um die Eintragswege von BTA zu eruieren. Das war spannend - aber zeitraubend. Bei künftigen Runden Tischen zu Industriechemikalien sollte das Spurenstoffzentrum vorab anschauliche Stoffflussdiagramme erstellen, damit man beim Runden Tisch eine gute Arbeitsgrundlage hat und gleich schon am Anfang sehen kann, wo man schwerpunktmäßig ansetzen sollte.
Bei der rundum gut geheißenen Fortsetzung des Spurenstoffdialogs wird der mögliche Support der Umweltverbände nur noch begrenzt möglich sein. Ein derart zeitintensives Engagement wie bei den drei bisherigen Runden Tischen wird für die "nur" ehrenamtlich arbeitenden NGO-VertreterInnen künf-tig nicht mehr möglich sein. Die Umwelt-NGOs werden deshalb überlegen, ob man sich auf ein Engagement in "Begleitgremien" und in der Erfolgskontrolle beschränken wird. Wobei: Falls sich jemand in der Leserschaft des WASSER-RUNDBRIEFS angesprochen fühlen sollte, sich in einem Runden Tisch bei der Eindämmung von Mikroverunreinigungen zu engagieren, freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme!
-ng-
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Reglementierung von Mikroschadstoffen
über die Abwasserverordnung
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Der Schwerpunkt des Spurenstoffdialogs und der darin eingeklinkten Runden Tische lag auf der Freisetzung von Mikroschadstoffen bei Konsum, Verbrauch und Anwendung. Der PFAS-Aspekt in der „Currenta-Affäre“ (s. übernächste Notiz) hat aber gezeigt, dass die industrielle Produktion immer noch ein Problem darstellen kann! Die Landesregierung NRW hat diesbezüglich in ihrer Aufarbeitung der „Currenta-Affäre“ dem Bund deshalb zahlreiche Hausaufgaben ins Stammbuch geschrieben. Das bezieht sich vor allem darauf, dass die Möglich-keiten zur Reglementierung der Mikros in der Abwasserverordnung und ihrer branchenspezi-fischen Anhänge nicht zielgerichtet ausgeschöpft worden sind. Auch hier besteht eine Erwartung der Umwelt-NGOs an die "Zukunftsregierung", dass umgehend nachgeschärft werden sollte - und dass die Bundesländer einer Nachschärfung im Bundesrat keine Steine in den Weg legen.
Aber selbst wenn nachgeschärft wird, bestehen Zweifel ob angesichts der fachlichen und personellen Schwäche der Vollzugsbehörden eine ergänzte Abwasserverordnung überhaupt stringent durchgesetzt werden könnte. Die Bemühungen zur Eindämmung der Mikros stoßen also auch hier auf die strukturellen Defizite in der Wasserwirtschaftsverwaltung zahlreicher Bundesländer (s. 1188/1-4).
-ng-
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Die Externalisierung von Mikroverunreinigungen
in den Globalen Süden
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Dass wir nicht noch viel mehr Mikros in unserer aquatischen Umwelt haben, liegt u.a. auch daran, dass die deutsche Industrie den Gewässerschmutz erfolgreich in die Schwellenländer und in den Globalen Süden exportiert hat. Man nennt dies "Externalisierung von Umweltkosten": Die hiesige Pharma- und Chemieindustrie produziert viele Grund- und Spezialchemikalien nicht mehr hierzulande, sondern kauft sie auf dem Weltmarkt dort ein, wo sie am billigsten sind. Und wo sind sie am billigsten? Am billigsten sind sie dort, wo Öko- und Sozialdumping am schlimmsten sind.
Bekannt geworden ist das u.a. bei der Antibiotikaproduktion in Indien (Züchtung von Supererregern in Hayderabat, s. RUNDBR. 1100/2-3) sowie bei der Produktion von Benzotriazol und Valsartan (s. 1129/1-2) in China und beim Import von Aktivkohle: Um hier in Deutschland mit Hilfe von importierter Aktivkohle vergleichsweise preisgünstig das letzte Mikrogramm Spurenstoff aus dem Abwasser "zu filtern" (s. 1121/3-4), sorgen wir dafür, dass in China und Indien bei der A-Kohleproduktion Luftschadstoffe im Tonnenmaßstab emittiert werden (s. 1121/3) Ganz am Rande der derzeitigen Diskussion über unsere fatale Abhängigkeit von importierten fossilen Energieträgern sollten wir uns deshalb auch einmal über unsere Abhängigkeit vom globalisierten Öko- und Sozialdumping im Gewässerschutz unter-halten! Bei der Bilanzveranstaltung waren sich die Vertreter der Umweltverbände und des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) insofern darin einig, dass man schauen sollte, zumindest bestimmte Produktionen wieder in die EU zurückzuholen.
-ng-
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Keine rechtliche Handhabe
gegen PFAS-Einleitungen bei Currenta
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Am 27. Juli 2021 waren Teile der Sondermüllverbrennungsanlage im Currenta-Chemiepark (ehemals BAYER) bei Leverkusen explodiert. Das stark kontaminierte Löschwasser konnte auf Grund eines mangelhaften Löschwasserrückhaltekonzeptes nicht separat abgespeichert werden. Das Löschwasser floss zusammen mit dem „normalen“ Abwasser aus den Produktionen im Chemiepark in die Speichertanks der Werkskläranlage – und von dort aus mehr oder weniger gut gereinigt in den Rhein. Die Details zu diesen Schadstoffeinleitungen kamen über Monate hinweg nur häppchenweise an die Öffentlichkeit – siehe die diesbezüglichen „Enthüllungsberichte“ im WDR-Fernsehen - beispielsweise unter
https://kurzelinks.de/1z8c
Bemerkenswert war, dass im Zuge der Recherchen bekannt wurde, dass im „Normalbetrieb“ des Currenta-Chemieparks tageweise Poly- und perfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS; (s. RUNDBR. 1186/2, 1180/3-4)) im Kilogramm-Maßstab in den Rhein eingeleitet worden waren. Das nordrhein-westfälische Landesumweltamt hatte schon vor Jahren empfohlen, nicht mehr als 35 Gramm PFAS einzuleiten („Orientierungswert“ für die Summe der PFAS-Einzelstoffe).
Im Landtagsbericht 17/6518 vom 04.03.22 zu den PFAS-Einleitungen bei Currenta heißt es u.a., dass man bei Currenta nach 2011 „auch mangels rechtlicher Vorgaben keine weiteren Maßnahmen zur Reduzierung des PFAS-Eintrags weiterverfolgt“ habe. Insgesamt sei es so, dass mangels von Vorgaben in der Abwasserverordnung Reduzierungsmaßnahmen
„bislang prinzipiell nur im Dialog mit den Betreibern auf den Weg gebracht werden (können). Daher sind auch höhere Einträge möglich, wenn auch fachlich ausdrücklich nicht erwünscht“.
Der Landtagsbericht spricht von der Möglichkeit, dass die EU im Rahmen ihrer Zero Pollution-Strategie weitergehende „Maßnahmen zur Begrenzung der Herstellung und Verwendung von PFAS“ ergreifen könnte. Falls es aber über das Chemikalienrecht der EU in absehbarer Zeit nicht zu einer schärferen Reglementierung der PFAS kommen sollte, seien
„Maßnahmen zur Emissionsminderung nach dem Stand der Technik fortzuentwickeln und durch den Bund wasserrechtlich wirksam zu verankern“.
Bisher seien in der Abwasserverordnung nur für die Bereiche Leder- sowie Papierherstellung PFAS-relevante Anforderungen festgelegt worden. Weitere PFAS-relevante Anforderungen seien für die Chip-Herstellung und die Metallverarbeitung geplant. NRW setze sich dafür ein, dass die Abwasserverordnung in Hinblick auf die PFAS „fortgeschrieben werden“ sollte.
„Parallel dazu sollte angestrebt werden, die Verwendung weitgehend abwasserfreier Produktionsverfahren als allgemeinen Grundsatz in die Abwasserverordnung aufzunehmen, und zwar für alle Bereiche, bei denen ansonsten der Eintrag von langlebigen Problemstoffen in Gewässer zu erwarten wäre. Die Grundlagen für eine entsprechende Stoffdefinition sind durch eine Fortschreibung des Chemikalienrechts zu schaffen, auf die im Wasserrecht Bezug genommen werden kann“,
wird in dem Landtagsbericht gefordert. NRW unterstellt dem Bund damit indirekt Untätigkeit, wenn es gilt, den „Eintrag von langlebigen Problemstoffen in Gewässer“ signifikant zu reduzieren. Das Problem: Verschärfungen der Abwasserverordnung und ihrer branchenspezifischen Anhänge bedürfen immer der Zustimmung durch die Bundesländer im Bundesrat.
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Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet
regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge.
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